Dienstag, 19. März 2024

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Franziskus und Kyrill
Das Treffen von Papst und Patriarch als Jahrtausendereignis

Das Große Schisma, die Trennung von orthodoxer Kirche und römisch-katholischer Kirche, wird meist auf das Jahr 1054 datiert. Danach herrschte über Jahrhunderte Funkstille. Jetzt soll alles anders werden. Heute treffen sich erstmals ein Moskauer Patriarch und ein römischer Papst: Franziskus und Kyrill.

Thomas Bremer im Gespräch mit Andreas Main | 12.02.2016
    Papst Franziskus und der orthodoxe Patriarch Bartholomäus umarmen sich nach einer gemeinsamen Messe
    Papst Franziskus und Bartholomaios I. von Konstantinopel.Letztlich ist die Annäherung diesem Ökumenischen Patriarchen zu verdanken. (dpa / picture alliance / Tolga Bozoglu)
    Andreas Main: Professor Thomas Bremer, der russisch-orthodoxe Patriarch und der römisch-katholische Papst, das erste Treffen der Oberhäupter dieser beiden Kirchen überhaupt, ein erstes Treffen nach rund tausend Jahren Kirchenspaltung - das als historisch zu bezeichnen, das lässt sich wohl kaum hinterfragen. Haben Sie als Experte für die Ostkirchen damit gerechnet, das noch erleben zu dürfen?
    Thomas Bremer: Ich habe nicht damit gerechnet, dass das so bald und so schnell kommt und so unerwartet. Dass es irgendwann mal kommen würde, damit konnte man, glaube ich, im Prinzip rechnen, aber, ich glaube, für die meisten war die Ankündigung, dass es jetzt stattfinden soll, doch eine große Überraschung.
    Main: An dieser Begegnung von Papst und russisch-orthodoxem Patriarchen arbeiten und arbeiteten viele im Vatikan und darüber hinaus – auch unter Franziskus Vorgängern. Was war das zentrale Hindernis aus Ihrer Sicht auf dem Weg zu dieser Begegnung?
    Bremer: Da gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Zunächst die Frage war ja im Vordergrund gestanden seit dem Pontifikat von Johannes Paul II. Und in die Zeit dieses Pontifikats kommt ja auch das Ende der Sowjetunion und das Ende der kommunistischen Systeme in Osteuropa. Das bedeutet dort ein großes Maß an Religionsfreiheit. Und das bedeutet insbesondere, dass die griechisch-katholische Kirche in der Ukraine, die sogenannte unierte Kirche, nach Jahrzehnten der Illegalität sich dort wieder entfalten und entwickeln konnte. Das hatte zur Folge, dass die russisch-orthodoxe Kirche, die dort die Vormacht hatte, viele Gemeinden und viele Gläubige verloren hat. Und das hat die russische Kirche immer der römischen Kirche zum Vorwurf gemacht und gesagt, das sei ein bewusster feindlicher Akt der katholischen Kirche gegen die Orthodoxie und speziell gegen die russische Orthodoxie gewesen. Das musste jetzt ein bisschen, die letzten Monate, – obwohl das schon 25 Jahre her ist – als Vorwand dafür herhalten, warum ein solches Treffen nicht möglich ist.
    "Große Nähe der russisch-orthodoxen Kirche zum russischen Staat"
    Main: Die russisch-orthodoxe Kirche und die russische Regierung – viele sehen darin ein Paradebeispiel dafür, wie Kirche und Politik verquickt sind. Wir haben es – so sehen es viele – mit einer durch und durch nationalistischen Kirche zu tun, die das Regime mit Weihrauch und Ideologie stabilisiert. Lässt sich der Papst bewusst oder unbewusst in diesen antiliberalen Sumpf ziehen?
