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Frankreichs Sozialistische Partei
Endzeitstimmung zur Halbzeit

Jetzt, zur Halbzeit des Mandats von François Hollande, halten viele Sozialisten die nächste Präsidentschaftswahl 2017 bereits für verloren. Schon im Sommer 2012 sanken die Umfragewerte von Hollande. Ein lautstarker Teil der Sozialistischen Partei folgt der Regierung und dem Präsidenten nicht mehr.

Von Ursula Welter, Büro Paris | 05.11.2014
    Der französische Präsident Francois Hollande
    Noch nie seit 1958 war ein Präsident Frankreichs so unpopulär wie François Hollande, sagen Meinungsforscher. (afp / Philippe Wojazer)
    "Ich glaube fest daran, dass alle Menschen auf dieser Erde Brüder sind, gleich welcher Farbe, welcher Herkunft, welcher Religion", sagt Paul Drezet. Er sitzt in einer kleinen Runde. Ein Mann mit Idealen: "Ich bin schon lange dabei, das sehen Sie an meinen grauen Haaren."
    Schon lange in der Sozialistischen Partei Frankreichs. Die gerade alle Mitglieder zur internen Diskussion über Inhalte und Ziele aufgerufen hat. Bis Dezember darf sich jeder melden, ob einzeln oder als Gruppe. Wer will darf aufschreiben, was aus der Partei, den Institutionen, dem Land werden soll.
    Der Ortsverein von Issy-les-Moulineaux debattiert an diesem Abend auf hohem Niveau und auf hartem Untergrund: Holzklappstühle, ein karger Raum, ein paar Aktenordner, eine Kaffeemaschine. Basisarbeit vor den Toren von Paris. Viele, die hier im Stuhlkreis sitzen, standen im März auf der Wahlliste. Aber die Sozialisten haben die Kommunalwahlen verloren. Die Jubelstimmung nach dem Wahlsieg im Mai 2012 liegt weit zurück.
    Noch nie war ein Präsident so unpopulär
    Jetzt, zur Halbzeit des Mandats von François Hollande, halten viele Sozialisten die nächsten Präsidentschaftswahlen 2017 bereits für verloren - Der Niedergang setzte früh ein. "Ab Sommer 2012 beginnen die Umfragewerte von François Hollande zu sinken", erklärt Jérôme Fourquet. Er sitzt am anderen Ende der Hauptstadt in seinem Büro. Der Blick aus der 6. Etage des futuristischen Neubaus fällt auf ein modernes Viertel, das an die sozial schwachen Vorstädte von Paris grenzt. Fourquet ist leitender Meinungsforscher beim Institut IFOP. "Noch nie seit 1958 war ein Präsident Frankreichs so unpopulär."
    Seit Bestehen der 5. Republik. 13, höchstens 14 Prozent der Franzosen setzen noch auf François Hollande. Der Rest wendet sich ab und möchte nicht, dass der frühere Parteichef der Sozialisten und Regionalfürst der Corréze noch einmal antritt für das höchste Staatsamt.
    Der französische Präsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel
    Hollande vs. Merkel: Differenzen über mehr Geld gegen Jugendarbeitslosigkeit (picture alliance / dpa / Matteo Bazzi)
    Hollande wurde 2012 gewählt, aber vor allem wurde Nicolas Sarkozy abgewählt.
    "Nicolas Sarkozy nervte die Franzosen, verärgerte sie, brachte sie gegeneinander auf, aber seine Wähler folgten ihm immerhin weiter. Für François Hollande ist die Lage viel schlimmer, da geht es gar nicht mehr um Wut, nicht um "genervt sein", da geht es inzwischen um Desinteresse. So recht hört keiner mehr hin, wenn der Präsident das Wort ergreift", meint der Meinungsforscher Fourquet. "Die Franzosen haben diese Seite bereits umgeblättert. Erwarten nichts mehr."
    Im Ortsverein der Sozialistischen Partei sitzen inzwischen 12 Personen im Halbkreis. 9 Männer, 3 Frauen. Alle Altersgruppen. An der Wand Plakate, Erinnerungen an politische Großtaten der Sozialisten: Abschaffung der Todesstrafe, Rente mit 60, 35-Stunden Woche. Unter einem der Plakate, das von besseren Zeiten handelt, sitzt Kathy Similowski. "Wie sie sicher festgestellt haben, wirft die Regierungslinie gerade heftige Fragen auf."
