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Frankreich
Schnelle psychologische Hilfe nach Anschlägen

Kaum ein Land in Europa ist in der Vergangenheit häufiger von Terror-Anschlägen getroffen worden als Frankreich. Besonders jene, die direkt oder indirekt von den Anschlägen betroffen sind, benötigen schnelle Hilfe. Dafür gibt es in Frankreich seit den 90er-Jahren die medizinisch-psychologischen Notfalleinheiten (CUMP).

Von Barbara Kostolnik | 15.08.2016
    Rettungswagen mit Feuerwehrleuten und Verwundeten.
    Psychologen und Psychiater kommen in Frankreich direkt nach einem Anschlag zum Einsatz, um Opfer, Angehörige oder Helfer psychologisch zu betreuen. (picture alliance / dpa / Yoan Valat)
    Die Abendnachrichten an jenem 25. Juli 1995 ähneln in frappierender Weise denen vom 7. Januar oder 13. November 2015.
    Frankreich wird von einer Anschlag-Serie erschüttert, in Paris wird in einem Wagen der Schnellbahnlinie RER B eine Bombe gezündet. Acht Menschen sterben, über 100 werden verletzt.
    "Der damalige Staatspräsident Chirac war ein sensibler Mann, erzählt der Traumapsychologe und Militär-Arzt Louis Crocq, er hatte sich ins Krankenhaus begeben, um sich davon zu überzeugen, dass die Verwundeten gut versorgt wurden; dabei fiel Chirac auf: Viele weinten und zitterten. An ihren psychischen Verletzungen hatte keiner gedacht; und daraufhin sagte er: Da muss man etwas tun"
    Das war der Moment, in dem Louis Crocq auf den Plan gerufen wurde. Crocq, 40 Jahre Militär-Arzt mit Schwerpunkt Posttraumatische Belastungsstörungen als nur Spezialisten diesen Begriff kannten, sollte Abhilfe schaffen.
    "Man hat mir also den Auftrag erteilt und ich habe diese Zellen konzipiert, und zwar so, dass sie direkt nach einem Anschlag oder eine Katastrophe gebildet werden, weil: Je länger man mit der Hilfe wartet, desto mehr verirren sich die Opfer in das Szenario, durchleben es wieder und wieder – und es wird immer schwerer, sie daraus zu befreien."
    Einsatz direkt nach den Anschlägen
    Und so entstanden die ersten CUMP, medizinisch-psychologische Notfall-Zellen. Crocq schulte die Psychologen und Psychiater, die direkt nach einem Anschlag zum Einsatz kommen, um Opfer, Angehörige oder Helfer psychologisch zu betreuen. Auch Lais Ernatus nahm direkt nach den Anschlägen vom 13. November die Hilfe der CUMP in Anspruch:
    "Der Psychologe hat sich eine Stunde Zeit für mich genommen, er hat mich reden lassen, eine Woche danach bin ich wieder hingegangen, ich brauchte das einfach, manchmal geht es mir gut, dann wieder nicht, es ist ein ständiges Auf und Ab."
    In allen Départements in Frankreich sind Psychologen für diese Notfälle geschult, sie werden sofort aktiv, wenn etwas passiert. Nach dem Anschlag von Nizza wurden die Psychologen aus dem ganzen Umkreis hinzugezogen, es war einfach zu viel zu tun.
    "Wir sind hier vom CUMP Marseille, wir arbeiten eng mit dem aus Nizza und dem aus dem Vaucluse zusammen und betreuen die Angehörigen und Opfer des Anschlags von Nizza, erklärte dieser Mitarbeiter, wir versuchen, auf diese Weise zu verhindern, dass sich diese psychischen Verletzungen, die die Menschen erlitten haben, zu Traumata auswachsen."
    Bis zu zehn Tage nach einem Anschlag sind die CUMP in der Regel geöffnet, danach müssen sich Betroffene an öffentliche Kliniken wenden. Der Psychiater Florian Ferreri vom Krankenhaus St. Antoine in Paris hat nach dem Angriff auf den Bataclan-Konzertsaal über 50 Patienten behandelt.
    "In 15 bis 20 Prozent der Fälle wird das Erlebte traumatisch, das bedarf dann einer umfassenden Therapie – was in manchen Gegenden schwierig zu gewährleisten ist."
    "Die Erinnerung bleibt"
    Können Menschen, die ein Attentat miterlebt haben, überhaupt auf Heilung hoffen? Psychiater Crocq wiegt bedächtig den Kopf:
    "Die Erinnerung bleibt. Aber man kann etwas dagegen tun, dass sie sich in ein Trauma verwandelt: Die Menschen müssen lernen, das Geschehen anzunehmen, sich anders an das Geschehene zu erinnern."
    Eines können die Notfall-Zellen den Menschen nicht nehmen: die Angst vor dem nächsten Anschlag. Louis Crocq, der schon in Algerien und Indochina Schreckliches gesehen und erlebt hat, wähnt Frankreich im Krieg. Die psychologische Unterstützung durch die CUMP wird noch lange benötigt werden.