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Frankreichs Armenier sind gegen die Vereinbarungen des Züricher Abkommens

Am Eingang zum großen Saal des Kulturzentrums in Alfortville liegen Flugblätter und Aufkleber aus: "Nein zum türkisch-armenischen Protokoll" und "Achtung - Gefahr fürs armenische Volk" steht darauf geschrieben. Das am Wochenende in Zürich unterzeichnete Abkommen zwischen der Türkei und Armenien ist Thema des Diskussionsabends, zu dem rund 800 Besucher gekommen sind. Sie gehören zur armenischen Diaspora, die in Frankreich vier- bis fünfhunderttausend Mitglieder zählt. Aufmerksam hören sie dem ersten Sprecher und Mitveranstalter des Abends zu, dem Co-Präsidenten der sozialistischen Partei Dachnaktsoutioun Frankreich, Mourad Papazian.

Von Margit Hillmann | 14.10.2009
    Der stellt zunächst die demokratische Legitimität des aktuellen armenischen Präsidenten in Frage und wirft ihm vor, die Widerstände in der armenischen Bevölkerung gegen das Abkommen mit der Türkei zu unterdrücken. Dann attackiert der Politiker der in Frankreich lebenden armenischen Diaspora die im Protokoll zwischen Armenien und der Türkei vereinbarte Berufung einer unparteiischen Historikerkommission.

    "Es ist im Protokoll klar formuliert, dass eine von beiden Regierungen berufene Historikerkommission die Archive wieder öffnen soll, um die Frage des Völkermords erneut und unparteiisch zu studieren. Unparteiisch! Als wäre die seit mehreren Jahrzehnten geleistete Historikerarbeit zum Völkermord an den Armeniern nicht unparteiisch gewesen; als sei die Anerkennung des Genozids durch über 20 Länder nicht auf solider Basis erfolgt! Wir sagen: Dieser Teil der Abmachungen ist inakzeptabel. Niemand hat je von Israel gefordert, dass es seine Geschichtsarchive öffnet, um zu beweisen, dass es wirklich einen Völkermord an den Juden gegeben hat. Und würde jemand dies von Israel verlangen, ich schwöre, ich würde mich dagegen genauso entrüstet auflehnen."

    Mit der Berufung der Kommission, warnt der Politiker der armenischen Diaspora, werde die Anerkennung des Völkermordes durch die Türkei für viele Jahre auf Eis gelegt. Dies werden er und seine Partei mit allen Mitteln verhindern, verspricht er seinen Zuhörern im Saal.

    "Ich und meine Parteifreunde haben entschieden, alle Mittel einzusetzen - politische und verfassungsrechtliche - alles Mögliche in Armenien und in der Diaspora zu tun, um die Ratifizierung des Protokolls zu verhindern. Und wenn es nötig ist, werden wir versuchen, den Rücktritt des armenischen Präsidenten und die Installation einer neuen politischen Macht durchzusetzen."

    Die Position aller politischen Akteure der armenischen Diaspora in Frankreich, die an diesem Abend aufs Podium steigen, ist eindeutig. Annäherung mit der Türkei ja, aber nicht um jeden Preis. Die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern 1915 ist für sie nicht verhandelbar. Die Besucher der Veranstaltung - Männer und Frauen allen Alters und auffallend viele Jugendliche - sehen es genauso:

    "Ich bin Enkel eines Armeniers, der den Völkermord überlebt hat, und deshalb ist es für mich nicht hinnehmbar, dass diese Frage im Abkommen ausgeklammert wird. Ich hätte mir gewünscht, dass die Türkei sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzt und dafür einsteht - so wie Deutschland es mit seiner Geschichte auch getan hat. Einerseits ist es gut, dass es Verhandlungen gibt und ein Abkommen zwischen der Türkei und Armenien. Andererseits: Wenn die türkische Regierung den Völkermord nicht anerkennt, ist es für mich sehr schwierig, die Öffnung der Grenzen zu akzeptieren. Wir sind uns alle einig: Die beiden Völker können nicht in alle Ewigkeit Feinde bleiben. Wir müssen Frieden machen. Umso mehr, weil die beiden Völker jahrhundertelang auf demselben Boden gelebt haben. Aber ohne Anerkennung des Völkermords kann es kein Pardon geben und keinen wirklichen Frieden. Ich kann mich mit meiner Geschichte nicht versöhnen, mit dem Tod meiner Familienangehörigen, die nicht mal ein Grab haben. Wie soll ich damit abschließen, wenn der Mord nicht einmal zugegeben wird?!"

    Während der sich anschließenden Debatte im Saal wird Mourad Papazian, Co-Präsident der Dachnaktsoutioun-Partei, von einem Besucher gefragt, welche konkreten Möglichkeiten die Diaspora denn habe, die Verabschiedung des Züricher Abkommens durch das armenische Parlament zu verhindern. Der Politiker bleibt vage. Ein Armenier um die dreißig, der vorm Saaleingang steht, hat eine einfache Antwort: Das Geld, mit dem die Diaspora ihre Landsleute in Armenien unterstützt, hat große politische Überzeugungskraft. Er sei zuversichtlich, sagt er.