Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Frankreich
Keine Antworten nach tödlichem Medikamententest

Bei einem Test eines neuen Wirkstoffes in Rennes haben sechs völlig gesunde Menschen teils schwere neurologische Schäden erlitten, ein Proband ist gestorben. Der Schock ist groß. Bislang gibt es noch keine neuen Erkenntnisse und die Ärzte im Krankenhaus, die die Probanden behandeln, haben mit dem Wirkstoff noch keine Erfahrungen.

Von Jürgen König | 20.01.2016
    Das französische Unternehmen Biotrial in Rennes
    Das französische Unternehmen Biotrial in Rennes (afp/ Damien Meyer )
    "Ungeklärt und unerklärlich" findet François Peaucelle das, was passiert ist; immer wieder verweist der Geschäftsführer des privaten Forschungslabors Biotrial in Rennes im Interview mit der Zeitung "Ouest France darauf hin, dass doch alle Versuchsreihen "von den französischen Aufsichtsbehörden genehmigt" worden seien, alles sei "in voller Übereinstimmung mit den internationalen Bestimmungen" durchgeführt worden, auch jetzt arbeite man eng mit den Behörden zusammen.
    Ratlosigkeit und Fassungslosigkeit
    Auch die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine zeigt sich ratlos, fassungslos – ein vergleichbares Ereignis wie das, was jetzt geschehen ist, habe es noch nie gegeben – und das sei Aufforderung genug, bei den kommenden Untersuchungen die größte Wachsamkeit zu zeigen.
    Das portugiesische Pharmaunternehmen Bial hatte Biotrial mit einer Testreihe beauftragt, eine Reihe der sogenannten Phase 1: bei der Wirkstoffe - nach Versuchsreihen an Tieren, in diesem Fall an Schimpansen - zum ersten Mal an Menschen getestet werden. 128 gesunde Männer, zwischen 18 und 55 Jahren alt, meldeten sich letzten Sommer als Freiwillige - Medienberichten zufolge für jeweils etwas mehr als 1.000 Euro pro Woche. 90 von ihnen nahmen das Medikament in einfachen Dosen ein - ohne Komplikationen. Probleme gab es erst, als im Januar sechs Männer mehrere Dosen des Wirkstoffs bekamen. Dabei, heißt es bei Biotrial, sei die "maximal vorgesehene Dosierung noch längst nicht erreicht" gewesen.
    Erst fünf Tage nach der Einweisung der sechs Männer ins Universitätsklinikum von Rennes, erst als ein Patient für hirntot erklärt werden muss, wird der Fall öffentlich gemacht - viel zu spät, findet die Ministerin. Von Hirnblutungen und Zellschädigungen ist zunächst die Rede, zwei Tage später stirbt der schon hirntote Proband. Der Pariser Kardiologe Alain Ducardonnet findet das sehr erstaunlich. Man könne sich doch gar nicht vorstellen, sagt er, dass bei den Tieren, an denen der Wirkstoff versucht wurde, nichts geschehen sei, gar nichts, während es beim Menschen gleich beim ersten Mal eine so starke Reaktion gegeben hätte! Es sei wirklich sehr dramatisch.
    Wirkstoff hat noch keinen Namen
    Mit konkreten Informationen halten sich bisher alle Beteiligten zurück, der Wirkstoff hat noch keinen Namen, ist bekannt nur als Kürzel BIA 10-2474, er wurde zum Patent angemeldet, Veröffentlichungen dazu gibt es nicht. Während der Hersteller Bial von einem Wirkstoff im Schmerzbereich spricht, gibt Gesundheitsministerin Marisol Touraine an, es handele sich um einen Enzymhemmer, der im Nervensystem auf die Behandlung von Stimmungs- und Angststörungen sowie auf motorische Störungen zielen soll, die verknüpft seien mit neurodegenerativen Erkrankungen - wie etwa der Parkinson'schen Krankheit.
    Wurden die Tests regelkonform durchgeführt? Wurden Fehler gemacht? Liegt das Problem im Wirkstoff an sich? Ist es die Dosierung? Wirkt der Stoff direkt auf das Nervensystem ein, handelt es sich um eine Immunreaktion? Niemand weiß es, derweil liegen noch vier Patienten im Krankenhaus, bei dreien von ihnen werden schwere und nicht heilbare neurologische Schäden befürchtet - und auch hier wissen die Ärzte nicht wirklich, was zu tun ist: Da der Wirkstoff neu ist, gibt es keinerlei Erfahrungswerte zur Behandlung aufkommender Probleme. Marisol Touraine, ratlos, fassungslos, sichert den Opfern Unterstützung zu, will an derlei Versuchen aber unbedingt festhalten.
    "Der Schock für sie, ihre Familien, für uns alle, ist um so größer, als ja diese Menschen, die sich zu den klinischen Tests bereit erklärt haben, ja eigentlich alle gesund sind. Sie sind ja nicht krank! Und sie haben natürlich in gar nichts erwartet, mit einem solchen Unfall konfrontiert zu werden! Aber - ich will ihnen auch sagen, dass ich ihnen dankbar bin, für das, was sie bisher getan haben. Denn diese klinischen Tests sind wichtig: Damit Medikamente entwickelt werden, mit denen dann andere gut versorgt werden können."
    Untersuchungsergebnisse, so heißt es, werden nicht vor Monatsende vorliegen, ein Bericht wird nicht vor Ende März fertig sein.