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Franziskus von Assisi (Teil 5)
Der Gaukler Gottes und die Erlösung der Welt

Franziskus verstand sich als Sänger und Gaukler. Er inszenierte seine Predigten. Die Entwicklung des Ordens verselbstständigte sich immer mehr - er blieb aber auch nach seinem Tod immer ein Stachel im Fleisch der Kirche.

Von Rüdiger Achenbach | 12.06.2015
    Eine Franziskus-Darstellung ist im Diözesanmuseum in Paderborn in der Ausstellung "Franziskus - Licht aus Assis" zu sehen
    "Was sind wir Knechte Gottes anderes", sagte Franziskus, "als umherziehende Sänger und Spielleute" (picture alliance / dpa / Bernd Thissen)
    "Er sang auf Französisch vom Herrn, begleitete sich dabei zum Schein selbst mit der Viola, zuweilen nahm er dazu ein Stück Holz von der Erde auf, legte es auf den linken Arm und hielt mit der Rechten einen mit einem Faden gespannten Stab. Den zog er über das Holz wie auf einer Viola und machte dazu passende Gesten und tanzte."
    Die zeitgenössischen schriftlichen Quellen berichten von dem Neuartigen und Ungewohnten bei den Auftritten des Franziskus. Dass keine einzige Predigt von ihm erhalten ist, hängt sicherlich auch damit zusammen, dass Franziskus sehr häufig vieles auch wortlos als Zeichenhandlung auf schauspielerische Weise vorführte.
    In der Regel handelte es sich dabei um eine inszenierte Performance. Ob er sich vor seinen Zuhörern das Haupt mit Asche betreut, zur Buße nackt über einen Marktplatz führen lässt oder eine Geldmünze in Eselkot steckt, um seinen Brüdern zu demonstrieren, welche Einstellung zum Geld sie haben sollten. Immer setzt er dabei seine Anliegen in symbolische Gesten um. Helmut Feld:
    "Normale Bürger, kirchliche Amtsträger und sogar Mitglieder seines Ordens empfanden manche seiner Handlungen und Äußerungen als überspannt und verrückt."
    Ein neuer Narr in der Welt
    Aber vor allem unter seinen ersten Gefährten waren solche Zeichenhandlungen noch völlig selbstverständlich. Für ihn selbst gehörte diese Art der Verkündigung des Evangeliums zu seinem Auftrag.
    "Der Herr hat mir gesagt, er wolle, dass ich ein neuer Narr sei in der Welt."
    Mit diesen Darbietungen unterscheiden sich Franziskus und seine Brüder grundsätzlich von anderen Predigern der Armutsbewegungen in der damaligen Zeit, wie zum Beispiel von den Waldensern. Anton Rotzetter, Dozent an der Hochschule für Franziskaner und Kapuziner in Münster.
    "Im Gegensatz zu den Waldensern verbreiteten sie nicht eine Weltuntergangsstimmung, keine düstere Gerichtsatmosphäre, keine bloße Gebotsverkündigung. Sie fühlten sich vielmehr als Sänger, als Menschen, die froh sind ob der Schöpfungs- und Erlösungstat Gottes und die anderen diese Freude mitteilen wollen. "Was sind wir Knechte Gottes anderes", sagt Franziskus, "als umherziehende Sänger und Spielleute, welche die Herzen der Menschen bewegen wollen."
    Diese Vorstellung machte vor allem in der Anfangszeit die Bruderschaft für viele attraktiv. Die Zahl der Anhänger wuchs innerhalb weniger Jahre enorm an. Ulrich Köpf, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Tübingen:
    "Je größer die Bruderschaft wurde, umso stärker musste der Drang in die Ferne werden. Natürlich blieb Umbrien mit der Portiuncula als Zentrum, von dem die Brüder ausgesandt wurden und zu dem sie regelmäßig zurückkehrten."
    Die Brüder teilten sich in Gruppen auf und zogen nach Spanien, Frankreich, Deutschland und in andere Länder. Franziskus reiste 1219 nach Ägypten zu Sultan Melek-el Kamil. Veit Jakobus Dieterich, Professor an der Fakultät für Evangelische Theologie an der Universität Hohenheim.
    "Franziskus tritt in Ägypten für eine Alternative zum Kreuzzug ein. Er will die Muslime nicht mit Waffen bekämpfen, sondern mit Worten bekehren. Der Sultan empfängt ihn tatsächlich, zeigt sich höflich, doch distanziert."
    Franziskus erreichte sein Zeil nicht. Melek el Kamil war ein eher aufgeklärter Herrscher und an religiösen Fragen kaum interessiert. Im November 1229 erlebte Franziskus dann im Nahen Osten, wie die Kreuzfahrer die Stadt Damiette eroberten und wurde Zeuge eines gewaltigen Blutbades. Von 80.000 Einwohnern überlebten nur knapp 3000. Sein beabsichtigter Wunsch, Frieden zu vermitteln, war auf beiden Seiten gescheitert. Als dann kurz darauf ein Bote aus der Heimat eintraf und ihm berichtete, dass die Bruderschaft während seiner Abwesenheit in eine tiefe Krise geraten war, beschloss Franziskus, sofort nach Italien zurückzukehren.
    Die beiden Brüder, die als Stellvertreter des Franziskus der Gemeinschaft während seiner Abwesenheit vorstanden, hatten eine Reihe von Neuerungen eingeführt. Im Kapitel sollten künftig nicht mehr alle Brüder eine Stimme haben dürfen und außerdem waren die Fastenregelungen verschärft worden. Vieles von diesen Veränderungen zielte auf eine Anpassung der Bruderschaft an die anderen Mönchsorden. Aber es zeigten sich auch erste Spaltungstendenzen innerhalb der Bruderschaft. Der Mediävist Jacques Le Goff.
