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Frankreich
"Politisch missachtete" Katholiken machen Politik

Rechts vom Front National hat sich eine neue Partei gebildet: Civitas. Ihr Parteivorstand Alain Escada will einen katholischen Gottesstaat, ein Abtreibungsverbot und das Aus für die Homo-Ehe. Die Anhängerschar ist klein, aber einflussreich im Diskurs über eine neue "völkische Verwurzelung".

Von Suzanne Krause | 26.09.2016
    Porträt von Alain Escada, Parteivorstand von Civitas.
    Alain Escada, Parteivorstand von Civitas. (dpa / picture alliance / Thomas Padilla)
    Civitas hat zur Pressekonferenz in ein Restaurant nahe dem Pariser Rathaus geladen. Dort sitzt Parteivorstand Alain Escada, ein blässlicher Mittvierziger mit jungenhaften Zügen, umringt von seinen Beratern, fünf Frauen und drei Männern. Gerade mal eine Handvoll Journalisten ist gekommen. Davon unbeeindruckt, spult Escada, routiniert, ein selbstgefälliges Lächeln um die Lippen, sein Parteiprogramm ab.
    "Unsere Parteigründung entspringt einer von uns seit Langem gehegten Ansicht: Die Katholiken sind politische Waisen."
    Civitas' Kreuzzug für die "politisch missachteten" Katholiken in Frankreich kommt nicht von ungefähr, sagt Philippe Portier. Der Religions-Soziologe beobachtet den Verein schon seit langem. Civitas ist eng verbunden mit der Priesterbruderschaft St. Pius X. Die hat ihre Ursprünge in Frankreich, ist geboren aus der Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Und versammelt traditionalistische Katholiken, erklärt Philippe Portier.
    "Die Piusbruderschaft hat sich anfangs in Kirchen, Prioraten, Schulen etabliert. Vor allem ab der Jahrtausendwende drängte sie immer mehr darauf, auch politisch Einfluss zu nehmen. Dafür stützt sie sich nun auf Alain Escada, einen rechtsextremen Belgier."
    Der Civitas-Vorstand verspricht vollmundig einen "radikalen Bruch" mit allen anderen Parteien. Man sei "kompromislos, ohne Selbstzensur". Und laut Alain Escada basiere das Programm der Jungpartei auf "sozialem Katholizismus".
    "Erster Punkt: Abschaffung des Gesetzes von 1905, der Trennung von Kirche und Staat. Und Wiedereinführung des Katholizismus als Staatsreligion."
    Zweite Maßnahme: Abschaffung des Gesetzes für die Homoehe und rückwirkende Annulierung all dieser sogenannten Ehebünde.
    Drittens: Abschaffung des Gesetzes, das den Schwangerschaftsabbruch frei gibt."
    Civitas will staatliche Subventionen für die Presse streichen. Im Visier hat Civitas auch "parasitäre Organisationen, die sich subversiven Aktivitäten hingeben". Gemeint sind Antirassismus- oder auch Schwulen-Vereine - und gar Gewerkschaften. Als selbstverständlich erachtet Escada den Austritt aus EU und NATO. Zudem verlangt er "das Aus für jegliche außereuropäische Immigration. Es ist höchste Zeit, der Bewegung des großen "Volksaustauschs" ein Ende zu setzen."
    Alain Escada wedelt mit einem Flugblatt im Din-A-5-Format, vier Seiten, mit dem blutroten Titel: "Terrorismus, Immigration des großen Austauschs, die Ventwortlichen sitzen in der Regierung". Ein Flugblatt, das Aktivisten kürzlich in Forges-les-Bains verteilten. In dieser Gemeinde im Pariser Großraum ist ein Flüchtlingsheim geplant. Wogegen ein Teil der Bevölkerung revoltiert – kräftig unterstützt von Civitas.
    Die junge Partei für verwaiste Katholiken sucht neuerdings die breite Öffentlichkeit, analysiert Nicolas Lebourg. Der Historiker ist Mitglied der sogenannten "Beobachtungsstelle für politische Radikalitäten". Eine Einrichtung der Stiftung Jean Jaurès, die der sozialistischen Partei nahesteht.
    Hoffen auf eine Platz neben dem Front National
    "Für Civitas ist Marine Le Pen, Chefin des Front National, viel zu laizistisch, viel zu wenig katholisch. Man hofft, sich neben dem Front National einen Platz schaffen zu können – beflügelt vom Erfolg der Manif pour tous, die von Oktober 2012 an eine Million Menschen gegen die Einführung der Homoehe auf die Straße brachte."
    Doch an der Urne lässt der Front National Parteien mit extremeren Positionen derzeit noch weit hinter sich. Allerdings finden die Werke rechtsextremer, identitärer Chefideologen wie Eric Zemmour und Alain Soral in den Buchhandlungen immer mehr Käufer. Und Soral und Civitas-Chef Escada bestritten vor wenigen Tagen gemeinsam einen Diskussionsabend in Nordfrankreich. Das Thema: "völkische Verwurzelung".
    Fünf bis sechs Prozent der praktizierenden Katholiken in Frankreich seien wohl traditionalistisch geprägt. Religions-Soziologe Philippe Portier schätzt ihre Zahl auf maximal 140.000. Sie seien sehr sensibel für ein Hauptthema von Civitas.
    "Eine ganze Randgruppe der in der Kirche verbliebenen Katholiken ist sehr papsttreu und sehr sensibel für Thesen wie die der Christianophobie, des aggressiven Islam, der "jüdischen Finanzherrschaft", die die Gesellschaft steuere", so Portier.
    Nach gewalttätigen Übergriffen von Civitas-Aktivisten auf Gegendemonstranten vor drei Jahren wurde der Ruf laut, den Verein zu verbieten. Vergeblich. Erfolgreicher war die sogenannte Union der laizistischen Familien: Ihre Petition führte zu einer Steuerüberprüfung bei Civitas. Seither reklamiert das Finanzamt 55.000 Euro unterschlagener Steuern. Denn jahrelang hatte die Organisation Spendern Steuererlasse verschafft, ganz so, als sei sie ein gemeinnütziger Verein, sagt Nicolas Gavrilenko, Vorstand der Union der laizistischen Familien.
    "Gemeinnützig ist ein Verein dann, wenn er die Interessen der gesamten Bevölkerung vertritt. Und nicht nur die seiner Mitglieder. Das jedoch ist der Fall bei Civitas, der angibt, die Katholiken zu verteidigen. Er ist gegen die französische Republik. Er ruft auf, bei der Staatsführung zum Reich Gottes zurück zu kehren. Angesichts all dessen ist es schwierig, da ein Gemeinwohl ausfindig zu machen."
    Am Ende der Pressekonferenz warnt Alain Escada all jene, die es wagten, über die politischen Ambitionen von Civitas zu spotten. Er schaut in die Schweiz, nach Polen, Ungarn. Und ins Nachbarland.
    "In Deutschland haben die patriotischen Wähler kürzlich für die Schmach der Regierung gesorgt. Das ist vielversprechend."