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Frankreich
Macrons Senkrechtstarter

Rund 300 Abgeordnete sind letztes Jahr für Emmanuel Macrons Partei "En Marche!" in die französische Nationalversammlung eingezogen. Viele von ihnen sind allerdings Neulinge in der Politik und mussten erst einmal lernen, mit dem Politik-Alltag und den Erwartungen der Regierung umzugehen.

Von Suzanne Krause | 28.02.2018
    Die Abgeordnete Anne Genetet an ihrem ersten Tag in der Nationalversammlung.
    Die Abgeordnete Anne Genetet an ihrem ersten Tag in der Nationalversammlung. (Deutschlandradio / Suzanne Krause)
    Der vierte Stock im Pariser Abgeordnetenhaus, hinter dem Parlaments-Palast gelegen. Anne Genetet ist unterwegs in ihr Büro. Vor acht Monaten betrat die Neupolitikerin erstmals das Gebäude, als sie für Macrons Partei "La République en Marche" ins Parlament gewählt wurde. Heute kennt sie den hiesigen Alltag in- und auswendig.
    In wenigen Minuten werde sich der Flur beleben, sagt die 54-Jährige, wenn die Abgeordneten zur wöchentlichen parlamentarischen Fragestunde eilen. Anne Genetet wirkt gerädert, sie ist viel unterwegs: letzte Woche war sie auf Rundreise in Asien, Anfang Januar hatte sie Staatspräsident Emmanuel Macron bei seiner Chinareise begleitet, der nächste Termin ist eine Konferenz in London.
    "Die Zeit vergeht wie im Flug, so rasend schnell, das ich auf Anhieb gar nicht mehr weiß, welchen Tag wir haben. Die Arbeit reißt nicht ab und es wird immer interessanter. Mir kommt es so vor, als sei ich erst gestern in die Nationalversammlung gewählt worden. Und gleichzeitig habe ich das Gefühl, schon so viel getan zu haben."
    Eine völlig fremde Welt
    Ob Arbeitsrecht, Hochschulreform oder Steuerwesen: Eine Reform nach der anderen hat die Regierung unter Staatspräsident Macron seit letztem Sommer auf den Weg gebracht. Das Tempo sei atemberaubend, meint mancher Nachwuchs-Abgeordneter. Um nicht zu sagen: mörderisch. Einige der Neulinge, heißt es in den Medien, seien kurz davor, das Handtuch zu werfen. Auch Anne Genetet gibt zu: Die ersten Monate seien sehr schwierig gewesen. Weil die politische Bühne für sie noch eine völlig fremde Welt war.
    "Seit Januar habe ich endlich Fuß gefasst und begriffen, wo es langgeht. Heute verfüge ich über ein Netzwerk, bin vertraut mit den Gepflogenheiten und weiß, wo ich mich nützlich machen kann. Und der Premierminister hat mir sogar eine parlamentarische Mission anvertraut."
    Sie soll die Interessen der Auslandsfranzosen im Steuer- und Sozialversicherungsbereich vertreten. Dafür scheint Anne Genetet prädestiniert: Seit 2005 lebt die studierte Ärztin mit ihrer Familie in Singapur - bis heute. Von dort, fern ihres Heimatlands, verfolgte sie vor einem guten Jahr Macrons unaufhaltsamen Aufstieg. Begeisterte sich für sein Versprechen, Politik anders zu betreiben. Links und rechts ebenso unter einen Hut zu bringen wie manches scheinbar Gegensätzliche. Ein Regierungsstil, der Anne Genetet mehr und mehr zum Macron-Fan werden läßt.
    Es kann schlagartig vorbei sein
    Das Bürotelefon klingelt permanent, die beiden Handys piepen wegen eingehender Nachrichten noch viel öfter. Genetets anfängliche Sorge, in der abgeschotteten Welt der Nationalversammlung den Kontakt zur Wirklichkeit zu verlieren, hat sich als unberechtigt erwiesen.
    In letzter Zeit hört sie bei Treffen mit Bürgern Ermunterndes: Macron habe die Dinge in Bewegung gebracht. Doch die Nachwuchs-Abgeordnete weiß auch, dass ihre politische Karriere schlagartig vorbei sein kann.
    "Die Anhänger von Macron folgen ihm, weil sie sich von seinen Überzeugungen angezogen fühlen. Aber unserer Bewegung fehlt die Struktur. Bei der konservativen Partei Les Républicains ist es genau umgekehrt: Sie hat eine Struktur, dafür mangelt es ihr an Überzeugungen. Gewachsene Strukturen aber können in einem Wahlkampf die ausschlaggebende Stärke sein. Wenn es uns nicht gelingt, landesweit Parteigruppen aufzubauen, können wir eben so schnell wieder verschwinden wie die Bewegung vor nicht mal zwei Jahren entstanden ist."