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Frankreich
Das Kollektiv gegen Islamfeindlichkeit und seine Feinde

Das "Collectif contre l'Islamophobie en France" fordert Muslime auf, islamfeindliche Vorfälle zu melden. Laut dem aktuellen Jahresbericht geht die Zahl der Taten erfreulicherweise zurück. Kritiker werfen der Vereinigung allerdings vor, Muslime in eine Opferrolle zu drängen.

Von Bettina Kaps | 01.02.2017
    Didier Leschi leitet das staatliche Amt für Einwanderung und Integration in Frankreich.
    Didier Leschi kritisiert die Arbeit des CCIF. (Deutschlandradio / Bettina Kaps)
    Saint-Ouen, eine Vorstadt im Norden von Paris. Die Adresse führt in einen schäbigen Hinterhof. Kein Namensschild, kein Logo, nichts verrät, dass hinter einer grauen Metalltür das "Kollektiv gegen Islamfeindlichkeit in Frankreich", kurz CCIF genannt, seinen Sitz hat. Diese Diskretion steht im auffälligen Gegensatz zur effektiven Öffentlichkeitsarbeit des Vereins: In traditionellen und sozialen Medien ist das Kollektiv gut vertreten.
    Zur Vorstellung seines Jahresberichts haben immerhin ein Dutzend in- und ausländische Journalisten den Weg in den Hinterhof gefunden. Marwan Muhammad, Vorsitzender des CCIF, verteilt ein Info-Blatt mit einer erfreulichen Überschrift: "Deutlicher Rückgang der islamfeindlichen Taten". Muhammads Erklärungen klingen jedoch weit weniger optimistisch.
    Er sagt: "Im Jahr 2016 haben wir zwei Entwicklungen beobachtet: Rein zahlenmäßig sind die islamfeindlichen Taten um 36 Prozent zurück gegangen. Wir haben 580 Handlungen verzeichnet, deutlich weniger als 2015 mit 900 islamfeindlichen Akten und ebenfalls weniger als 2014. Dahinter verbirgt sich aber auch eine schlechte Nachricht: Der zahlenmäßige Rückgang entspricht nicht unbedingt der Wirklichkeit."
    App für die Meldung von Diskriminierung
    Das CCIF ermutigt die Muslime im Land, ihm jegliche Art von Diskriminierung zu melden. Dafür hat es eine Hotline und eine App eingerichtet. Viele Anrufer wollten allerdings nur berichten, was ihnen widerfahren sei, um sich Luft zu machen, und auch für die Statistiken. Sie zögerten aber, Klage einzureichen. Andere hingegen würden bei der Polizei abgewiesen, behauptet Muhammad. Er beschuldigt die Regierung:
    "Sie gibt den Menschen nicht klar zu verstehen, dass sie entschlossen gegen Islamophobie vorgeht. Deshalb macht sich Defätismus breit, die Betroffenen vertrauen den Behörden nicht."
    Marwan Muhammad, Vorsitzender des Kollektiv gegen Islamfeindlichkeit in Frankreich (CCIF).
    Marwan Muhammad, Vorsitzender des CCIF (Deutschlandradio / Bettina Kaps)
    Die Statistiken des CCIF beruhen weitgehend auf den Einschätzungen und Empfindungen der Betroffenen, nicht auf objektiven Fakten. Trotz dieser Kritik werden die Zahlen des Vereins als relevant eingeschätzt und in französischen Medien zitiert.
    Bei den muslimfeindlichen Angriffen handelt es sich laut CCIF in erster Linie um die Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch, außerdem um Gewalttaten, Angriffe gegen religiöse Gebäude, Hassreden und Drohungen. Insgesamt richteten sich drei Viertel aller Angriffe gegen Frauen. Das Kollektiv bemüht sich, zu vermitteln und den Frauen zu ihrem Recht zu verhelfen.
    Ausnahmezustand in Frankreich führt zu Diskriminierung
    Auch der Ausnahmezustand, der in Frankreich nun schon seit den Terroranschlägen vom November 2015 ununterbrochen in Kraft ist, führt laut dem CCIF zu islamfeindlichen Handlungen. Ein weiteres Kapitel im Jahresbericht betrifft das politische Klima im Land.
    Marwan Muhammad sagt: "Monat für Monat kommt es zu islamfeindlichen Parolen, und zwar bei allen politischen Parteien, von den Extremrechten bis hin zu den Sozialisten. Es sind Signale an die populistische Wählerschaft: Seht her, vor Fundamentalisten und Parallelgesellschaften weichen wir nicht zurück.
    In Frankreich pflegt das "Kollektiv gegen Islamfeindlichkeit" Kontakte zu mehreren Ministerien, außerdem arbeitet es mit verschiedenen staatlichen Gremien zusammen, wie der Nationalen Beratungskommission für Menschenrechte oder dem Nationalen Ombudsmann.
    Aber es hat auch erbitterte Gegner. Dazu gehören beispielsweise Ex-Premierminister Manuel Valls, der bekannte Islamforscher Gilles Kepel oder Didier Leschi. Der hohe Staatsbeamte Leschi war früher Chef der Religionsabteilung im Innenministerium, heute leitet er das staatliche Amt für Einwanderung und Integration. Für Leschi ist das Kollektiv geradezu staatsgefährdend.
    Kritiker bezeichnen Kollektiv als staatsgefährdend
    Didier Leschi kritisiert: "Der Verein überlagert Rassismus mit Fragen der religiösen Identität. Für mich ist das eine ganz gefährliche Irrlehre. Sie kann sogar eine Art Religionskrieg auslösen. Das CCIF will soziale Fragen instrumentalisieren und damit einer Reislamisierung Vorschub zu leisten. Für mich ist dieser Verein genauso gefährlich wie der rechtsradikale Front National. Beide betreiben die Konfrontation anhand von religiösen Fragen. Dabei ist genau das Gegenteil nötig."
    Nach Ansicht des Wissenschaftlers Gilles Kepel will das Kollektiv die französischen Muslime in eine Opferrolle drängen und über ihre Sorgen und Nöte vereinnahmen. Außerdem werde jegliche Kritik an der muslimischen Welt erstickt, indem es diese sofort als islamophob brandmarke.
    Marwan Muhammad geht auf die Vorwürfe inhaltlich nicht ein. Er fühlt sich durch Kritik geradezu bestätigt: "Die Stimme des CCIF wird immer mehr gehört und auch immer schärfer kritisiert – das ist ein Beweis für unsere Arbeit."
    Das Kollektiv gegen Islamfeindlichkeit in Frankreich hat eigenen Angaben zufolge 12.500 Mitglieder. Es bezeichnet sich als areligiös und apolitisch. Bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen werde sein Verein auch keine Wahlempfehlung geben, beteuert Marwan Muhammad, aber jede politische Entgleisung anprangern. Und jeden Vorschlag, der Muslimen schaden könnte.