Rechte Fantasiewelten

"Wie Ihr seid, ist es der Nihilismus"

Der Journalist Thomas Assheuer
Thomas Assheuer © Die Zeit / Michael Heck
Thomas Assheuer im Gespräch mit Tom Schimmeck · 24.04.2018
Was die Rechten in der Moderne vor allem vermissten, sei der Mythos, sagt der Journalist Thomas Assheuer. Die Zuwendung zur mythischen Verklärung sieht er aber in einer realen Krise begründet.

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Frage: Warum hadert die Rechte so sehr mit der Moderne?
Assheuer: Ich kann darin nur einen uralten Topos des rechtens Denkens wiedererkennen, das ist die Sehnsucht nach dem Tragischen. Und der Vorwurf an die moderne Gesellschaft lautet, dass sie das Tragische abgeschafft hat, denn nur das tragische, der unlösbare Konflikt, der Kampf, der Heros und vor allen Dingen: das Opfer schaffen Großes und Geschichtswirksames. Und der moderne Sozialstaat schafft die Tragik des Lebens ab und Heidegger sagt: Die Menschen leiden an der Not der Notlosigkeit. Sie wissen schon gar nicht mehr, was Daseinstiefe ist, Selbstgefühl und so weiter. Und am Ende – das ist natürlich klassischer Nietzsche – am Ende hoppelt nur noch eine Herde über die Welt. Jeder hat sein Lüstchen für den Tag und ein Lüstchen für die Nacht, alles ist gleich und so weiter und so weiter. Das ist eine, sagen wir mindestens 150 Jahre alte Melodie, die immer wieder neu gesungen wird.
Frage: Was sind die Standardwerkzeuge im rechten Begriffsuniversum?
Assheuer: Also ganz sicher sind es die Begriffe Heimat, Sein ist ganz wichtig – also alles, was Statik verspricht, Ruhe gegen die kinetische moderne Gesellschaft, also gegen moderne Beschleunigungsgesellschaft, gegen Veränderung, gegen Aufklärung, gegen Rationalität. Alle Gegen-Begriffe werden mobilisiert. Und das ist Heimat, Natur, Sein, Ewigkeit, oder wie es bei Botho Strauß heißt: "Die Tagesordnung der Ewigkeit", gegen die Flüchtigkeit, gegen die Moderne, die alles auflöst, alles zerstört, alles nivelliert und neutralisiert.
Frage: Zunehmend wird auch Denkern und Dichtern vorgeworfen, sich wieder dieses Werkzeugkastens zu bedienen. Sehen Sie diese Tendenz?
Assheuer: Alles was Literatur und Schriftsteller betrifft, würde ich vorsichtiger sein mit politischen Vorwürfen. Denn das ist nun mal einfach der Raum der Phantasie und den sollten wir freihalten. Auch wenn ich mir natürlich sicher bin, dass die AfD und die sie unterstützenden Rechtsintellektuellen in dem Moment, wo sie die Macht hätten, alles tun würden, um diesen Raum der Phantasie wieder einzuschränken.
Frage: Michel Houellebecq zum Beispiel, Botho Strauß oder auch Christian Kracht – diesen sehr unterschiedlichen Schriftstellern wurde vorgeworfen, sich der Gedankenwelt der Rechten anzunähern.
Assheuer: Wenn das Literatur ist, finde ich es noch harmlos oder finde ich es eher diagnostisch vielleicht sogar interessant. Aber in dem Moment, wo es politisiert wird, wird es natürlich gefährlich. Der Umstand, dass es heute wieder rezipiert wird, dass es offensichtlich für einige attraktiv ist, zeigt doch, dass gewisse Konstanten in der Gesellschaft so geblieben sind wie früher.
Frage: Hier wird offenbar ein massiver Zweifel an der Moderne verhandelt
