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Frankreich
Riskantes Experiment mit inhaftierten Islamisten

In Frankreich wurden bislang mehr als 130 Menschen verhaftet, die als radikale Islamisten gelten sowie 53 Dschihadisten, die aus Syrien und Irak zurückgekehrt sind. Beide Gruppen werden in Gefängnissen zusammengelegt. Man will damit verhindern, dass sie andere Häftlinge zu Gotteskriegern machen. Ein nicht unproblematischer Test, meinen Kritiker.

Von Bettina Kaps | 08.12.2014
    Ein Bild auf dem Hof der Justizvollzugsanstallt Fresnes in Frankreich.
    In der Justizvollzugsanstallt Fresnes in Frankreich sollen Islamisten und Dschihadisten zusammengelegt werden. (AFP/Fred Dufour)
    "Ich bin fest überzeugt, dass wir einen Plan entwerfen müssen, um die islamistische Radikalisierung in den Gefängnissen zu bekämpfen", sagt der französische Parlamentsabgeordnete Guillaume Larrivée.
    Der Oppositionspolitiker hat die Lage in den Gefängnissen untersucht, er schlägt der Regierung konkrete Maßnahmen vor. Zum Beispiel, ...
    "... dass wir für Häftlinge, die aus den Kampfgebieten in Syrien und im Irak zurückkehren, in unseren Gefängnissen kleine Sondereinheiten schaffen, wo wir sie isolieren und einem Anti-Radikalisierungsprogramm unterziehen können."
    Zehn Kilometer südlich von Paris liegt die Justizvollzugsanstalt von Fresnes, eines der größten Gefängnisse des Landes. 2.500 Insassen müssen sich dort 1.600 Plätze teilen. In Fresnes wird derzeit ein Experiment gemacht: 19 Häftlinge, die als radikale Islamisten gelten, wurden zusammengelegt. Aber von Isolierung kann in diesem völlig überbelegten Gefängnis keine Rede sein, sagt der Gefängniswärter Yoan Karar. Er vertritt die Gewerkschaft Force Ouvrière.
    Islamisten unter sich
    "Die Gefängnisleitung hat diesen Test eingeleitet, ohne uns darauf vorzubereiten. Damit die Islamisten keine Mitstreiter anwerben können, wurden die 19 Männer in zwölf Zellen auf ein und demselben Stockwerk gesperrt. Bei Sport und Hofgang bleiben sie jetzt unter sich. Aber auf der Etage gibt es noch hundert weitere Häftlinge. Für alle zusammen ist ein einziger Wärter verantwortlich."
    Die Zusammenlegung habe den radikalen Häftlingen eine regelrechte Sonderstellung verliehen, sagt Karar. Außerdem legten sie es jetzt auf Machtproben an.
    "Sie rufen häufig zum Gebet auf, so etwas gab es vorher in Fresnes nicht. Einige Häftlinge schreien durch die Zellenfenster, dabei rufen sie auch zum Dschihad auf, auf Französisch und auf Arabisch. Sie appellieren an die anderen, die Gefängniswärter zu ermorden und einen Aufstand zu organisieren."
    Forderung nach völliger Isolation
    Das Gefängnispersonal sei nicht in der Lage, diese Provokationen zu verhindern. Wie der Abgeordnete Guillaume Larrivé fordert auch der Gewerkschaftsvertreter, dass die radikalen Häftlinge völlig isoliert und von allen anderen Insassen abgeschottet werden. Aber das eigentliche Problem würde selbst dadurch nicht gelöst, sagt Yoan Karar.
    "Die wirklichen Drahtzieher sind immer noch im ganzen Gebäude verteilt. Wir wissen nicht, wer sie sind, und können diese gefährlichen Personen nicht aufspüren, weil wir völlig überlastet sind. Wir haben viel zu wenig Personal, um sorgfältige Beobachtungen anzustellen."
    Radikale Islamisten oder religiöse Fundamentalisten?
    Außerdem sei es schwierig, radikale Islamisten von religiösen Fundamentalisten zu unterscheiden. Schließlich gehe es nicht darum, den Islam generell zu stigmatisieren.
    Yoan Karar schätzt, dass mindestens die Hälfte aller Insassen in Fresnes Muslime sind - was Rückschlüsse auf die mangelnde Integrationsfähigkeit der französischen Gesellschaft zulässt. Die meisten seien psychisch instabil und auch deshalb für radikal-islamistische Ideen anfällig. Dabei sieht Karar einen relativ einfachen Weg, die Betroffenen zu schützen: den Einsatz von muslimischen Seelsorgern. Der Abgeordnete Guillaume Larrivée teilt diese Ansicht.
    "Die Gegenrede, ein anti-radikaler Diskurs, muss von muslimischen Seelsorgern gehalten werden. Sie sollten gut ausgebildet und echte Rhetoriker sein, damit sie auch als Autorität anerkannt werden. Dann können sie ein Gegengewicht zu den selbst ernannten Imamen bilden, bei denen wir nicht wissen, was sie ihren Mithäftlingen predigen."
    178 muslimische Seelsorger für 30.000 muslimische Häftlinge
    Für die über 30.000 muslimischen Häftlinge in Frankreich gibt es gerade einmal 178 muslimische Seelsorger. Einer von ihnen ist Farid Grine. Der 40-Jährige arbeitet im Gefängnis von Fleury-Merogis, das ebenfalls im Großraum Paris liegt. Er hat eine staatliche Zulassung. Aber eine Ausbildung für seine Aufgabe hat er nie erhalten. Farid Grine trägt eine dicke Aktentasche bei sich: Sie steckt voller Briefe von Gefangenen, die ihn sehen möchten, sagt er. Die Häftlinge müssen viel Geduld haben.
    Oft dauert es Monate, bis er sie besuchen kann. Selbst für das Freitagsgebet hat er Wartelisten, weil sich höchstens 60 Gefangene in einem Raum versammeln dürfen. In seinen Predigten, in Gesprächskreisen und bei Einzelbesuchen in der Zelle versucht Farid Grine die Gefangenen zu beschwichtigen und Selbsttötungen zu verhindern.
    Grine weiß auch, dass die Gesellschaft von ihm mehr erwartet als von seinen christlichen und jüdischen Kollegen: Er soll verhindern, dass sich einzelne Häftlinge radikalisieren, und die Gefängnisleitung warnen, falls er erste Anzeichen dafür entdeckt. Farid Grine lehnt das ab.
    Seelsorger sollen Begleiter sein, nicht Überwacher
    "Es stimmt, der Seelsorger ist der erste, der einer Radikalisierung wehren kann. Aber meine Aufgabe ist es nicht, Alarm zu schlagen. Ich muss die Häftlinge von der richtigen Auslegung der Religion überzeugen. Sollte ich tatsächlich einmal feststellen, dass ein Gefangener radikale Ideen hat, dann suche ich erst recht das Gespräch mit ihm. Für eine Überwachung gibt es andere Dienste. Ich begleite die Männer auf ihrem spirituellen Weg."
    Farid Grine erhält eine magere Abfindung von 660 Euro im Monat. Wenn der Staat die Seelsorger nicht materiell absichern will, sagt er, werde es wohl auch in Zukunft an Freiwilligen fehlen. - Das Justizministerium will bis zum Jahresende einen konkreten Plan zur De-Radikalisierung in den Gefängnissen vorlegen.