    Bremer: Ich würde die Beschreibung nicht teilen, die sie am Anfang gemacht haben. Die russisch-orthodoxe Kirche hat in ihrem ersten Satz des Statuts drin stehen, dass sie eine multi-nationale Kirche ist; und sie zählt ja auch tatsächlich Ukrainer, Belarussen und viele andere zu ihren Gläubigen. Und wenn man etwa die Ereignisse jetzt in der Ukraine in den letzten zwei, drei Jahren betrachtet, also die Frage nach der Annexion der Krim und die Ereignisse in Donbass, dann wird man sehen, dass die russische Kirche relativ – also die russische Kirche in Moskau – sich relativ verhalten äußert und keine eindeutige Position nimmt, die identisch wäre mit der des russisches Staates. Das kann man auch an einigen anderen Akten sehen. Das heißt, es stimmt, dass die russisch-orthodoxe Kirche eine große Nähe zum russischen Staat hat. Aber es gibt gerade in diesen interessanten und wichtigen Kirchendingen auch eine vorsichtige Zurückhaltung. Was vielleicht interessant ist, ist– Sie haben das angesprochen – eine wenig liberale Position. Das spielt, glaube ich, eine wichtige Rolle. Die russische Kirche vertritt – übrigens auch der russische Staat – die Position, dass Russland eine eigene Zivilisation sei, eine eigener Kulturkreis, der sich in vielen Dingen ganz diametral von dem westlichen europäischen Kulturkreis unterscheidet. Und diese Frage anzuschneiden – also das Verhältnis von orthodoxer zu westlicher Kultur, das ist, glaube ich, eine ganz interessante Sache, die sicher auch Thema werden wird bei dem Gespräch.
    Main: Patriarch Kyrill hat punktgenau zu Beginn der russischen Luftangriffe in Syrien den Kampf gegen den Terrorismus – so die offizielle Version Moskaus – also diesen Krieg hat Kyrill als "heilig" bezeichnet. Sie sind Professor für Ökumene, Ostkirchenkunde und Friedensforschung. Inwieweit teilen Sie als katholischer Theologe dieses Friedensverständnis des russischen Patriarchen?
    Bremer: Es war ein Sprecher des Patriarchen, der diese Bezeichnung gemacht hat, als "heiliger Krieg". Aber auch der Patriarch selber hat die Luftangriffe verteidigt. Das tun viele Menschen, nicht nur in der orthodoxen Kirche, sondern eben auch in der katholischen Kirche in Syrien. Vor einigen Tagen erst hat ein katholischer Bischof die Angriffe gerechtfertigt. Und der Punkt dahinter ist der, dass man meint – ich sehe das nicht so -, aber dass man eben argumentiert, die Unterstützung des Westens für die Rebellen habe dazu beigetragen, dass es diesen großen Exodus von Christen im Nahen Osten gibt – und besonders aus Syrien. Aus Syrien, einem Land, wo die Christen mit vielleicht 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung vor dem Krieg, also vor mehreren Jahren, relativ unbehelligt und relativ gut mit den Muslimen zusammengelebt haben. Und man interpretiert das auf orthodoxer Seite, aber eben auch zum Teil bei anderen Christen im Land selber, in Syrien selber, so, als sei dieses Leben, das die Christen hatten, unmöglich gemacht worden, als seien die Vertreibungen eingeleitet worden durch die militärischen Aktionen des Westens. Und aus dieser Perspektive – die ich nicht teile, aber man muss sie eben sehen, um das zu verstehen – aus dieser Perspektive glaubt man eben, dass die russischen Angriffe, die das Regime von Assad stützen sollen, dass die eigentlich gut seien für die Christen.
    Main: Ich spitze zu: Der Papst stabilisiert indirekt Putin, Kyrill und deren Syrien-Politik.
    Bremer: Das wird man erst sehen. Wir wissen ja noch nicht, was der Papst Kyrill sagen wird und was dann offiziell gesagt werden wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er tatsächlich Putins Politik oder Assads Politik stützen oder rechtfertigen wird. Aber man sollte doch sehen, dass es eben – wie gesagt, nicht nur bei orthodoxen Christen – unterschiedliche Sichtweisen auf diesen Krieg gibt.
    Es geht um die Kirchenspaltung
    Main: Und es geht nun mal auch primär darum, eine tausend Jahre alte Spaltung zu überwinden und womöglich muss man Kollateralschäden dieser Art in Kauf nehmen.
    Bremer: Das würde ich nicht so sagen, dass das Kollateralschäden sind. Das sind auch, glaube ich, zwei ganz unterschiedliche Fragen. Die Frage nach der Kirchenspaltung ist eine Frage von theologischen Differenzen, über die man sich, glaube ich, in gewisser Hinsicht und bei entsprechender Mühe einig werden könnte. Es ist natürlich sehr stark eine Frage von Kirchenpolitik. Das heißt: Was bedeutet es, wenn die Kirchen sich einig werden würden? Was wäre denn dann in dieser geeinigten Kirche etwa die Stellung des römischen Papstes? Und was bedeuten denn dann die Patriarchate? Es gibt ja nicht nur Moskau, es gibt ja noch andere orthodoxe Patriarchate. Die Frage nach diesen machtpolitischen Fragen, die Sie jetzt angesprochen haben in Bezug auf die Kriege im Nahen Osten, das ist, glaube ich, ein anderes Thema, das man nicht ohne weiteres mit dem zusammenbringen kann. Natürlich sind die Kirchen auch Akteure; und sie haben Positionen und äußern diese Positionen in Bezug auf politische Fragen, aber das ist eben doch was anderes als die Frage etwa nach der Kirchenspaltung.
