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Frankreichs Kulturpolitik
Belastetes Klima

Paris hat Kürzungen im Kulturhaushalt angekündigt, gleichzeitig wird in der Hauptstadt ein neues Theater gegründet, das ohne staatliche Subventionen auskommen will. Frankreich ist auf dem Weg zu einer neuen Kulturpolitik, fürchtet Eberhard Spreng.

Von Eberhard Spreng | 23.07.2017
    Blick auf das Théâtre de l'Odéon in Paris, Frankreich. Davor sitzen Menschen auf einem Platz an Tischen.
    Subventioniert: Das Odéon-Théâtre de l'Europe in Paris erhält Geld vom Staat. (picture alliance / dpa / Friso Gentsch)
    Von Emmanuel Macron sagt man, dass er seinen Ministern derzeit eine strenge Pressepolitik auferlege. Und das mag einer der Gründe sein, warum die neue Kulturministerin Françoise Nyssen sich während ihres Besuchs beim Festival d’Avignon zu programmatischen Aussagen über ihre Visionen für die französische Kultur der nächsten Jahre nicht hinreißen ließ. Obwohl die große alljährliche Kulturschau dafür ein geeigneter Rahmen wäre. Auch Emmanuel Macrons Aussage aus dem Wahlkampf, der französische Kulturhaushalt werde nicht angetastet, war schon kurz vor Beginn des Festival d’Avignon obsolet, als eine sehr moderate Kürzung von 50 Millionen Euro bekannt wurde.
    Die Gewerkschaft hat schon einen Streiktag geplant
    Als die neue Kulturministerin dann in Avignon verkündete, Budgetzusagen könne sie für die Theaterarbeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht machen, war die Enttäuschung groß. Von einer eisigen Stimmung berichteten Kulturarbeiter nach einem internen Arbeitstreffen, von denen es in Avignon zu Festivalzeiten viele gibt. Da soll Régine Hatchondo, neue Direktorin für die Création Artistique im Kulturministerium, den versammelten Intendanten der öffentlichen Theater gesagt haben, die Mauer zwischen ihnen und dem Privattheater müsse eingerissen werden, und dass das Businessmodell der öffentlichen Theater am Ende sei. Das Klima zwischen Ministerium und Theaterleuten scheint nach Régine Hatchondos Auftritt belastet; die im Theatersektor mächtige Gewerkschaft CGT hat sich darum auch gleich schon einen Streiktag im kommenden September vorgenommen.
    Fast gleichzeitig zu diesem Dissens präsentierte sich in Avignon eine Equipe mit einer überraschenden Pariser Theaterneugründung: Die "Scala" im 10. Arrondissement, ein Unterhaltungstheater aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, soll renoviert und umgebaut werden. 2018 soll sie ihren Spielbetrieb aufnehmen. Die Pläne für den Umbau hat Starbühnenbildner und Architekt Richard Peduzzi entworfen, der durch seine Arbeit mit Patrice Chéreau bekannt geworden war.
    Die private "Scala" will mit Stars des subventionierten Theaterbetriebs arbeiten
    Derzeit wird in Private-Public-Partnership unter anderem mit öffentlichen Geldern renoviert; den späteren Spielbetrieb wollen die Unternehmer Mélanie und Frédéric Biessy aber fast ausschließlich aus dem Erlös der Eintrittskarten und Sponsorengeldern bestreiten. Sie wollen mit einem Programm aufwarten, das sich künstlerisch mit dem subventionierten Theater messen kann. Choreografen und Regisseure wie Alain Platel und Romeo Castellucci sollen dort ebenso arbeiten wie die französischen Nachwuchstalente Julien Gosselin und Thomas Jolly. Alle sind Stars des subventionierten Theaterbetriebs.
    In Zeiten von Theaterschließungen mutet die Geschichte der Scala wie ein Märchen an. Zum Albtraum könnte sie aber vor allem dann werden, wenn die Wette aufgeht, mit privatem Kapital anspruchsvolle Bühnenkunst zu finanzieren: Denn dann liefert die Scala kulturfremden Politikern das Argument, dass sie sich aus der Verantwortung fürs öffentliche Theater zurückziehen können.