Freitag, 19. April 2024

Archiv


Frankreich droht ein "heißer Herbst"

In Frankreich, so sagt man, wird eigentlich immer irgendwo gestreikt. Das könnte sich bald durch ein neues Gesetz ändern, das für erhebliche Einschränkungen beim Streikrecht sorgen dürfte. Donnerstag will die Nationalversammlung die so genannte Streikrechtsreform unter Dach und Fach bringen. Die Gewerkschaften haben ihrem Ärger vor dem Parlamentsgebäude bereits Luft gemacht. Über die ersten Schatten für den strahlenden Sarkozy berichtet aus Paris unser Korrespondent Burkhard Birke:

01.08.2007
    Protestkundgebungen vor der Nationalversammlung und vor zahlreichen Präfekturen überall in Frankreich mitten in den Sommerferien: Das war wohl erst ein Vorgeschmack, der Aperitif! Die Hauptspeise der Massenproteste könnten die Gewerkschaften im Herbst servieren. Eine von ihnen, die CGT, droht gar den Verkehr zur Rugby Weltmeisterschaft lahmzulegen!

    Dass der heiße Herbst vermieden wird, ist unwahrscheinlich. Denn Präsident Sarkozy hält, was er verspricht, und er hat den Franzosen ein Mindestservice versprochen. Sein Ziel ist klar: Auch bei Auseinandersetzungen der Tarifpartner sollen die Menschen per Bus, Bahn und Metro zur Arbeit kommen können.
    Betriebe sollen deshalb verpflichtet werden, zu Streikzeiten ein Mindestangebot zur Verfügung zu stellen. Das an sich stellen auch die Gewerkschaften nicht in Frage.

    "Von den Streikenden zu verlangen, sich 48 Stunden vorher zu melden, ist ein klarer Angriff auf das Streikrecht. Das ist eine Einschüchterung und das können wir nicht akzeptieren."

    Konkretisierte dieser Gewerkschafter seine Kritik am Rande einer der zahlreichen Kundgebung gestern. Das Gesetz, das die Regierung zu einem späteren Zeitpunkt auch auf den Flug- und Schiffsverkehr ausweiten möchte, sieht nicht nur die umstrittene Meldepflicht, sondern insbesondere Sanktionen vor für Arbeitnehmer, die streiken, ohne dies zwei Tage vorher angekündigt zu haben! Zweiter Stein des Anstoßes ist die Regel, wonach spätestens acht Tage nach Streikbeginn eine geheime Urabstimmung über die Fortführung der Arbeitsniederlegung stattfinden muss und Streikende keinerlei finanzielle Entschädigung vom Betrieb bekommen dürfen.

    Patrick Delfosse, Gewerkschaftssekretär für die Eisenbahner bei der CGT

    "Es geht doch nicht, dass diejenigen, die nicht streiken, über den Streik entscheiden müssen. Das tangiert auch das persönliche Streikrecht. Die Eisenbahner und die anderen Gewerkschaften, die die Arbeitnehmer im Verkehrsbereich repräsentieren, müssen entscheiden können, ob und wann ein Streik endet. "

    Anders als die Regierung will die Opposition eher auf die Vernunft setzen.
    Martin Malvy, sozialistischer Regionalpräsident in Toulouse:

    "Wir wollen der Regierung klar machen, dass die Lösung gefunden werden muss, indem man den Service der SNCF, der Bahn, und den sozialen Dialog verbessert."

    Diese Worte dürften auf taube Ohren stoßen. Mitglieder der Regierungsmehrheit im Parlament wollten das Gesetz mit exakten Zeitvorgaben sogar noch schärfer fassen. Eine weitere Abmilderung des Gesetzes bei der letzten Lesung morgen kommt für die UMP auf keinen Fall in Frage, zumal die streikgeplagte Öffentlichkeit in Frankreich laut Meinungsumfrage diese Maßnahme überwiegend gut heißt. 79 Prozent wünschen sich den Mindestservice auch bei Flug- und Schiffsverkehr. Ein Meinungsbild, das beim Nachfragen bei Mann oder Frau auf der Straße dann doch etwas differenzierter wird:

    "Der Mindestservice ist eine gute Sache, Da muss man nicht zu Fuß losrasen oder das Auto nehmen oder jemanden finden, der einen mitnimmt ...

    Gibt es den Mindestservice zu den entsprechenden Zeiten? Kann man wirklich auf das Auto verzichten? Es gibt Argumente dafür und dagegen: Die Sache ist nicht von vorneherein ausgemacht!

    Der Mindestservice: Der wird doch nur für den Hochgeschwindigkeitszug gelten, die Regionalzüge, um die schert man sich nicht, da sitzen doch nur Arbeiter drin ... ."

    Genau das soll freilich mit dem Gesetz verhindert werden! Die Verunsicherung bleibt groß und die sozialistische Opposition ist entschlossen, diesen Eingriff ins Streikrecht notfalls vom Verfassungsrat überprüfen zu lassen!