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Frankreich
Wenn Politiker Gewaltszenen twittern

Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National, muss sich der Justiz stellen, weil sie auf Twitter Fotos von Opfern der Terrororganisation IS verbreitet hat. Die französische Nationalversammlung hob dafür die Immunität der Abgeordneten auf.

Von Ursula Welter | 01.12.2017
    Die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen hält eine Rede zum Auftakt des Wahlkampfes des Front National für die Präsidentschaftswahl.
    Die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen vom Front National (picture alliance / dpa / Frédéric Dugit)
    Frankreich steht noch unter Schock, die November-Attentate liegen kaum vier Wochen zurück, da drückt Marine Le Pen auf die Enter-Taste ihres Twitter-Accounts: Die Chefin des Front National verbreitet im Netz drei blutige Szenen, ungefiltert. Szenen, mit denen der sogenannte "Islamische Staat" seine Taten zur Schau stellt.
    Die Chefin des Front National verbreitet im Netz drei blutige Szenen, ungefiltert. Szenen, mit denen der sogenannte "Islamische Staat" seine Taten zur Schau stellt. Die Opfer, das sind der amerikanische Journalist James Foley, ein jordanischer Pilot und ein syrischer Soldat.
    "Das ist der IS" - titelte Marine Le Pen in jenem Dezember 2015. Ihre Twitter-Botschaft, mit Inhalten aus dem Horrorarchiv der Islamisten, verbreitete sich in Windeseile im Netz.
    Die Frontfrau rechtfertigte ihr Handeln so: Sie habe das wahre Gesicht des IS zeigen wollen. Sie habe damit reagiert auf ein Interview, das der Islamwissenschaftler Gilles Kepel tags zuvor gegeben hatte.
    Kepel war zur Entstehung des Dschihadismus in Frankreich befragt worden, und er hatte analysiert, dass er in der Ausprägung der Extreme, in der Absicht, die Gesellschaft zu spalten, dass er darin durchaus Parallelen sehe zwischen dem Front National und dem IS.
    Eine These, die Marine Le Pen nicht auf sich und ihrer Partei sitzen lassen wollte. Die Verbreitung der Hinrichtungsszenen der Islamisten, diese wütende Reaktion, sei eine "Klarstellung" gewesen, betonte die Frau, die sich schon damals um das höchste Amt im Staat bewarb und Präsidentin Frankreichs werden wollte.
    Als Europa-Abgeordnete hatte Marine Le Pen in Brüssel stets eine ähnliche Linie vertreten: Man müsse die Dinge beim Namen nennen.
    So erklärte die Front National-Abgeordnete zwei Wochen nach den Attentaten von Paris und Seine Denis im Europäischen Parlament, es werde im Namen der Ideologie getötet, im Namen des islamistischen Fundamentalismus:
    "Und Sie müssen das sagen! Denn, wenn Sie es nicht sagen, wenn Sie nicht in der Lage sind, den Feind zu benennen, dann können Sie ihn offensichtlich auch nicht bekämpfen!"
    Die Tweets mit Gewaltszenen wenige Wochen später standen in dieser Logik. Marine Le Pen erntete scharfe Kritik dafür, vor allem die Familie von James Foley protestierte gegen die brutale Zur- Schau-Stellung des ermordeten Sohnes - der Front National reagierte, Marine Le Pen ließ diese Szene, eine von dreien, auf ihrem Account löschen.
    Die Justiz in Nanterre eröffnete ein Verfahren gegen Marine Le Pen wegen "Veröffentlichung von Gewaltszenen", bei Verurteilung würde eine Strafe von bis zu drei Jahren Gefängnis und 75.000 Euro drohen.
    In der Zwischenzeit wurde Marine Le Pen zwar nicht Staatspräsidentin, wohl aber Abgeordnete des französischen Parlaments. Und hier holt sie die Affäre nun ein. Die Assemblée Nationale entschied Anfang November, die Immunität der Abgeordneten Le Pen aufzuheben. Einem Antrag der Justiz wurde damit stattgegeben.
    Das Parlament messe mit zweierlei Maß, empörte sich der Sprecher des Front National, im Namen seiner Chefin: Das sei ein trauriges Spektakel, das die Assemblée Nationale da aufführe, bemängelte Sebastien Chenu:
    "Gestern", so sagte er, "stand das Parlament geschlossen auf, um die Meinungsfreiheit und die Journalisten von Charlie Hebdo zu würdigen, die vom IS bedroht wurden. Heute heben dieselben Abgeordneten die Immunität von Marine Le Pen auf, weil sie Fotos von den Morden des IS gezeigt hat, also genau die Dinge, die der IS mit unseren Landsleuten machen wollte."
    Marine Le Pen, die sich nun der Justiz stellen muss, weil sie die Gewaltszenen verbreitet hat, schimpfte ihrerseits, Frankreich behandele Rückkehrer aus Syrien besser als seine Volksvertreter.
    Das juristische Nachspiel für die Twitter-Botschaften aus dem Hause Le Pen löste in Frankreich eine Diskussion über die Meinungsfreiheit aus.
    "Ich hänge an den Grundwerten unserer Republik, an den Werten, durch die die Demokratie ihren Namen erst verdient."
    Verteidigte die Abgeordnete der äußersten Linken, Clementine Autain, die Chefin der äußersten Rechten:
    "Selbst, wenn sie abstoßende Dinge verbreiten, gilt auch für Abgeordnete Meinungsfreiheit. Und darum geht es bei der Frage der Aufhebung der parlamentarischen Immunität."