Donnerstag, 28. März 2024

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Franz Anton Mesmer
Der vielleicht erste Psychotherapeut

Der Arzt Franz Anton Mesmer war ein Aufklärer, galt zu seiner Zeit aber auch als "Wunderdoktor". Mesmer habe sich vor allem mit einer außerordentlichen Empathie ganzheitlich den Menschen und Patienten gewidmet, erklärt der Kulturwissenschaftler Thomas Knubben im DLF. Zum 200. Todestag erinnert jetzt eine Ausstellung in Meersburg an Mesmer.

Thomas Knubben im Gespräch mit Michael Köhler | 25.04.2015
    Schwarz-weiß-Abbildung von Franz Anton Mesmer
    Der deutsche Arzt Franz Anton Mesmer (1734-1815) (imago)
    Michael Köhler: Seit dem frühen 19. Jahrhundert gibt es im Englischen einen Ausdruck, der nennt sich to mesmerize, mesmerisieren, was so viel heißt wie elektrisieren oder hypnotisieren oder eine gebannte Aufmerksamkeit erzeugen. Aber ganz in Vergessenheit geraten ist der Namensgeber, nämlich der Mann vom Bodensee, Franz Anton Mesmer. In Meersburg ist er 1815, vor 200 Jahren gestorben, und dieser Förstersohn wurde zu einem der bekanntesten Ärzte, aber auch Aufklärer seiner Zeit, dieser gebildete Jesuitenzögling vom Bodensee.
    Thomas Knubben, Professor für Kulturwissenschaft, der hat ein Buch über ihn veröffentlichet und gerade eine Ausstellung in Meersburg am Bodensee kuratiert, die an seinem Sterbeort von Franz Anton Mesmer gezeigt wird. Ihn habe ich gefragt: Wie hat denn dieser Mesmer eigentlich gearbeitet? Er hat beispielsweise (berühmte Geschichte) eine erblindete Pianistin in eine Art Holzbadewanne gesteckt und dann elektrisierte Eisenstäbe reingehalten?
    Thomas Knubben: Ja. Der berühmteste Fall, das ist dieser Fall der Maria Theresia Paradis, einer knapp 18-jährigen jungen Frau, die mit vier Jahren ihr Augenlicht verloren hat. 13, 14 Jahre lang ist sie blind, aber eine wunderbare Pianistin und als solche berühmt, bekannt, anerkannt. Alle Ärzte haben es schon aufgegeben, sie zu heilen, keiner sah eine Möglichkeit dazu, und Mesmer sah sich herausgefordert, da doch noch etwas zu machen. Das erste Wesentliche bei Mesmer war die außerordentliche Empathie, mit der er sich ganzheitlich den Menschen und Patienten gewidmet hat.
    Als Psychotherapeut gewirkt
    Was er tatsächlich gemacht hat, war nicht viel mehr, als mit den Händen über den Körper zu streichen und sie einer magnetischen Kur zu unterwerfen. Magnetische Kur hieß, dass er sie in den Bann von magnetischen Strahlen, ursprünglich tatsächlich Magnete, künstlich hergestellte Magnete brachte, später in seinen animalischen Magnetismus, wie er es genannt hatte, also in eine Strahlentherapie gewissermaßen gebracht hat. Da hat er sich geirrt. Diese Strahlentherapie, die war Unsinn. Aber diese Art und Weise, wie er mit den Patienten umgegangen ist, wie wir heute annehmen mit einem hypnotischen Verfahren, das hat Wirkung gezeitigt und hat ihn zu einem magischen Mediziner gemacht.
    Köhler: Jetzt müssen wir unbedingt was klarstellen, Thomas Knubben. Was Sie sagen, klingt auf den ersten Moment so, als hätte er - Sie entschuldigen die saloppe Redeweise - eine Klatsche. Aber der war alles andere als ein Esoteriker. Im Gegenteil: Er hat sich von der Astrologie sogar abgewandt. Er gilt als Aufklärer, aber hat sich Dingen zugewandt, die bis dahin vielleicht noch nicht so sehr medizinisch anerkannt waren. Einfacher gesagt: Der erste Psychotherapeut in der Geschichte?
    Knubben: Das kann man sagen, allerdings nur in seiner Praxis. Er hat als Psychotherapeut gewirkt, hat auch Schüler da ausgebildet, die den Zusammenhang vielleicht besser erkannt haben als er selbst. Mesmer hat sich als ein Aufklärer verstanden, und Aufklärer im 18. Jahrhundert im biologischen und medizinischen Zusammenhang hieß,…
    Köhler: Dr. der Medizin und der Philosophie?
    Knubben: Ja. Das hieß damals, den Menschen als eine Maschine zu begreifen, alles auf mechanische Zusammenhänge zurückzuführen.
    Köhler: Das war der französische Materialismus von La Mettrie.
    Über die psychologische Seite gewirkt
    Knubben: Das ist es und das hat natürlich Auswirkungen gehabt bis stark in die Medizin hinein. Mesmer hat sich zwar als ein Arzt für Nervenleiden verstanden, aber Nervenbahnen wurden gedacht so wie Blutbahnen, als reine mechanische Verbindungsmomente. Insofern war immer seine Überlegung, diese Nervenbahnen müssten auch materiell in Bewegung gehalten werden, und das war diese Idee eines Fluidums, einer Allflut, eines Zusammenhangs, einer Strahlung im kosmischen Bereich, die diese Wirkungen hervorriefe. Er beeinflusste es nicht über die materielle Seite, sondern über die psychologische Seite.
    Köhler: Er ist ein Aufklärer, haben wir mehrfach jetzt betont, in einer Zeit des unglaublichen Individualisierungsschubes, einer Zeit der Entdeckung der Freiheit, der individuellen Freiheit, der Freiheit von den Fesseln der Fremdbestimmung auch, um es politisch zu sagen, der aber doch auf etwas hinweist, was - ich nenne es mal so - außer uns ist, dass wir am Ende dann doch nicht ganz alleine sind und alles in der Hand haben. Anders gesagt: Eine Art romantischer oder vorromantischer Mediziner?
    Knubben: Das unbedingt. Er hat in die romantische Medizin hinein, die ja ein neues Bild von den Naturkräften zu entwickeln versuchte, da war er die Basis, auf die sich die romantischen Mediziner, die romantischen Philosophen und die Literaten berufen konnten und sich auch berufen haben.
    Köhler: Also auch die Nachtseiten des Menschen?
    Knubben: Das ist sicherlich eine der Besonderheiten von Mesmer, dass er sich den Menschen in ihrer ganzen Erscheinung, in ihren ganzen Bedrückungen, in all ihren Leiden zugewandt hat, und ich bin in der Beschäftigung mit Mesmer zu der Überzeugung gekommen, dass es wirklich seine Heilpraxis war, nicht seine Heiltheorie, die ihn so wirksam und bedeutend gemacht hat.
    Köhler: Thomas Knubben über den Heilpraktiker Franz Anton Mesmer. Er ist Kurator einer Ausstellung in Meersburg am Bodensee zum Wirken dieses Wunderarztes.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.