    Main: Wenn es zu einer Verständigung zwischen diesen Kirchen kommen könnte, was würde das für ein Signal senden?
    Bremer: Ja, die Frage ist natürlich, was für eine Verständigung das wäre. Also zunächst mal das theologisch Interessante ist die Verständigung über eine Kirchenstruktur. Das heißt, dann stellt sich tatsächlich die Frage, welche Rolle hat der römische Bischof...
    Main: Einheit in Vielfalt.
    Bremer: Ja, aber das muss ja konkret etwas bedeuten. Wir haben katholischerseits Aussagen von Konzilien, wie etwa das Erste Vatikanische Konzil, die für die Orthodoxen in der Form völlig unannehmbar sind. Das heißt: Wenn sich die Kirchen einigen, dann müsste man einfach gucken, was ist das für eine Einigung, worauf einigt man sich denn. Natürlich wäre es bedeutsam, wenn die beiden großen Traditionen der byzantinisch-östlichen und der katholischen Kirche sich irgendwie einigen könnten und dann gemeinsame Positionen in Bezug auf politische Fragen vertreten können. Man muss allerdings auch sagen – das ist ja so, bei großen Organisationen, wie Kirchen das sind - es gibt ja auch jetzt nicht die einheitliche Position der katholischen Kirche. Es gibt viele Katholiken, die in politischen Fragen unterschiedliche und andere Meinungen haben als etwa der Papst oder als große Gruppen von anderen Katholiken. Also es ist ja nicht so, dass es eine einheitliche orthodoxe und eine einheitliche katholische Meinung gäbe oder Positionen gäbe, sondern die sind in sich noch mal sehr stark unterschieden und differenziert.
    Main: Unser Gespräch haben wir damit begonnen, dass Sie auch überrascht waren über die Ankündigung dieses Termins. Waren Sie ebenso überrascht, was die Ortswahl betrifft – also Kuba, das einst Teil des Sowjet-Imperiums war, also eine öffentlichkeitswirksame Begegnung dort – wie werten Sie diese Ortswahl?
    Ein neutraler Ort für das Treffen
    Bremer: Es gab ja schon immer Gerüchte auch unter den vorherigen Päpsten über ein solches Treffen und wo das möglich sei. Und dann war es immer natürlich das Problem, dass man einen möglichst neutralen Ort finden sollte. Es war mal Österreich und die Schweiz im Gespräch. Der weißrussische Präsident hat mal nach Minsk eingeladen und so weiter. Aber man muss natürlich sagen, dass in Europa Ort irgendwie geprägt oder belastet sind.
    Main: Kuba ist aber auch nicht neutral.
    Bremer: Nein – aber es ist weit weg von diesen historischen Belastungen und Prägungen, die es zwischen den beiden Kirchen gibt, und insofern ist es eben irgendwie neutral. Es ist ein glücklicher Umstand, dass beide – also der russische Patriarch besucht ja Kuba und der Papst besucht Mexiko-, dass beide in der Region sind und dass man doch im gewissen Sinne auf neutralem Boden ist. Der Papst ist Lateinamerikaner, das liegt ihm vielleicht auch ein bisschen näher als unsereinem, der wahrscheinlich nicht so schnell auf Kuba gekommen wäre. Also ich war etwas überrascht, halte es aber für ein interessante und in sich nachvollziehbare Entscheidung, nach Kuba zu gehen für dieses Treffen.
    Main: Verstehen Sie diejenigen, die das als eine politische Positionierung interpretieren?
    Bremer: Nein – das glaube ich nicht. Der Papst hat ja schon oft genug bewiesen, dass er sich über solche Kategorisierungen hinweg setzen kann.
    Main: Einschätzungen waren das von Thomas Bremer, Professor für Ökumene, Ostkirchenkunde und Friedensforschung an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Münster. Danke Ihnen ganz herzlich, Herr Bremer.
    Bremer: Bitte.