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Frankreich unter Strom

80 Prozent des in Frankreich produzierten Stroms stammen aus Atommeilern. In Zukunft soll der Energiemix breiter gefächert sein. Staatspräsident François Hollande möchte das neue Energiegesetz im Konsensverfahren erarbeiten: Industrie, Gewerkschaften, Lokalpolitiker, Bürger und Vereine sollen in die öffentliche Debatte einbezogen werden.

Von Suzanne Krause | 29.11.2012
    Seit Frühsommer arbeitet Bruno Rebelle unermüdlich eine erfolgreiche Energiewende. Er kümmerte sich um den Aufbau der Pilotkommission, die den landesweiten Aktionen und Veranstaltungen vorsteht. Dazu beauftragt hat ihn Delphine Batho, Ministerin für Umwelt, nachhaltige Entwicklung und Energie. Eine Entscheidung mit Symbolcharakter: Bruno Rebelle leitete lange Jahre die Umweltschutzorganisation Greenpeace (in) Frankreich.

    "Bei der öffentlichen Debatte geht es vor allem darum, die Bürger richtig aufzuklären, ihnen verlässliche Informationen zu liefern und generell die Glaubwürdigkeit zu erhöhen."

    Das ist ein gewisser Seitenhieb: bei der Atompolitik im Land hatten selbst die Politiker Jahrzehnte lang kein Mitspracherecht. Und die Industrie verschleierte lange die wahren Kosten.

    "Wenn das Vertrauen wieder hergestellt ist, können wir danach mit den eigentlichen, komplizierteren Debatten beginnen: wie viel Energie lässt sich einsparen, mit welchen Energiequellen lassen sich welche Bedürfnisse abdecken? Die Frage des Energiemix stellt sich in jedem Fall. Denn erstens müssen wir unsere Ziele zur Verminderung des Ausstoßes von Treibhausgasen bis 2050 erreichen. Zweitens sind wir im Rahmen der EU--Vereinbarungen zu Stromeinsparungen verpflichtet. Und außerdem müssen wir, wie es unser Staatspräsident versprochen hat, den Anteil von Atomstrom senken. All das verpflichtet uns schon, die Karten neu zu mischen."

    Hinzu kommt: die französischen Atomkraftwerke kommen in die Jahre. Das wirft drängende Fragen auf, ob weiterhin in die Kernkraft investiert werden soll oder andere Energieträger die Nukleartechnologie ablösen werden.- Als die deutsche Regierung den Ausstieg aus der Atomkraft beschloss, hatte sie die Mehrheit der öffentlichen Meinung hinter sich, sagt Maité Jauréguy--Naudin, Direktorin der Abteilung Energie beim IFRI, dem Französischen Institut für internationale Beziehungen.

    "Die öffentliche Meinung in Frankreich ist beim Thema Atomkraft aus historischen Gründen sehr ambivalent. Der Graben verläuft nicht zwischen rechts und links, im linken Spektrum haben Sie Parteien, die für Atomkraft sind und es gibt auch Atomgegner im rechten Lager. Die Debatte zur Energiewende lässt sich also nur durchführen, wenn die Bevölkerung informiert wird. Und das ist nicht einfach. Und es ist nicht sicher, dass uns das gelingt."

    Eigentlich sollte die Informationskampagne und der Einstieg in die landesweiten Debatten schon Anfang November starten. Doch: hinter den Kulissen wird kräftig gerangelt. Mitte November gab die Umweltministerin Batho die Zusammensetzung der Pilotkommission bekannt: zwei der fünf Mitglieder gelten als Hardliner der Atomlobby, so auch Anne Lauvergeon, die zehn Jahre lang Areva leitete, das wichtigste Atomunternehmen -- weltweit. Das nahm Greenpeace zum Anlass, die Teilnahme an den Debatten in der Pilotkommission abzusagen. Delphine Batho holte daraufhin atomkritische Vertreter mit ins Boot. Ein Fehlstart, findet Jean--Paul Chanteguet. Der Sozialist leitet in der Nationalversammlung die Kommission für nachhaltige Entwicklung.

    "Ich beobachte das Ganze sehr aufmerksam. Und ich warte darauf, dass morgen die Mitglieder dieser Regierung denselben Kurs fahren wie der Staatspräsident, der bei der Umweltkonferenz Mitte September eine starke Rede zum Thema Energiewende gehalten hat. Und ich hoffe, dass die Energiewende auch im anstehenden Finanzgesetz für 2014 eine wichtige Rolle spielen wird."

    Debattiert werden soll zunächst, wie lange die Energiewende dauern wird. Außerdem soll es darum gehen, wie Unternehmen in der Energiewende wettbewerbsfähig bleiben können und wie die Stromkosten möglichst niedrig gehalten werden können. Bruno Rebelle rechnet vor: 63 Milliarden Euro muss Frankreich derzeit für Stromimporte aufbringen. Würde, was der Experte für machbar hält, der Konsum um ein Drittel gesenkt, könnte das eingesparte Geld in Investitionen in die Wirtschaft gesteckt werden. Bis das für den kommenden Herbst geplanten Gesetz zur Energiewende tatsächlich verabschiedet wird, dürfte es noch hoch hergehen.

    "Mir scheint es absolut notwendig, dass die nationale Debatte gelingt. Da geht es nicht nur um die zukünftige Energiepolitik, sondern auch um den Ausbau der Demokratie. Es ist wirklich ein bedeutender Moment, um gemeinsam an einer etwas anderen Zukunft zu arbeiten."