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Frankfurt
Multikulti am Main

In Frankfurt hat jeder zweite einen Migrationshintergrund. Das Zusammenleben klappt vergleichsweise gut - mit speziellen Programmen wird besonders die jüdisch-islamische Verständigung gefördert. Aber es gibt auch Spannungen.

Von Ludger Fittkau | 17.07.2017
    Kinder von Migranten in berufsbildender Schule, Frankfurt am Main 2009
    In Frankfurt als Deutschlands Hauptstadt der Migration leben sehr viele Menschen mit ausländischen Wurzeln. (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Hilime Arslaner führt mich durch ihren Frankfurter Stadtteil Bornheim. Hier lebt die 45 Jahre alte Diplom-Volkswirtin mit türkischen Wurzeln schon seit Jahrzehnten. Sie liebt ihren Stadtteil auch deswegen, weil hier Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft heimisch geworden sind:
    "Wir sind jetzt auf dem Bornheimer Markt. Dem legendären Bornheimer Markt. Und durch die sehr gute Anbindung an den ÖPNV trifft sich hier samstags ganz Frankfurt, kann man schon fast sagen. Hier kann man sehr gut einkaufen und sie sehen auch die bunte Vielfalt jetzt an den Theken hier. Und die Menschen - das ist eine sehr, sehr lockere Atmosphäre und ein Markt, wie er leibt und lebt."
    Jeder zweite Frankfurter mit Migrationshintergrund
    Mit knapp 13 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen die Menschen mit türkischen Wurzeln vor den Kroaten, Italienern und Polen die größte Gruppe der insgesamt rund 370.000 Frankfurter, die laut Definition des Statistischen Bundesamtes einen Migrationshintergrund haben. Das Zusammenleben der Menschen mit ganz verschiedenen kulturellen oder religiösen Herkunftsgeschichten klappe hier tatsächlich vergleichsweide gut, versichert Hilime Arlsaner:
    "Ich lebe seit meinem fünften Lebensjahr hier in Bornheim. Es ist ein Ausschnitt aus Gesamt-Frankfurt - Frankfurt als eine sehr vielfältige Stadt, bunte Stadt und hier ist das Herzstück davon meines Erachtens. Verschiedene Kulturen. Hier pulsiert so das Frankfurter Leben."
    Jeder zweite Frankfurter Einwohner hat inzwischen einen Migrationshintergrund. In Grundschulen lernen mehr als zwei Drittel Kinder, deren Wurzeln im Ausland liegen. Viele sind Muslime.
    Jüdisch-muslimische Verständigung fördernI
    Gleichzeitig hatte Frankfurt am Main einen relevanten jüdischen Bevölkerungsanteil - bis zum Holocaust. Doch seit Jahrzehnten steigt die Zahl der Juden in Frankfurt wieder deutlich an. Jüdisches Leben wird zunehmend wieder Teil des Alltags in der Mainmetropole.
    Mirjam Wenzel, Leiterin des großen Jüdischen Museums der Stadt hat sich vorgenommen, auch junge Muslime für die Arbeit des Museums zu interessieren - auch Jugendliche aus Familien, die aus Ländern eingewandert sind, in denen Antisemitismus zum Teil von staatlicher Seite verordnet wurde. Dazu wurde in den letzten Monaten ein spezielles Bildungsprogramm entwickelt, mit dem Museumspädagogen an Frankfurter Berufsschulen gehen. Mirjam Wenzel:
    "In diesem Programm 'AntiAnti - Museum goes School' arbeiten wir mit einem personenzentrierten Ansatz. Das heißt, wir gehen sehr stark von den Erfahrungen der Jugendlichen aus, wir lassen sie erzählen, reflektieren. Arbeiten mit einer Sensibilisierung für Diskriminierung und wir geben ihnen die Möglichkeit, Erfahrungen zu machen innerhalb des Programms. Bezogen auf das Verhältnis Judentum-Islam bedeutet das, wir machen mit ihnen Geschmacksproben. Wie schmecken koschere Gummibärchen, wie schmecken Halal-Gummibärchen, die schmecken nämlich nicht gleich. Und sprechen dann darüber, warum sind die eigentlich koscher oder halal."
    Gemeinsame Treffen mit Rabbinern, Imamen und christlichen Geistlichen werden ebenso organisiert wie Führungen im Jüdischen Museum selbst - für viele Jugendliche ist das überhaupt der erste Museumsbesuch, den sie erleben. Nicht nur bei muslimischen Jugendlichen in der Multikulti-Stadt am Main muss das Interesse an der jüdischen Geschichte in Deutschland geweckt werden, sondern auch bei jüdischen Neubewohnern oder Gästen in Frankfurt, betont Museumschefin Mirjam Wenzel:
    "Und die Herausforderung für uns ist es, angesichts dieser neuen Pluralität jüdischen Lebens neue Blicke auf die Geschichte zu werfen und auch die Gegenwart ins Museum zu holen."
    Gelingende Integration - aber auch soziale Konflikte
    Eine kulturell gemischte Gegenwart, wie sie sich jeden Samstag auf dem Bornheimer Markt spiegelt. Seit 2010 zogen wegen der Wirtschaftskrise in ihrem Land auch wieder vermehrt Griechen und Spanier in die Mainmetropole. Als sogenannte Gastarbeiter waren Menschen aus diesen Ländern ja schon einmal in den 60er- und 70er-Jahren verstärkt nach Deutschland geholt worden.
    Hilime Arslaner hält die Integrationskraft der alten Handelsmetropole am Main für groß. Doch sie will die sozialen Konflikte nicht verschweigen, die sich auch auf der belebten Berger Straße in ihrem Lieblingsstadtteil Bornheim tagtäglich zeigen. Vor allem ist Frankfurt am Main sehr, sehr teuer geworden - für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund:
    "Frankfurt in den letzten zehn Jahren um 70.000 Einwohner und Einwohnerinnen gestiegen. Das ist so ungefähr die Hausnummer wie Tübingen zum Beispiel. Die Menschen kommen hier her, weil es hier noch sehr gute Berufs-und Arbeitschancen gibt und diejenigen, die gut verdienen, können auch sehr gut bezahlen - was aber in den einzelnen Stadtteilen zu Schwierigkeiten führt, bei den alteingesessenen Mietern, bei Rentnern, bei Geringverdienern. Die sich diesen Lebensunterhalt dann nicht mehr finanzieren können und dann auch wegziehen müssen. Die Spaltung findet da schon statt."