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Frankreich vor der Parlamentswahl
Schafft Macron die Mehrheit?

Am Sonntag geht die französische Parlamentswahl in die erste Runde. Umfragen sagen Präsident Emmanuel Macron eine Mehrheit voraus. Denn er konnte viele Kandidaten und frühere Anhänger der Traditionsparteien auf seine Seite ziehen - die es zunehmend schwer haben, sich zu profilieren.

Von Jürgen König | 09.06.2017
    Emmanuel Macron
    Der französische Präsident Emmanuel Macron (picture alliance/dpa/Foto: A Marchi)
    Das Bedürfnis nach Veränderung ist groß in Frankreich – und es könnte auch etwas wirklich Neues passieren. Rund ein Drittel der Kandidatinnen und Kandidaten von "La République en marche" sind politische Neulinge, alle Umfragen sagen der Macron’schen Bewegung eine absolute Regierungsmehrheit voraus. Den Kandidaten Macron hatte am 7. Mai nur jeder dritte Franzose gewählt; mit dem Präsidenten Macron sind die Franzosen inzwischen offenbar mehrheitlich ganz zufrieden: seine Regierung wird als gesamtgesellschaftliche Vertretung weithin akzeptiert, in der allgemeinen Aufbruchsstimmung wächst das Verständnis für die Reformvorhaben und damit auch das Vertrauen darauf, die angekündigten "neuen Gesichter im Parlament" sowie der Bruch mit dem alten System von "links" und "rechts" könnten die Unzufriedenheit im Lande tatsächlich beheben – so wie Emmanuel Macron es im Wahlkampf versprochen hatte.
    "Ich glaube, unser Land wird von einem politischen System blockiert, das wirkliche Reformen unmöglich macht. Es gibt einen starken Willen in unserem Land, dass ja alles so bleibt, wie es ist, er wird getragen von Lobbyisten oder Minderheiten. Ich aber schlage Ihnen vor, diese Situation tiefgreifend zu verändern."
    Profilierung für Traditionsparteien wird schwieriger
    Etliche Kandidaten und frühere Anhänger der Traditionsparteien konnte Emmanuel Macron auf seine Seite ziehen; auch inhaltlich steht "La République en marche" auf sehr pragmatische Weise für klassische Themen ebenso der Linken wie der Rechten: Man plädiert für größere Freiräume der Unternehmen und eingeschränkte Sozialleistungen des Staates, um gleichzeitig an anderer Stelle staatlichen Leistungen erhöhen zu wollen, in den Schulen der Vorstädte zum Beispiel – um damit das zu erreichen, was auch die Linke anstrebt: "soziale Gerechtigkeit". So wird die inhaltliche Profilierung für die Traditionsparteien zusehends schwieriger – und das schlägt sich in den Umfragen nieder: auf höchstens 170 Sitze sollen die Konservativen kommen, den Sozialisten werden nicht mehr als 60 Mandate zugetraut – was auch an den Umständen dieser Wahlen liegt. Der frühere Europaabgeordnete und jetzige Macron-Berater Daniel Cohn-Bendit, ebenso deutscher wie französischer Staatsbürger:
    "Die Wahlbeteiligung bei Parlamentswahlen nach einer Präsidentschaftswahl geht immer so um 20 Prozent zurück. Die, die verloren haben, sind enttäuscht. Die mobilisieren sich weniger. Man versucht es immer mit dem gleichen Argument der Revanche, der Rache, aber das funktioniert bis jetzt nie. Das heißt, es gibt einen Vorschuss für die Kandidaten, die unter dem Begriff Präsidentenmehrheit – majorité présidentielle – da gibt's immer einen Vorschuss."
    Meinungsforscher sagen Front National rund 20 Sitze voraus
    Diese "majorité présidentielle" wird zudem vom Mehrheitswahlrecht begünstigt. Im ersten Wahlgang gilt als gewählt, wer mehr als die Hälfte der abgegebenen und gültigen Stimmen erreicht hat – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sich mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten des Wahlkreises für ihn entschieden haben. Wenn das niemand schafft, kommen die beiden Kandidaten in die Stichwahl, die die Stimmen von mindestens 12,5 Prozent der Wahlberechtigten bekommen haben – erst im zweiten Wahlgang reicht dann die einfache Mehrheit. Diese Hürde zu nehmen, fällt Kandidaten kleinerer Parteien seit jeher schwer, im Parlament der Ära Hollande war der Front National gerade einmal mit zwei Abgeordneten vertreten. Für die bevorstehenden Wahlen sagen die Meinungsforscher dem Front National unter Marine Le Pen wie auch der radikallinken Bewegung des Jean-Luc Mélenchon jeweils rund 20 Sitze voraus. Beide dürften ihre Wahlkreise gewinnen und im Parlament vertreten sein – was spannende Rededuelle mit sich bringen würde. Der französische Philosoph und Essayist Michel Eltchaninoff:
    "Die gesamte politische Landschaft Frankreichs ordnet sich gerade neu, Marine Le Pen hat bei der letzten Fernsehdebatte gegen Emmanuel Macron eine schlechte Figur gemacht und ist angeschlagen, wurde auch parteiintern heftig kritisiert. Es ist noch zu früh zu sagen, wer die großen Wortführer der Opposition sein werden. Eine mächtige Kraft steht allerdings schon fest: die Straße, die sozialen Bewegungen, die sich rühren werden, sobald Emmanuel Macron sich daranmacht, die Wirtschaft zu liberalisieren."
    So könnte Emmanuel Macrons parteiübergreifende Strategie zunächst aufgehen. Sollte er die Regierungsmehrheit bekommen, wird er das auch als Auftrag und als Legitimation auffassen: dafür, das Land tatsächlich "tiefgreifend zu verändern".