    "Links sein, was bedeutet das?", fragte das Meinungsforschungsinstitut IFOP im September. 57 Prozent der Befragten verbanden mit "Linkssein" durchaus "Stolz". Genauso viele waren jedoch überzeugt, linke Werte ließen sich nur noch in Gesellschaftsfragen umsetzten, nicht mehr in der Wirtschaftspolitik. Und nur eine kleine Minderheit meinte, die Politik des Sozialisten François Hollande sei "links".
    Neben Kathy sitzt Damien:
    "Ich zähle zu denen, die finden, dass die Regierungspolitik ausgesprochen besessen ist von 'Reduktion der Arbeitskosten' und von 'Schuldenabbau'. Die Politik sollte ausgeglichener, stärker auf die Umverteilung des Reichtums ausgerichtet sein, auf eine neue Orientierung der europäischen Politik bis hin zu einem Schuldenabbau, der das Wachstum nicht abwürgt."
    Gefahr des Extremismus
    Welche Republik, welche Institutionen wollen wir? Wie viel Einfluss sollen Präsident und Parlament künftig haben? Wie umgehen mit der Gefahr des Extremismus, dem Aufstieg des "Front National"? Was heißt "reformieren"?
    "Es gibt hier bei uns so viele Meinungen wie Personen dazu, verschiedene Tendenzen. Ich selbst, um Klartext zu reden, bin auf der Linie von Arnaud Montebourg", sagt Kathy.
    Arnaud Montebourg wurde gefeiert, als die Sozialisten im Sommer ihre traditionelle "Universität" abhielten. Eine Art Parteitag ohne Beschlüsse. Montebourg war da gerade als Wirtschaftsminister aus dem Kabinett geflogen. Hatte die Regierungslinie zu laut kritisiert, und das nicht zum ersten Mal. Mit ihm verließen der Bildungs- und die Kulturministerin die Regierung.
    Montebourg steht für das Projekt "Sechste Republik": Stärkung des Parlaments, dafür Einschränkung der präsidialen Macht. Manche in der Partei, wenn auch nicht alle, halten das französische Verfassungs-Konstrukt aus Zeiten de Gaulles für nicht mehr zeitgemäß.
    "Das heißt andere Antworten auf die Globalisierung, Reindustrialisierung, aber es gibt eben auch andere Meinungen, als die von Montebourg, und das macht ja schließlich den Reichtum einer Partei aus, dass sie Debatten dieser Art führt."
    Leere Versprechungen und keine Reformen
    Vor allem die Parteilinke hat ein Problem mit Hollande, der im Wahlkampf die Finanzwelt zu seinem Feind ausgerufen und dem europäischen Fiskalpakt den Kampf angesagt hatte - ohne seine Versprechen einzulösen.
    Den Geist seiner Rede von "Le Bourget" bekam der Wahlkämpfer Hollande als Präsident aber nicht mehr zurück in die Flasche.
    "Der König ist nackt, steht ohne Kleider da. Der Protest in seinem eigenen, politischen Lager nimmt zu."
    "Zunächst aus ideologischen Gründen, sie sagen, das hat nichts mehr mit Hollandes Versprechen seiner Rede von "Le Bourget" zu tun, das ist nicht links genug. Das sind die sogenannten Frondeure, die Freunde von Martine Aubry. Und dann gibt es die anderen, die nicht unbedingt aus ideologischen Gründen protestieren, sondern die sagen, der Mann ist das Problem."
    "Hollande hatte aber im Wahlkampf gesagt: Sarkozy hat klein beigegeben gegenüber Merkel", und ich werde das nachverhandeln. Das war für Die Linke wichtig, die von "Merkozy" sprach und die Politik in Europa für zu liberal hielt. Aber: Es gab ein "Nein!" in Berlin und Hollande musste zurück in seine Ecke."
    Die deutsche und die französische Nationalflagge wehen aus Anlass des Besuches von Frankreichs Regierungschef Manuel Valls vor dem Bundeskanzleramt in Berlin am 22.09.14.
    Auf der Suche nach Vertrauen: die deutsch-französischen Beziehungen (afp / Odd Andersen)
    Zu schwach, zu sozialliberal, ein lautstarker Teil der sozialistischen Partei folgt der Regierung und dem Präsidenten nicht mehr:
    "Es lebe Die Linke", riefen die "Frondeure", die Abweichler, am Rande des Parteitages im Sommer. Revolutionsstimmung hing über der Szene, der Aufstand wurde geprobt, "Verrat" gerufen. Denn der Staatspräsident, der im sozialistischen Namen angetreten war, vollzog, nachdem die Wirtschaftsdaten immer schlechter wurden, die sozialdemokratische Wende, überraschte seine Parteifreunde mit einem "Pakt zur Entlastung der Unternehmen", einem Bekenntnis zur Angebotspolitik und einem Sparpaket:
    Der linke Parteiflügel möchte hingegen die Nachfrage ankurbeln, die Kaufkraft der Haushalte befördern, sieht die Prioritäten falsch gesetzt. Bei der wichtigen Haushaltsabstimmung im Parlament, Ende Oktober, verweigerten 39 Abgeordnete aus der Regierungsmehrheit ihre Zustimmung. Darunter der Wortführer der "Frondeure", Ex-Minister Hamon - der meinte, die Regierung Hollande/ Valls gefährde mit ihrem wirtschaftspolitischen Kurs die Republik.
