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Frankreich und der Völkermord in Ruanda

Nicht die Miliz des heutigen Präsidenten, sondern reguläre Einheiten der Hutu-Armee sind schuld am Tod des damaligen Präsidenten, lautet das Fazit eines französischen Untersuchungsberichts. Das Attentat gilt als Auslöser des Völkermords, bei dem rund 800.000 Menschen umkamen.

Von Ursula Welter | 12.01.2012
    "C’est un moment historique ..."

    Einen historischen Augenblick nennt der Anwalt Bernard Maingain die Vorlage des neuesten Untersuchungsberichts. Maingain vertritt die engsten Vertrauten des ruandischen Präsidenten Paul Kagame. Die einstigen Tutsi-Rebellen der "Ruandischen Patriotischen Front" waren 2006 vom französischen Untersuchungsrichter Bruguière beschuldigt worden, das tödliche Attentat auf Kagames Vorgänger, den Hutu-Präsidenten Habyarimana, verübt zu haben.

    Diese ursprüngliche Interpretation der Ereignisse vom 6. April 1994 hatte die These der einstigen Machthaber in Ruanda, der Hutu, gestützt. Sie hatten die Ermordung ihres Präsidenten den Tutsi angelastet. Etwa 800.000 Menschen waren dem Völkermord 1994 zum Opfer gefallen. Frankreichs traditionelle Nähe zum Hutu-Regime und der Bericht von 2006 hatten zur politischen Eiszeit zwischen Ruanda und Frankreich geführt.

    Nun also ein neuer Bericht, 18 Jahre nach den fraglichen Ereignissen – ein Bericht der, Zufall oder nicht, in die Zeit der Wiederannäherung beider Staaten fällt. Eine französische Kommission um den Untersuchungsrichter Marc Trevidic forschte 20 Monate lang im Auftrag der Angehörigen der französischen Crew, die das Präsidentenflugzeug 1994 begleitet hatte.

    Ballistik-, Brand- und Sprengstoffexperten machten sich an der Absturzstelle ein Bild und sie sagen nun: Die Rakete auf die Präsidentenmaschine wurde von einem anderen Hügel aus abgeschossen, als bislang behauptet. Auf diesem Hügel habe damals die Hutu-Armee gestanden, der Staatschef sei von Hutu-Extremisten getötet worden, die so den Völkermord an den Tutsi hätten rechtfertigen wollen.

    Damit sei klar, sagte Ruandas Außenministerin Louise Mushikiwabo, Kagames Leute seien unschuldig, die Verfahren in Frankreich seien einzustellen.

    Das beweise nichts, sagt der Anwalt der Witwe des ermordeten Hutu-Präsidenten, Philippe Meilhac. Die Hutu-Armee sei gar nicht in der Bedienung der Raketen russischer Bauart geschult gewesen, mit denen die Maschine abgeschossen wurde. Zu sagen, Kagames Leute seien unschuldig, halte er für voreilig.

    So geht die Polemik um die Ereignisse von 1994 weiter. Dabei passt das neue Dossier ausgezeichnet in die politische Landschaft: 2006, infolge des ersten Untersuchungsberichts, hatte Ruanda die diplomatischen Beziehungen abgebrochen, das Land näherte sich dem Commonwealth an, drängte die französische Sprache zugunsten des Englischen zurück und Paris musste zusehen, wie der französischen Diplomatie eine wichtige Brücke nach Zentralafrika versperrt blieb.

    Erst 2009 nahm Ruanda die Beziehungen zu Frankreich wieder auf, 2010 folgte der Staatsbesuch von Nicolas Sarkozy, der die Ereignisse von 1994 inakzeptabel nannte ...

    Damit hob Sarkozy auf die Rolle der französischen Fremdenlegionäre ab, die, mit einem Mandat der UNO ausgestattet, für einen humanitären Korridor hatten sorgen sollen. Tatsächlich aber sorgte die "Operation Turquiose" für den Rückzug der Hutu-Milizen , ein Fehler, wie Sarkozy eingestand, das Ausmaß des Genozids durch die Regierung des früheren Präsidenten habe man damals nicht erkannt.

    Eine Entschuldigung vermied Sarkozy, dennoch stehen die Zeichen auf Annäherung. Da kommt die neue Lesart der Ereignisse von 1994 gerade recht. Vor wenigen Wochen erst hatte Ruandas Präsident, Paul Kagame, Paris besucht und vor dem Elysée-Palast gesagt, er sei nicht wegen der Vergangenheit gekommen, sondern um die gemeinsame Zukunft aufzubauen.

    Auf den Straßen von Paris allerdings machten jene Ruander ihrer Wut Luft, die dem Hutu-Regime nahe stehen und nach den Ereignissen von 1994 nach Frankreich geflohen waren.

    Kagame sei ein Mörder, riefen sie, jeder wisse doch, dass er ein Krimineller sei.

    Eine Lesart, die mit dem nun vorgelegten Untersuchungsbericht haltlos scheint. Eine französische Zeitung kommentierte, endlich habe ein Untersuchungsrichter mit der Mär von der Schuld Kagames aufgeräumt und sich gegen die alte französische Staatsräson gestellt. Der neuen französischen Staatsräson allerdings kommt der Bericht gelegen.