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Frankreich
Doping im Rugby offenbar verbreitet

In Frankreich ist Rugby nach Fußball und Radsport die drittbeliebteste Sportart. Pierre Ballester, der vor zehn Jahren das Buch "L.A. Confidential" über Lance Armstrongs Dopingpraktiken herausgebracht hatte, liefert nun auf 300 Seiten Enthüllungen über Doping im französischen Rugby. Eine kleine Bombe, doch der Sport reagiert mit Empörung und kündigt Klagen an.

Von Hans Woller | 08.03.2015
    Rugby-Match Frankreich gegen Wales am 28.2.2015 in Paris
    Rugby-Match Frankreich gegen Wales am 28.2.2015 in Paris (AFP / Martin Bureau)
    Amphetamine seit Anfang der 60er-Jahre, Kortikoide seit dem Beginn der 90er, Mannschaften, in denen die Hälfte der Spieler Rezepte für Medikamente gegen Asthma besitzen, weit verbreitete, von fast allen konsumierte, suspekte Nahrungsmittelzusätze – so das Bild, das Pierre Ballester vom französischen Rugby zeichnet, einer Sportart, die in Frankreich immer noch mit dem Klischee behaftet ist, die gewichtigen Spieler würden sich allein von Rotwein und dem südwestfranzösischen Bohnengericht Cassoulet ernähren und es handle sich um einen Sport unter Freunden und Gentleman, bei dem die dritte Halbzeit mit rauschenden Festen ebenso wichtig sei wie die 80 Minuten auf dem Spielfeld. Der Autor hat mit Hilfe von Dutzenden Zeugen eine ganz andere Welt ausfindig gemacht, vor allem seitdem Rugby in Frankreich vor 20 Jahren ein Profisport wurde:
    "Der Rugbyspieler befindet sich zwischen Hammer und Amboss und die Ärzte ebenso. Vom Spieler verlangt man, dass er einerseits zum Feiern bereit ist, andererseits aber soll er rigoros und asketisch leben. Man will, dass er zugleich Marathonläufer ist und Gewichtheber. Das ist aber reichlich kompliziert. Dieser Sport ist enorm expandiert. In 15 Jahren hat er bei der Finanzmasse 1000 Prozent zugelegt und die Spieler bei der Muskelmasse 20 Prozent. Eine Eskalation ohne Ende."
    Spieler werden schwerer, aber nicht langsamer
    Spieler, die innerhalb eines Jahres zehn Kilo zugenommen haben und trotzdem die hundert Meter in zwölf Sekunden laufen, sind im französischen Rugby immer häufiger anzutreffen. Pierre Ballester, der nebenbei daran erinnert, dass aus der voll gedopten südafrikanischen Weltmeisterschaft von 1995 mittlerweile die Hälfte der Spieler unter degenerativen Erkrankungen leiden oder gar verstorben sind und dass die Lebenserwartung im amerikanischen Football bei 55 Jahren liegt, hat bei seinen Recherchen über ein dutzend Ärzte befragt, darunter seinen Hauptzeugen, der sich zwischen 1975 und 95 um Frankreichs Rugby Nationalmannschaft kümmerte.
    "Ärzte haben erzählt, dass sie sich mit dem Staff oder dem Trainer praktisch geprügelt haben, wenn es darum ging, einen verletzten Spieler zu schützen. Rugby hat sich beschleunigt, was die Anzahl der Spiele angeht und die Heftigkeit beim Zusammenprall. Die Ärzte sprechen heute gar nicht mehr von Zusammenprall, sondern von Kollisionen und vergleichen die Verletzungen im Rugby mit der Traumatologie von Verkehrsunfällen. Wer wird dieses Massaker stoppen? Denn Rugby wird zu einem Massaker. Man braucht bloß eine Zahl zu nehmen: Ein Viertel der Spieler einer Mannschaft in der ersten Liga ist heute nach jedem Wochenende auf der Krankenstation."
    Ehemalige und aktive Rugbyspieler, Trainer oder Vereinspräsidenten aber laufen Sturm gegen Ballesters Buch, drohen mit Verleumdungsklagen oder machen sich einfach lustig. Zum Beispiel der Präsident des Vorjahresmeisters FC Toulon:
    "Bei uns hat es nie einen positiven Fall gegeben, ich bin jetzt seit zehn Jahren in den Kabinen beim Rugby, vor und nach den Spielen und ich habe nie gesehen, dass die Typen was nehmen."
    Zu schlecht, um gedopt zu sein?
    Und meint mit Blick auf die derzeit katastrophalen Ergebnisse der französischen Rugbynationalspieler, wenn die gedopt sind, hätten sie wohl die falschen Mittel genommen.
    Für den Autor, Pierre Ballester, dagegen ist Rugby heute ungefähr dort angelangt, wo sich der Radsport vor dem Ausbruch der Festina-Affäre 1998 befand.
    "Wie immer in Dopingaffären wird der Auslöser von außen kommen: die Festina-Affäre, die Puerto- Affäre, Doping in der DDR oder in der ehemaligen Sowjetunion - nie hat der Sport selbst sein Coming- Out produziert. Viele in den Institutionen des Rugby oder der Dopingbekämpfung sagen uns: Es ist wie eine Zeitbombe, irgendwann wird es explodieren."
    Der Autor steht derzeit, wie schon bei der Affäre Lance Armstrong, erneut wie ein einsamer Rufer in der Dopinglandschaft. Aus dem Rugbymilieu kam ihm bislang nur ein einziger Ex-Nationalspieler der 90er-Jahre, Laurent Bezenech, zu Hilfe, der vor wenigen Monaten selbst ein Buch über die sich wandelnden Werte im Rugbysport geschrieben hat und an die Adresse der heutigen Profis unumwunden sagt:
    Russisches Roulette mit der Gesundheit
    "Sie spielen russisches Roulette und wissen nicht, wie viele Kugeln in der Trommel sind. Sie wissen nicht, welche Risiken sie eingehen und die meisten wissen nicht mal, welche Produkte sie nehmen, weil sie von einem Staff umgeben sind, dem sie vertrauen und der ihnen die schreckliche Frage abnimmt : Akzeptiere ich das oder lehne ich das ab?"
    Bezenech, der anklagt, man habe ihm zum Beispiel während der Rugbyweltmeisterschaft 1995 bei der Nationalmannschaft ohne sein Wissen Kortison verabreicht, stellt auch die Ideologie des "Immer mehr, immer schneller und immer öfter" in Frage:
    "Der Rugbysport ist nie so stark expandiert, wie in den letzten zehn bis 15 Jahren, wirtschaftlich gesehen, und was die damit verbundenen Interessen angeht. Rugby ist heute schlicht Teil der Unterhaltungsindustrie und muss wie alle Profisportarten versuchen, ein Spektakel zu bieten, das so attraktiv wie möglich ist.
    Und es ist, als ginge das eben nur mit Doping.