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Franz von Assisi in neuem Glanz

Mit seiner umfassenden Darstellung des franziskanischen Lebens von den Anfängen bis zur Gegenwart sprengt die Publikation den Rahmen eines bloßen Ausstellungskataloges. Gleichzeitig lenkt sie den Blick auf die Bedeutung des Franziskus als Ordensgründer und auf die nachhaltige Wirkung der Minoriten, nicht nur in der Kirchen-, sondern auch in der Universitätsgeschichte.

Von Martina Wehlte | 18.06.2012
    Nicht nur zu ihren Lebzeiten hatten es die Heiligen der römisch-katholischen Kirche schwer, ihrem gelebten Glauben Anerkennung zu verschaffen. Heute ringen sie, die Verzicht und Aufopferung predigten und zumeist ein qualvolles Ende fanden, fast noch mehr um die Gläubigen in einer materialistisch und egoistisch geprägten westlichen Welt. Franz von Assisi, der 1181 oder ’82 als Sohn eines reichen Kaufmannes geboren wurde, ist da eine Ausnahme. Schon die Grundschüler lernen ihn kennen und lieben, nicht nur weil er, das verwöhnte Patriziersöhnchen, sich mit den Armen und Aussätzigen solidarisierte, sondern weil er mit den Tieren sprechen konnte, den Wolf zum Besseren bekehrte und den Vögeln predigte. Na, und wer wollte in seiner Vita schon zwischen Wahrheit und Legende unterscheiden, wo doch die Wirkung ihrer Überlieferung die Mittel heiligt.

    Die Faszination Franz von Assis ist ungebrochen. Jährlich pilgern fünf Millionen Gläubige zur Grabeskirche San Francesco in Assisi, die zusammen mit der Bibliothek und dem Museum von den Franziskaner-Minoriten betreut wird. Sie bewahren auch zwei persönliche Gaben des Franziskus auf: Einen Messkelch, der die Bedeutung der Eucharistie bezeugt, und ein Brevier von 1224, das die Brüder zur Einhaltung des Stundengebets auffordert und den Orden gegen häretische Verbindungen abgrenzt. Beides ist in dem opulenten Band des Hirmer Verlages "Franziskus. Licht aus Assisi" abgebildet. Er entstand anlässlich einer Ausstellung im Erzbischöflichen Diözesanmuseum und im Franziskanerkloster Paderborn, die noch bis zum 6. Mai zu sehen ist. Mit seiner umfassenden Darstellung des franziskanischen Lebens von den Anfängen bis zur Gegenwart sprengt die Publikation den Rahmen eines bloßen Ausstellungskataloges, profitiert aber unschätzbar von der reichen Bebilderung dieses Formats.

    Das Projekt wurde vom Diözesanmuseum Paderborn, dem Lehrstuhl für Geschichte des Mittelalters an der Universität Potsdam und der Fachstelle Franziskanische Forschung e.V. in Münster realisiert. Es lenkt den Blick auf die Bedeutung des Franziskus als Ordensgründer und auf die nachhaltige Wirkung der Minoriten, der "Minderbrüder", nicht nur in der Kirchen- sondern auch in der Universitätsgeschichte. Die tritt im sogenannten "Doktorenfries" der Bozener Franziskanerkirche um 1500 vor Augen. Er zeigt eine Reihe von Universitätsgelehrten in langen braunen Kutten, gestikulierend und wie im Gespräch einander zugewandt. An prominenter Stelle ist hier u.a. der englische Gelehrte, Theologe und Naturphilosoph Roger Bacon zu nennen. Bis in die Neuzeit setzten die Minoriten, die ein dreigliedriges Studiensystem entwickelten, wichtige Akzente in der Behandlung der Heiligen Schrift und der Sentenzen des Petrus Lombardus wie auch als Mittler von Geographie, Kultur und Geschichte.