Assheuer: Was ich glaube, was dahintersteckt, ist die Idee – gerade bei Kracht, aber auch bei Botho Strauß, die Welt als so leer zu beschreiben, dass wir alle wieder die Sehnsucht nach dem Mythos bekommen, was immer der Mythos sein soll. Die Moderne wird auf ganzer Linie disqualifiziert, sie ist eigentlich vollständig auf den Hund gekommen, sie ist eigentlich nur noch Dreck, sie ist nur noch Geld, sie ist absolut nichtswürdig. Aber aus der Beschreibung der nichtswürdigen Moderne entsteht eine saugende Leere, die uns klarmachen soll: Euch fehlt doch was. Euch fehlt der Mythos, Euch fehlt die Ordnung, das alte Sinnversprechen, was immer der Mythos sein soll, das bleibt völlig im Unklaren. Aber so wir Ihr seid, ist es der Nihilismus. Also die Moderne ist ein nihilistisches Projekt; die Demokratie gehört auch zu diesem nihilistischen Projekt dazu, damit auch die Versprechen von Gleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit. Es ist alles der große dekadente Komplex. Das lässt man untergehen in den Romanen. Und dabei belässt man es aber nicht, sondern erzeugt gleichzeitig dieses Gefühl einer absoluten Leere und in diese Leere kann dann der wiederkehrende Mythos eindringen. Der Mythos ist ein autonomes Geschehen, den können wir nicht kontrollieren, der kommt von alleine, aber er ist ewig. Denn wenn er nicht ewig wäre, könnte er auch nicht wiederkehren. Und dann ist die Moderne zu Ende.
Frage: Ein Beispiel?
Assheuer: Botho Strauß lässt die Demokratie in einem der hässlichsten Bilder, die ich kenne, untergehen: Die Demokratie ist im "Jungen Mann" die hässliche Schlange, die sich selber auffrisst.
Frage: Andersherum gefragt: Ist denn die Krise der Moderne nur Einbildung?
Assheuer: Naja, wenn sie die letzten Jahre Revue passieren lassen, können sie ja schon auf die Idee kommen, dass der – nennen wir es sehr grob: – liberal organisierte Kapitalismus, die Gesellschaft, die wir verteidigen in der Regel, eine gewisse Krise durchlebt. Die Krise des Westens haben sich nicht die Journalisten ausgedacht, sie existiert in der Tat. Denken sie an die Anhäufung der Krisengefühle, sie brauchen nur an den Beinahe-Kollaps der Weltwirtschaft zu denken, an die Umweltkatastrophe und so weiter. Da werden sie den Eindruck nicht los, dass wir es mit Erschöpfungszuständen oder Finalstadien zu tun haben, auf die die Linke keine Antworten mehr hat, die Liberalen ihr Weiter-so zelebrieren und niemand da ist, der Alternativen formulieren kann. Und jeder hat doch das Gefühl, dass etwas aus dem Ruder gelaufen ist und dass die Politiker nicht mehr Herr der Lage sind.
Frage: Sehen Sie historische Parallelen?
Assheuer: Zum Beispiel der Druck, der auf den Nationalstaaten lag Ende der 20er Jahre, die Hilflosigkeit nationaler Regierungen, mit Weltgesellschaft klarzukommen. In dieser Zeit sind die Konzepte von Carl Schmitt, das Konzept des autoritären Liberalismus, ja entwickelt worden. Und darauf greifen die zurück und sagen: "Ah, siehe da: Das passt doch heute auch wieder!"
Frage: Wie hätten Sie reagiert, wenn man ihnen ein derartiges Comeback des autoritären Denkens vor zehn oder zwanzig Jahren prophezeit hätte?
Assheuer: Es hätte mich amüsiert. Mit wäre eingefallen, dass ich 1991 zusammen mit Hans Sarkowicz beschlossen hab’, dass die alte Rechte – aber damals nannten wir sie schon neue Rechte – endgültig mit der Wiedervereinigung verschwinden wird. Also sie sehen: Damals schon ein ganz großer Irrtum.
Frage: Wird hier politisch aufrichtig gekämpft?
Assheuer: Da die moderne Gesellschaft ja ohnehin aus der Sicht der Rechten vollständig verlogen ist, dürfen sie in ihr lügen. So lautet die Begründung. Die moderne Gesellschaft ist Lüge, wir kennen die Wahrheit, aber damit wir in dieser Gesellschaft bestehen können, dürfen wir auch lügen. Also insofern haben die auch kein schlechtes Gewissen dabei.
Frage: Was empfinden Sie, wenn sie den wachsenden Lärm der Autokraten – Trump, Putin Orbán, Erdogan und viele mehr – in den Nachrichten verfolgen?
Assheuer: Diese Überbietungskonflikte, dieser Teufelskreislauf, der beunruhigt mich. Und wir wissen nicht genau, zu welchen Kettenreaktionen es in dieser rasend komplexen Weltgesellschaft kommen könnte. Rechte Phantasien sind immer Kontrollphantasien. Der Staat hat wieder die Kontrolle. Der gute Herrscher hat wieder die Kontrolle. Und sie sehen: Das sind Ideen, die gegen die Weltgesellschaft gerichtet sind, die die Leute ja nur verunsichern. Aus der Weltgesellschaft kommt nichts Gutes mehr.
