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Frankreich
Aufstand auf dem Dorf

Bis 2017 will die französische Regierung 50 Milliarden Euro einsparen, um der Staatsverschuldung Herr zu werden. Dabei geht es auch den Kommunen an den Geldbeutel.

Von Suzanne Krause | 24.09.2015
    Der Trickfilm-Spot im Internet zeigt den bunten Alltag in einer Stadt: Kinder auf dem Schulweg, eine vollbesetzte Trambahn, in einem Nachbarschafts-Garten gießt eine Frau Salat, vor der Stadtbücherei plaudern einige Passanten. Doch Schlag auf Schlag ploppen Schulgebäude, Straßenbahn, Gemüsegarten und alle anderen öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen weg – weil der Gemeinde wegen der gekürzten staatlichen Subventionen das Geld ausgeht. Die Bürger finden sich im Nichts, in der Wüste wieder. Bis alle gemeinsam einen Schriftzug formen: Ensemble, miteinander wollen sie gegen die Kürzung staatlicher Mittel vorgehen.
    Eine Botschaft, die ankommt. Die Online-Petition des Vereins der Bürgermeister verzeichnet schon weit über 41.000 Unterstützer. Auch die Beteiligung am landesweiten Aktionstag vor einigen Tagen war groß.
    In Beton-Bazoches hat der Bürgermeister neben der mittelalterlichen Kirche einen Infostand aufgebaut, verziert mit dem Kampagnen-Sticker 'Ich liebe meine Gemeinde'. Seine Gemeinde zählt 820 Einwohner und liegt in einer ländlichen Region 80 Kilometer östlich von Paris. Alain Boullot, der Ortsvorsteher, erklärt einer Rentnerin, was die Kürzung der staatlichen Zuwendungen konkret bedeutet.
    "Glücklicherweise sind wir gerade mit der Kirchen-Renovierung fertig, nun wollten wir eigentlich die Bürgersteige ausbessern. Aber dafür sind erst einmal keine Mittel mehr da."
    Das Gemeinde-Budget beträgt 550.000 Euro. Ein Siebtel davon sind staatliche Zuwendungen: über 80.000 Euro. Doch in diesem Jahr erhält der kleine Ort 13.000 Euro weniger vom Staat. Bürgermeister Boullot schätzt sich noch glücklich: Beton-Bazoches ist nicht verschuldet. Im Gegensatz zu manch anderer Kommune in Land, die zum Enger-schnallen kein Gürtelloch mehr übrig hat. Die Städter beneidet Christophe Hubert, ein Dorfbewohner, nicht.
    "Bei uns bringen sich die Bewohner noch ein und erledigen manche Arbeiten, die aus der Gemeindekasse nicht mehr bezahlt werden können. In großen Ballungsgebieten allerdings ist so etwas undenkbar. Hier auf dem Dorf kennt doch jeder jeden, hier gibt es noch Solidarität."
    Wenn im kommenden Jahr der Staat seine Subventionen noch drastischer kürzt, wird Boullot die Gemeinde-Mitarbeiter kaum noch Vollzeit beschäftigen können. Doch der Gedanke, die lokalen Steuern anzuheben, bereitet Bürgermeister Alain Boullot Sorgen.
    "Wenn es mit den Mittelkürzungen so weitergeht, wird es bei uns noch richtig knallen."
    20 Kilometer weiter nördlich, Villeneuve-sur-Bellot, 1.200 Einwohner. Jean-Claude Laplaige hat ein Flugblatt mit dem Kampagnen-Slogan an die Tür seines Rathauses gepappt. Im Sekretariat liegt die Petition des Vereins der Bürgermeister Frankreichs aus. Eine junge Mutter signiert sie gerade.
    "Ich bin Pendlerin, was ich am meisten fürchte, ist, dass die außerschulische Kinder-Betreuung gekürzt wird."
    Das fürchtet auch Bürgermeister Laplaige. Der Parteilose sagt wortwörtlich, der Staat würde den Gemeinden Gelder stehlen, die ihnen zustünden. Noch nie habe er eine so breite Protestbewegung auf kommunaler Ebene erlebt. Dass die konservative Opposition das Ganze anfache, um die sozialistische Regierung zu schwächen, sei vielleicht ein Grund. Aber der massive Zulauf liege wohl eher an der aktuellen Gebietsreform, meint der Bürgermeister,. Diese Gebietsreform stelle die bisherigen Kompetenzen der Gemeinden in Frage und verunsichere Bürger und Lokalpolitiker ungemein.
    "Denn es ist doch an der Gemeinde, für den sozialen Zusammenhalt zu sorgen."
    Doch wenn sie das nicht mehr könne, müsse jeder Bürger sehen, wie er alleine klar komme. Und dann, fürchtet der Bürgermeister, denke auch jeder nur an seinen eigenen Vorteil.