    Die im Mittelalter geeinte Ordensbewegung teilte sich 1517 in Observanten und Konventualen, die später durch die abgespalteten, kirchenrechtlich selbstständigen Kapuziner ergänzt wurden. In seiner religiös-spirituellen Neuausrichtung breitete sich der Orden im deutschsprachigen Raum schnell aus und der Traditionsstrang freiwillig gewählter Armut setzt sich von Martin von Tours über Franziskus, die Heilige Klara, Elisabeth von Thüringen, Franziska Schervier und Rosa Flesch bis in die Gegenwart fort. Als franziskanische Ideale haben sich Demut, freiwillige Besitzlosigkeit, Friedfertigkeit, Fürsorge gegenüber Mitmenschen und Verantwortung gegenüber der Schöpfung sowie der Dialog zwischen den Religionen erhalten. Letzteres geht auf Franziskus‘ friedliche Missionstätigkeit zurück, die ihn 1219 mit den Kreuzfahrern zu dem ägyptischen Sultan Malik el-Kamil führte. Wie diese Ideale heute transformiert werden können, zeigt Cornelius Bohl in seinem Beitrag "Franziskus heute" zwischen Gorleben, Twitter und Hartz IV.

    Als "Licht aus Assisi" führte der franziskanische Gelehrte Bonaventura von Bagnoregio (1217-1274) den Heiligen in seiner offiziellen Biografie ein. Die Geschichtstheologie dieses bedeutenden Kirchenlehrers war Gegenstand der Habilitationsschrift Joseph Ratzingers, des heutigen Papstes Benedikt XVI. und seine Lichtmetaphorik deutet auf Franz von Assisi als eine gleichermaßen charismatische wie radikale Persönlichkeit, die Marco Tasca, der Generalminister der Franziskaner-Minoriten, als einen "Kristallisationspunkt für die Erscheinungen und Strömungen einer Umbruchszeit" bezeichnet. Damit sind die in den Alltag der Menschen hineinreichenden Machtkämpfe zwischen Papsttum und weltlicher Gewalt, zwischen Innozenz III. und König Philipp von Schwaben, die Polarisierung von Adel und Volk, die Städtefeindschaften in Oberitalien gemeint, die der Band dem Leben und Wirken des Franziskus als zeitgeschichtliche Folie unterlegt.

    Schon kurz nach seinem Tod setzte eine intensive literarische und bildkünstlerische Auseinandersetzung mit Leben und Wirken des Heiligen ein. Die Gewölbe- und Wandmalereien von Cimabue und Giotto in der Grabeskirche, die bei einem Erdbeben 1997 großenteils zerstört und danach rekonstruiert wurden, machten den Anfang. Peter Paul Rubens, Anthonys van Dyck, Georges de la Tours festigten dann den Bildtypus des Franciscus extaticus, der die unmittelbare Gotteserfahrung zeigt und nicht beliebige Motive wie die Vogelpredigt oder den segnenden Prediger. Oft wird auch die Stigmatisierung dargestellt, die er fastend in der Einsamkeit erhielt und in der sich seine Christusähnlichkeit manifestierte. Die compassio in einem Tafelbild Lorenzo Monacos, auf dem Franziskus den Kreuzesstamm umarmt, thematisiert seine besondere Liebe zu Christus; seine Apotheose lässt ihn als zweiten Christus erscheinen. So erschließt sich in dem Band ein facettenreiches Deutungsspektrum der Franziskusfigur, das für jeden einen individuellen Zugang bereithält und die andauernde Popularität dieses Heiligen verständlich macht. Die hervorragenden Aufnahmen von der Grabeskirche San Francesco, von Kirchen- und Klosterbauten in Lübeck, Braunschweig oder Wien sowie die Beispiele der Buchkunst hinterlassen beim Betrachter einen bleibenden Eindruck.


    Literaturhinweis:
    Franziskus - Licht aus Assisi. Hg. Von Christoph Stiegemann, Bernd Schmies, Heinz-Dieter Heimann (Katalog zur Ausstellung im Erzbischöflichen Diözesanmuseum und im Franziskanerkloster Paderborn), 445 S., Hirmer Verlag. Preis: 39,90 €.