Frage: Entsteht hier eine Art rechtslinke Querfront des Weltverdrusses?
Assheuer: Das sind die gemeinsamen Beobachtungen, die links und rechts dann teilen: Die Demokratie ist nur noch eine Funktion des Kapitalismus – das wäre die linke Version – oder die Demokratie ist nur noch die Funktion einer von vorn herein kaputten Moderne. Sie ist nichts eigenes.
Frage: Wie sieht denn die heile rechte Welt aus?
Assheuer: Das rechte Modell ist eine Gesellschaft der Ehre, wo jeder an seinen Platz gestellt ist, entweder durch sein Talent, durch seine Herkunft ist ihm das zugewiesen. Und wenn er an diesem Platz steht, hat er seine Ehre, ist anerkannt und muss nicht mehr kämpfen. Die liberale Gesellschaft ist eine Gesellschaft der Würde, wo jeder dieselben Chancen haben sollte und der Platz, den er sich dann erobert in der Gesellschaft, verdankt sich seiner eigenen Leistung. Daraus entstehen natürlich große Enttäuschungen. Sie strengen sich an und sie bekommen aber nicht den Ort in der Gesellschaft, nicht die Anerkennung, von der sie glauben, das sie ihnen zusteht.
Frage: Was ist dann die alternative Verheißung – etwa eines Donald Trump?
Assheuer: Trump hat gesagt: Ich liebe auch die Dummen. Das ist ganz wichtig. Denn die Demokraten hatten versprochen: Strengt euch an, dann kommt ihr weiter. Nutzt es! Und Trump hat sofort erkannt, welches Enttäuschungspotential daraus entsteht, wenn Menschen glauben, ihre Chancen genutzt zu haben, aber dafür dann nicht genügend Gratifikation zu bekommen.
Frage: Gerade in den USA, aber auch bei der europäischen Rechten – AfD inklusive – hat man den Eindruck, als würden Neoliberale, Ultralibertäre und stramm Rechte zu einer neuen Allianz zusammenfinden.
Assheuer: Das ist eine der brisantesten Konstruktionen, die sie im Moment finden: Die rechten Libertären, die plötzlich Resonanz finden bei ganz Konservativen. Warum? Das ist a) der Staatshass, es ist eine Form von Anarchismus, die die Rechten an darwinistische Gesellschaften erinnert. Also der aufrechte Libertäre ist in den Augen der Rechten ein Darwinist, der ein Naturgesetz realisiert – der Stärkste wird gewinnen. Und vor allen Dingen haben sie eine Kampfgesellschaft, die nicht sozial nivelliert wird. Das heißt, sie haben plötzlich wieder die Tragik im Spiel. Also, wenn sie das rechte Libertäre zu Ende denken, dann haben sie eine Kampfgesellschaft, die die tragischen Sehnsüchte bestimmter Leute zu erfüllen scheint. So schließen sich die scheinbaren Extreme des rechten Denkens und des libertären Denkens plötzlich doch zusammen.
Frage: Wie nah steht etwa ein Steve Bannon den klassischen deutschen Rechtskonservativen?
Assheuer: Bannon – der hat ja dasselbe Denken wie Carl Schmitt auch. Der Staat ist schwach, wenn er in die Wirtschaft interveniert, weil er Frieden stiften will. Und Bannons Vorstellung ist: Der Staat muss sich vollständig aus der Ökonomie zurückziehen, dann erst ist er ein starker Staat. Die Ökonomie muss nach ihren eigenen Gesetzen funktionieren und der Staat sorgt jetzt nur noch, über diese Kampfgesellschaft, für Ordnung, Sicherheit – Kampf gegen den Islam– und so weiter. Das ist ein Modell, was schon Carl Schmitt in den 20er Jahren entwickelt hat.

Was macht den Hass auf alle, die anders sind, so attraktiv? Die Feature-Reihe HERD. HEIMAT. HASS. geht den Wurzeln rechten Denkens auf den Grund.

Thomas Assheuer ist Feuilleton-Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit". Er beschäftigt seit Jahrzehnten immer wieder auch mit konservativem denken. Seine Texte finden Sie hier.
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