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Frankreichs Medien hofieren Marine Le Pen

Während Front-National-Gründer Jean-Marie Le Pen in der Öffentlichkeit als unverbesserlicher Rechtsradikaler galt, genießt seine Tochter Marine Le Pen den Ruf als talentierte moderne Politikerin. Besonders sichtbar ist das neue Verhältnis zur rechtsradikalen Partei bei TV und Radio. Dort ist die Parteichefin längst Stammgast.

Von Margit Hillmann | 21.12.2011
    20-Uhr-Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Der Moderator empfängt die Chefin des Front National – Marine Le Pen.

    Im höflichen Plauderton stellt er der 43-Jährigen allgemeine Fragen zur Wirtschafts- und Schuldenkrise. Die blonde Ex-Anwältin antwortet freundlich lächelnd mit weitgehend platten Slogans und Zitaten aus dem Programm ihrer rechtsextremen Partei:

    "Ich habe vor, den Franzosen ihr Land, ihre Freiheit, ihren Reichtum und ihren Stolz zurückzugeben. Denn dieses Land wird ausgeraubt: von oben - den Finanzmärkten, den Banken und unseren korrupten politischen Eliten. Und von unten: von Kriminellen, die immer arroganter und brutaler werden."

    Marine Le Pen ist längst ein Politstar ersten Ranges, kommt inzwischen täglich in den Medien zu Wort. Aber nur selten wird die rechtsextreme Parteichefin mit ihren politischen Widersprüchen konfrontiert, mit falschen Zahlen und verdrehten Fakten. Stattdessen attestieren ihr Journalisten einhellig großes politisches Talent. Sie sei rhetorisch brillant, eine moderne Frau von heute und unterscheide sich deutlich von ihrem Vater, Hardliner Jean-Marie Le Pen. Eine naive bis fahrlässige Verharmlosung, warnt Jean-Yves Camus, Politologe und ausgewiesener "Front National"-Experte:

    "Als sie Anfang des Jahres das Kommando über die Partei von ihm Vater übernommen hat, waren sich viele Kommentatoren in der Presse einig. Sie sagten: Der Front National hat sich jetzt verändert. Viel zu voreilig. Es gibt eine Veränderung, weil Marine Le Pen 43 ist, ihr Vater 83. Aber ein Imagewechsel bedeutet nicht, dass sich auch die Inhalte ändern."

    Marine Le Pen – die Journalisten sofort korrigiert, wenn sie ihre Partei als rechtsextrem bezeichnen – hat das Label Front National gründlich aufpoliert. Junge Wähler strömen ihr zu. Bei Frankreichs Arbeitern und einfachen Angestellten erzielt sie heute Popularitätsrekorde: 43 Prozent von ihnen wollen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen für die rechtsextreme Kandidatin stimmen. So viel wie die Kandidaten der beiden großen Parteien Nicolas Sarkozy und der Sozialist François Hollande zusammen. Zu erklären ist das nicht allein mit Ausländerhetze und dem Parteimotto "Frankreich den Franzosen", die Marine Le Pen nahtlos von ihrem Vater übernommen hat. Neue Sympathisanten gewinnt Marine Le Pen vor allem mit ihrem Anti-Kapitalismus-Diskurs. Der lässt den Front National in einem ganz neuen Licht erscheinen, konstatiert Politologe Camus:

    "Auch da herrscht bei Journalisten und politischen Kommentatoren in Frankreich eine Art Gedächtnisschwund. Gerade der Anti-Kapitalismus war charakteristisch für faschistische und nationalsozialistische Bewegungen, richtete sich ebenfalls gegen den vaterlandslosen Finanzkapitalismus und unpatriotische Industrieunternehmer, die wie Kraken die Welt umspannen. Das ist also absolut nicht neu. Wir befinden uns in einer tiefen Krise, die Arbeiter und zunehmend auch die Mittelklasse haben Angst vor der Zukunft. Und die Rechtsextreme nutzt das zu ihren Gunsten."

    Nicht zuletzt profitiert der Front National von der indirekten Legitimierung durch prominente Politiker etablierter Parteien. So rief etwa Nicolas Sarkozys vor wenigen Tagen die Franzosen auf, in Frankreich produzierte Ware zu kaufen. – Nationaler Wirtschaftsprotektionismus, den der europafeindliche Front National seit vielen Jahren fordert. Geht es um das Thema Immigration, ist die politische Annäherung zwischen der Regierungspartei UMP und dem rechtsextremen Front National besonders augenfällig. Ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, so Camus, um dem Front National Stimmen abzujagen.

    Erst kürzlich benutzte der französische Innenminister Claude Guéant eine bekannte Front-National-Formel - wortwörtlich von Marine Le Pen übernommen:

    "Es gibt in der Bevölkerung Erwartungen in Sachen Immigration und Kriminalität, die noch nicht ausreichend erfüllt sind. Ich betrachte das als meine Pflicht. Wir akzeptieren auf unserem Boden jedes Jahr 200.000 legale Ausländer – so viel wie die Einwohner der Stadt Rennes, doppelt so viel wie Perpignan. Ich sage, das ist zu viel."

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