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Frankreich während der EM
"Nicht wirklich euphorische Stimmung"

Terrorgefahr, Streik und Demonstrationen: Die Stimmung im EM-Gastgeberland Frankreich ist nicht wirklich euphorisch, sagte der Frankreich-Korrespondent Hans Woller im DLF. Die Anhänger der Equipe Tricolore seien gespalten. Die Fans anderer Länder ließen sich das Turnier jedoch nicht verderben.

Hans Woller im Gespräch mit Astrid Rawohl | 25.06.2016
    Polizisten am Eingang zur Fanzone in Lyon
    Fanzone Lyon: Die Sicherheitsvorkehrungen sind bei der Fußball-EM 2016 besonders hoch. (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Besonders die Fans aus Irland, Nord-Irland und Schweden seien zu Lieblingen der französischen Öffentlichkeit geworden, sagte sagte der langjährige Frankreich-Korrespondent des ORF.
    Die Franzosen seien zurückhaltender, denn Frankreich sei "nicht von grundauf eine große Fußballnation", meint Woller. Das habe sich auch beim Eröffnungsspiel der EM gezeigt: Nur 12 Millionen Menschen in Frankreich hätten das Spiel ihrer eigenen Mannschaft im Fernsehen verfolgt - in Deutschland waren es 15 Millionen. Auch in der Liga gebe es keine vergleichbare Begeisterung: Mehr als die Hälfte der Vereine spiele jede Woche vor weniger als 20.000 Zuschauern, so Woller.
    Doch für die maue Stimmung während der EM macht Woller vor allem andere Dinge verantwortlich: Die Bevölkerung sei nicht nur von der Terrorbedrohung verunsichert, auch die Streiks und Demonstrationen rund um die geplante Arbeitsmarktreform hätten die Nerven vieler strapaziert.
    Spaltung der Gesellschaft spiegelt sich in der Équipe wieder
    Die Franzosen hätten außerdem ein unklares Verhältnis zu ihrer Nationalmannschaft: Die französische Gesellschaft sei gespalten - und das spiegele sich auch in der Équipe tricolore wieder. Seit 20 Jahren müssten sich viele Spieler der Mannschaft vonseiten der Rechten in Frankreich anhören, keine richtigen Franzosen zu sein. Denn viele Spieler haben einen Migrationshintergrund.
    Gleichzeitig sei Nationaltrainer Didier Dechamps Rassismus vorgeworfen worden, weil er Karim Benzema nicht mit zur EM genommen hat. Dessen Eltern kommen aus Algerien, Benzema selbst ist allerdings in Lyon geboren. Gegen Benzema wird derzeit unter anderem wegen Komplizenschaft in einem Erpressungsversuch staatsanwaltlich ermittelt.
    1998: Euphorie hat viele Probleme übertüncht
    Bei der WM 1998, die Frankreich umjubelt gewann, hätten sich viele Franzosen in die Tasche gelogen, meint Woller. Damals seien die gesellschaftlichen Probleme zwar noch nicht so evident gewesen wie heute - aber die Euphorie über die "Multikulti"-Truppe habe vieles "übertüncht". Nur sieben Jahre später hätten in Frankreich die Vorstädte gebrannt - aus denen das Gros der Spieler komme.
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