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Frankreich
Ein Land im Ausnahmezustand

2015 war ohne jeden Zweifel ein furchtbares Jahr für Frankreich: Es begann mit den Anschlägen auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo" und endete mit den konzertierten Angriffen vor dem Stade de France, den Cafés in der Pariser Innenstadt und dem Blutbad in der Konzerthalle Bataclan mit 130 Toten. Die Folgen des Terrors haben Frankreich nach wie vor im Griff.

Von Barbara Kostolnik | 05.01.2016
    Das aktuelle Cover der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" in einer Druckerei ein Jahr nach dem Attentat auf die Redaktion.
    Das aktuelle Cover der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" ein Jahr nach dem Attentat auf die Redaktion. (MARTIN BUREAU / AFP)
    Es ist kein geringerer als der Premier-Minister, der im französischen Fernsehen gesteht: "Ich habe auch ein flaues Gefühl im Magen, ich habe vier Kinder" Angst. Der ständige Begleiter der Franzosen seit dem Anschlagsjahr 2015? Nun ja. Viele haben Angst, aber wollen sich von der Angst nicht leiten und dominieren lassen: "Wir finden langsam wieder zu unseren alten Ausgeh-Gewohnheiten von vor den Anschlägen zurück", sagt diese junge Frau am Abend in einer Kneipe, "es bringt ja auch nichts, sich einzuigeln, wir versuchen, wieder Spaß an unserem Leben zu haben".
    Frankreich befindet sich seit den Anschlägen vom 13. November im Ausnahmezustand. Und dieser Zustand dauert an. 10.000 Soldaten und Polizisten sind im ganzen Land verteilt, besonders viele in Paris. Was Pariser und Touristen zu gleichen Teilen verunsichert und beruhigt: "Ich bin Tunesierin, ich fühle mich sicher", und eine ältere Frau nickt heftig und ruft: "Mich beruhigen diese Soldaten, wenn ich sie sehe, das schafft Sicherheit."
    Frankreich haben die Anschläge zugesetzt
    Zumindest gefühlte Sicherheit. Sicher ist auch: Frankreich haben die Anschläge von Januar und November zugesetzt – und sie haben das Land nach wie vor im Griff. Die Debatten, wie man dem Terrorismus begegnet, bestimmen die Agenda: Soll man Terroristen die französische Staatsbürgerschaft entziehen? Ja, sagt der rechtsextreme Front National, ja sagen fast 90 Prozent der Franzosen, und ja sagt der sozialistische Premier-Minister: "Es geht nicht primär darum, wie wirksam diese Maßnahme ist: Sie ist vielmehr überaus symbolisch zu sehen: Diese Sanktion wiegt schwer und sie richtet sich gegen denjenigen, der die Nation verrät wie sonst keiner."
    Frankreich ist im Krieg, dieses Mantra wiederholt der Premier-Minister bei jeder Gelegenheit, und auch der Präsident sieht sich als obersten Kriegsherren: "Face à la guerre, le pays doit prendre les décisions appropriées" Sind im Krieg aber nun wirklich alle Mittel recht? Hausdurchsuchungen einfach so, ständig? Nicht nur Rechtsprofessoren wie Christine Lazerge bezweifeln das: "Das greift wirklich stark in die Bürgerrechte ein, den Rechtsstaat auf diese Weise zu gefährden, das ist unmöglich."
    Täglich werden Bürgerrechte verletzt
    Fakt ist: Im Ausnahmezustand, in dem sich das Land befindet, werden täglich Bürgerrechte verletzt. Und Terroristen nicht gefunden. Trotzdem gibt es keinen Aufschrei. Höchstens Sarkasmus: "Diese Durchsuchungen, die derzeit statt finden, sind wirklich zum Schießen: Ein Djihadist, den ich kenne, hat mir gesagt: Wenn sie so weitermachen finden sie tatsächlich noch einen echten Djihadisten." David Thomson ist ein echter Kenner der Djihadisten-Szene.
    Er hat seine Kontakte, und was er erzählt, klingt wenig beruhigend: "Alle, die sich auskennen, wissen, dass wir in einer neuen Zeitrechnung angekommen sind: Diese Attentate werden nicht aufhören, das nächste kommt bestimmt, es ist unvermeidlich" Thomson macht sich keine Illusionen über die strukturelle Nutzlosigkeit der Geheimdienste, neues Geheimdienst-Gesetz hin oder her. Wird Frankreich nun weiter Sicherheit über Freiheit stellen? Wenn dem so wäre, hätten die Terroristen gewonnen. Denn: Angst essen Seele auf.