    Regierungschef Valls nannte die Partei-Linken daraufhin "Ewiggestrige". Und Staatspräsident Hollande nutzte die Einweihung des Picasso-Museums, um in dasselbe Horn zu stoßen, wenn auch im Ton freundlicher als sein Premier.
    Auf Nostalgie lasse sich nicht aufbauen, Emotionen, Hoffnung, Entschlossenheit, Kampf - das führe in die Zukunft, das mache die Avantgarde aus, und das kreative, das kulturreiche Frankreich sei schließlich ein Land der Avantgarde.
    Nerven in der Regierungspartei liegen blank
    Zu der sich Hollande selbst rechnen möchte, weil er wichtige Reformen angestoßen hat, die jedoch teils zu zögerlich sind, teils spät eingeleitet wurden, jedenfalls sind die wirtschaftlichen Früchten nicht, oder noch nicht, greifbar. Deshalb liegen die Nerven in der Regierungs-Partei zur Hälfte des Mandats von Francois Hollande blank.
    In der kleinen Runde im Ortsverein hat inzwischen Thomas Puijalon die Leitung der Sitzung übernommen, er sitzt am einzigen Tisch, der sich bietet und lenkt die Diskussion.
    "Ich denke schon, dass wir Reformen brauchen, in dieser globalisierten Welt ist unser soziales Sicherungssystem in Gefahr. Aber der eingeschlagene Lösungsweg ist nicht gut."
    Im Frühjahr musste Jean-Marc Ayrault gehen, Manuel Valls kam und steht für die sozialdemokratische Wende. Nach der Sommerpause tauschte er den kritischen Wirtschaftsminister vom linken Flügel Montebourg gegen den Ex-Banker Macron aus, stellte sich vor den Arbeitgeberverband und gab eine Liebeserklärung an die Unternehmen ab: "J'aime l' entreprise."
    Und brachte für viele in der Partei das Fass damit zum Überlaufen. Der öffentliche Streit über den richtigen Kurs will nicht verstummen, gerade erst erklärte die schärfste innerparteiliche Gegnerin Hollandes, Martine Aubry, die Sozialisten müssten die Richtung ändern, um wenigstens die zweite Hälfte von Hollandes Mandat zu retten.
    "Die Partei hatte zu Beginn keine klare Analyse der wirtschaftlichen Lage und sie hatte keine einheitliche Diagnose, man sieht wie gespalten sie heute ist."
    "Die regieren wie ein zerstrittener Parteitag", schrieb das Oppositionsblatt "Le Figaro".
    "Es wirkt ein wenig, als säße François Hollande am Steuer eines Autos im Aquaplaning."
    "Fehlende Autorität, fehlende Vision, Fehleinschätzungen und ein amateurhaftes Regierungsteam."
    Hollande sei in den ersten Monaten zu zögerlich gewesen, habe die Richtung nicht gefunden, sei den Krisenphänomen hinterhergelaufen. Sagt nicht nur Meinungsforscher Fourquet.
    "Frankreichs Linke war nicht auf das Regieren vorbereitet."
    Frankreichs Präsident Francois Hollande bei einer Rede in der Bretagne.
    Frankreichs Präsident Francois Hollande bei einer Rede in der Bretagne. (AFP / Fred Tanneau)
    Ein Präsident Hollande und ein Premier Ayrault ohne Regierungserfahrung am Ruder und das in wirtschaftlich schwerem Fahrwasser. Rekordarbeitslosigkeit, Sozialplan reihte sich an Sozialplan, die Schulden explodierten - François Hollande verteilte dennoch erst einmal Wahlgeschenke, pumpte Geld in staatlich subventionierte Arbeitsplätze, reagierte dann mit Steuererhöhungen, weil die Schulden aus dem Ruder liefen. So fühlen sich heute nicht nur seine Parteifreunde getäuscht, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung:
    "Es hieß, wir haben die Ausgaben wie nie gesenkt, haben mutig die Steuern erhöht und alles wird gut, aber "bauz": Das Defizit steigt und gerät außer Kontrolle."
