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Frankreich
Wahlkampf mit Wiedereinführung der Wehrpflicht

Wehrpflicht, Reservistenarmee, Nationalgarde: In Frankreich werden diese möglichen Antworten auf die Terrorbedrohung derzeit viel diskutiert - und zwar nicht gerade mit sorgfältig formulierten Argumenten. Im Wahlkampf geht es einzig darum, beim verängstigten Volk Zustimmung zu finden. Besonnene Stimmen haben immer größere Mühe, gehört zu werden.

Von Jürgen König | 24.08.2016
    Drei Polizisten in blauer und zwei Soldaten in olivgrüner Uniform stehen zusammen.
    Polizisten und Soldaten patrouillieren in der Nähe des Eiffelturms in Paris. (picture alliance / dpa / Guillaume Horcajuelo)
    Der letzte Wehrpflichtige wurde in Frankreich 2001 verabschiedet. 16 Monate dauerte der Dienst, über 100 Jahre hatte es in Frankreich die Wehrpflicht gegeben. Doch ständig 577.000 Soldaten unter Waffen zu halten, das hielt Präsident Jacques Chirac im veränderten Europa nicht mehr für zeitgemäß - mit ähnlichen Argumenten, wie sie Jahre später in Deutschland zu hören waren: die Zahl der Einsätze im Ausland hatte zugenommen, die Technik war anspruchsvoller geworden, mehr und mehr wurden Spezialtruppen gebraucht.
    Zumal es darüber hinaus sehr viele freiwillige Bewerber gab, brachte Chirac 1996 eine Militärreform auf den Weg, mit der die Armee verkleinert und – mit dem eingesparten Geld - modernisiert wurde: Die heutige Berufsarmee ist mit rund 270.000 Angehörigen nicht einmal mehr halb so groß wie die Wehrpflichtigen-Armee es gewesen war. Dagegen besteht die Pflicht zur Wehrerfassung nicht nur fort, sie wurde auch für Mädchen vorgeschrieben: Jederzeit könnte die Wehrpflicht wieder eingeführt werden.
    Hollande: Wir werden eine Nationalgarde einrichten
    Doch gibt es derzeit mehr als genug Bewerber: Mit den Erfahrungen einer Berufsarmee wäre man in Frankreich sehr zufrieden, hätte es nicht die Terroranschläge gegeben und mit ihnen das sich breitmachende Gefühl, die Sicherheitskräfte seien überfordert. Staatspräsident Hollande reagierte darauf:
    "Wir werden eine Nationalgarde einrichten, deren Aufgabe es nicht sein wird, die Sicherheitskräfte zu ersetzen, aber sie zu unterstützen. Es gibt schon jetzt viele junge Freiwillige, die sich gemeldet haben, und das bewegt mich sehr. Die Gesetze sind beschlossen und werden umgesetzt, aber es müssen sich alle engagieren, um das sicherzustellen, was die Kraft einer Nation ausmacht: den Zusammenhalt."
    Dieses Stichwort vom "Zusammenhalt der Nation" kommt seit Monaten schon in jeder zweiten Politikerrede vor. Mit dem bevorstehenden Ende der Sommerferien hat der Wahlkampf um die Präsidentschaft vollends begonnen, das linke wie das rechte Lager rüsten sich für die Vorwahlen und schon jetzt zeichnet sich ab, dass beide Seiten das Thema Sicherheit in den Mittelpunkt rücken werden. Und also wird auch die Wehrpflicht wieder ein Thema. Die Argumente beider Seiten sind sich sehr ähnlich. Arnaud Montebourg etwa, frisch erklärter Präsidentschaftskandidat vom linken Flügel der Sozialistischen Partei, im Sender BFM:
    "Worin ich mir sicher bin, ist: Wenn wir Frankreich erneuern wollen, das heißt, wenn wir alle zusammen der terroristischen Bedrohung etwas entgegensetzen wollen, dann braucht ein Land wie Frankreich dazu eine Strategie. Es geht nur mit einem strategischen Gegenzug, nämlich in der Art einer Massenrekrutierung. Das heißt, die Gesellschaft selber wird eine handelnde Kraft, kümmert sich selber um ihre Sicherheit."
    Montebourg: Gebrauch der Waffen wieder erlernen
    Die Wiedereinführung der Wehrpflicht hat Arnaud Montebourg zum Teil seines Programms gemacht. Sechs Monate mindestens sollen es sein, eine Verpflichtung für alle:
    "Diese Reflexe müssen wir wieder lernen. Wir können nicht ewig alle Fragen der Sicherheit an die personell unterbesetzte und völlig erschöpfte Polizei oder Gendarmerie delegieren, wir müssen uns selber daran beteiligen. Und wir müssen uns wieder um die vergessenen Gebiete der Republik kümmern, wo der öffentliche Dienst praktisch nicht mehr existiert. Es betrifft das Zivile und das Militärische. Wir müssen das wieder erlernen: den Gebrauch der Waffen und die Solidarität im Alltag!"
    Le Pen: Es erwartet uns ein langer Kampf
    Auf der äußerst rechten Seite des politischen Spektrums, beim Front National, ist man ebenso für die Wiedereinführung der Wehrpflicht und für eine paramilitärische Nationalgarde. Wo Arnaud Montebourg alte "Reflexe wieder erlernen" möchte, sieht Marion Maréchal Le Pen, die sich dem Militär als Reservistin zur Verfügung gestellt hat, einen "langen Kampf" voraus:
    "Ich habe den Krieg nicht erklärt! Es heißt immer, Frankreich sei im Kriegszustand. Gut, wenn man das akzeptiert, was alle sagen, dann heißt das: Wer nicht Widerstand leistet, macht sich zum Komplizen. Im Kriegszustand gibt es keine Neutralität! Es erwartet uns leider ein langer Kampf. Es gibt eine Antwort der Politik, die ist unverzichtbar. Warum soll es nicht auch eine staatsbürgerliche Antwort geben? Indem wir uns auch ganz praktisch diesem Dienst und diesem Widerstand verpflichten!"
    Wehrpflicht, Reservistenarmee, Nationalgarde - nicht mit sorgfältig formulierten Argumenten wird derzeit in Frankreich über derlei gesprochen, sondern vor allem mit dem Ziel, bei einem verängstigten Wählervolk Zustimmung zu finden. Auch Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy gibt sich kriegerisch. Besonnene Stimmen haben immer größere Mühe, gehört zu werden.