    François Hollande versprach die Einhaltung des europäischen Schuldenziels bis 2015, konnte das Versprechen aber nicht halten. Er versprach eine Änderung des Trends am Arbeitsmarkt bis Ende 2013, musste passen.
    Inzwischen zieht der Präsident die Zügel straffer an, gab gerade grünes Licht für schmerzhafte Kürzungen in den Sozialkassen. Aber es trifft vor allem die bürgerliche Mittelschicht, die ohnehin durch die gesellschaftspolitischen Reformen der Sozialisten (das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe, die Justizreform) auf den Barrikaden ist.
    Aber auch Die Linke sieht die jüngsten Sparbeschlüsse der Regierung als keineswegs sinnvolle Verzweiflungstaten an. Im Ortsverein von Issy-les-Moulineaux klagt Kathy, wir reden viel zu viel von Wirtschaft, wir sind doch die "Sozialistische Partei", nicht die "Wirtschaftspartei".
    "Was gerade passiert ist, dass wir einen schrecklichen Vertrauensverlust in die Regierung erleben. Und zwar nicht, weil sie sozialistisch ist, sondern weil sie nur Krisenmanager ist."
    Wir brauchen Strukturreformen, sagt Thomas am Tisch in dem kleinen Raum, in dem die Luft immer dicker wird, je länger die Debatte über Ziele und Werte der Partei dauert.
    "Wir müssen wirklich hart arbeiten, um der Politik und den Reformen Sinn und den Menschen Zukunftsvisionen zu geben."
    Niederlage reiht sich an Niederlage
    Die Basis rackert sich ab, steckt ihre Energie in ein Spiel, das die Meinungsforscher bereits verloren sehen. Viele Sozialisten haben ihre Mandate eingebüßt, andere zittern. Kommunal-, Europa- Senatswahlen, bald Regionalwahlen, Niederlage reiht sich an Niederlage.
    Und als wögen interner Richtungsstreit und die katastrophale Wirtschaftslage nicht schon schwer genug, belastet das Privatleben des Präsidenten die Parteiarbeit.
    Zu Jahresbeginn hatte die Klatschpresse die Affäre des Präsidenten mit der Schauspielerin July Gayet aufgedeckt, im Herbst revanchierte sich die Ex-Lebensgefährtin Hollandes, Valerie Trierweiler, mit einem Buch über Verrat, Trennung und gab intime Details aus dem Leben des Staatschefs preis.
    Eine halbe Million Exemplare ist inzwischen über den Ladentisch gegangen. Die gelernte Journalistin Trierweiler ließ ihr Buch in einem Satz gipfeln, der ins politische Mark des Sozialisten Hollande traf und treffen sollte: Wenn der Präsident von den Armen spreche, spreche er zynisch von den "Zahnlosen", behauptete die Betrogene.
    Für viele Franzosen schien das glaubwürdig, das Buch passte ins Bild.
    "Er kann sich nicht entscheiden, er redet zweideutig, er spielt doppelt im Privatleben, in der Gesellschaft ... Trierweiler konnte all diese Schmerzpunkte mit Erfolg drücken."
    François Hollande stritt ab, jemals zynisch so über Arme gesprochen zu haben. Viele seiner engen Vertrauten und Freunde sprangen ihm zur Seite. Aber die Formulierung stand im Raum. Und als die Hilfsorganisation "Secours Populaire" Mitte September meldete, zwei von drei Franzosen seien inzwischen von der allgemeinen Krise getroffen, titelte eine Zeitung "Die Zahnlosen, das sind wir alle!".
    In der kleinen Diskussionsrunde im sozialistischen Ortsverein von Issy meldet sich Patrick zu Wort. Er sitzt neben Kathy und gleich unter dem Plakat mit den Etappen der sozialistischen Reformen aus früheren Zeiten.
    "Gerechtigkeit, die Rechte der Individuen, die sozialen Fortschritte, all das ist mithilfe der Linken in diesem Land in Gang gekommen. Sicher, ökonomisch ist die Lage gerade extrem schwierig. Aber egal, ich würde trotzdem niemals für einen rechten Präsidenten stimmen, voilà ..."
    Patrick will den Kopf nicht in den Sand stecken. Nach drei Stunden geht die Runde auseinander, es ist spät geworden im Sozialistischen Ortsverein. Mancher wirkt resigniert, aber keineswegs alle, die nach der freiwilligen Parteiarbeit nach Feierabend ihrer Wege ziehen.