    "Auf der einen Seite hatten radikale Brüder recht eigenartigen Strömungen das Tor in die Brüderschaft geöffnet: Ein Teil von ihnen betrachtete sich als reine Vagabunden Gottes, einige umgaben sich sogar mit Frauen und gründeten Aussätzigenkolonien für Männer und Frauen. Auf der anderen Seite standen die gemäßigten Brüder, die sich vom strengen Regiment der älteren Brüder befreien wollten: Sie bauten lieber schöne Kirchen aus Stein, betrieben mit Eifer ihre Studien und verlangten Privilegien von der römischen Kurie."
    Scheu vor der direkten Konfrontation
    Als Franziskus im Sommer 1220 zurückkam, wendet er sich sofort an den Papst, der ihm helfen sollte, die aus den Fugen geratene Bruderschaft wieder zur Ordnung zu rufen. Veit Jakobus Dieterich:
    "Eine unmittelbare Auseinandersetzung mit den "Aufwieglern" scheut er, er scheint sich keinen wesentlichen Einfluss auf die leitenden Brüder zuzutrauen. Stattdessen sucht er Unterstützung bei der mächtigsten Autorität, beim Papst. Und eröffnet damit der Kurie die Möglichkeit, zum ersten Mal direkt und massiv in die Ordensleitung einzugreifen."
    Der Papst hebt zwar alle Neuerungen auf, die während der Abwesenheit des Franziskus eingeführt worden waren, aber gleichzeitig setzt er nun als Protektor der Bruderschaft Kardinal Ugolino ein. Helmut Feld:
    "Das war ein verhängnisvoller Schritt: Denn der Kardinal, der sich schon früher in die Angelegenheiten des Franziskus und seiner Bewegung intensiv eingemischt hatte, nahm nun alle Fäden in die Hand, um deren innere und äußere Entwicklung zu steuern."
    Was Kardinal Ugolino dann auch Schritt für Schritt gelang. 1223 bestätigte Papst Honorius III. eine neue überarbeitete Regel für die Bruderschaft. Während die erste Regel, die Innozenz III. nur mündlich anerkannt hatte, im Blick auf die hierarchische Ordnung der mittelalterlichen Kirche fast revolutionär gewesen war, fiel die neue Regel, die maßgeblich von Kardinal Ugolino korrigiert worden war, durch deutliche Veränderungen auf. Helmut Feld:
    "Zwar sind die ursprünglichen Ideale der Gemeinschaft klar ausgesprochen, aber es herrscht ein anderer Ton und vor allem ein anderer Geist: Die gesetzlich, in juristische verbindliche Form gegossene Sprache beweist, dass hier ein Kanonist letzte Hand angelegt hat, dem vor allem an der Integration des Franziskanertums in das kirchliche Rechts- und Ordnungssystem gelegen war."
    Das Prinzip der Freiwilligkeit, das bisher praktiziert wurde, war damit aufgehoben. Kardinal Ugolino hatte sich mit dieser Ordensregel im Sinne des Kirchenrechts gegen die Vorstellung einer freien charismatischen Bruderschaft durchgesetzt.
    Franziskus war schon 1220 von der Leitung der Bruderschaft zurückgetreten.
    Die Gründe dafür mögen vielschichtig gewesen sein. Entscheidend war wohl, dass er mit der Entwicklung innerhalb der Bewegung nicht mehr einverstanden war. Aber auch sein Gesundheitszustand machte ihm zunehmend zu schaffen. In Ägypten hatte er sich ein Augenleiden zugezogen, das ihm zu den üblichen körperlichen Beschwerden - die Folge seines strengen asketischen Lebens waren - zunehmend Schwierigkeiten bereitete. Franziskus zog sich nun immer häufiger zur Kontemplation zurück und hielt sich nur noch in Mittelitalien auf.
    Hier trat der Gaukler Gottes dann auch in der Weihnachtsnacht 1223 in der Nähe der Stadt Greccio mit einer für ihn typischen Performance auf. Für die nächtliche Weihnachtsmesse ließ er unter einem Felsvorsprung im Freien einen Altar aufbauen. Es wurde eine Krippe aufgestellt und daneben ließ Franziskus einen lebenden Ochsen und einen lebenden Esel stellen. Im Schein von Fackeln wurde dann dort wie auf einer Art Bühne die Messe gefeiert, bei der Franziskus über das Kind von Bethlehem predigte. Thomas von Celano berichtet:
    "Wenn Franziskus den Namen 'Bethlehem' aussprach, tat er das jedes Mal nach Art eines blökenden Schafes 'Bätlääm', 'Bätlääm'."
    Mit dieser gesamten Inszenierung holte Franziskus Bethlehem und die Geburt Jesu in dieser Nacht in die Gegenwart, um damit deutlich zu machen, dass durch die Inkarnation Christi, Bethlehem sowohl in Greccio in Mittelitalien wie auch an jedem anderen Ort sein konnte. Helmut Feld:
    "Es ging wohl darum, einen deutlichen Gegenakzent zu setzen gegen "Jerusalem", das als Ziel der Kreuzzüge damals in aller Munde war. Wenn es auf "Bethlehem" ankam und "Bethlehem" überdies mitten in Italien neu erstehen konnte, dann ist damit wohl auch gesagt, dass kriegerische Unternehmen zur Befreiung des Heiligen Grabes und Landes überflüssig waren."
    Aber es ging Franziskus bei dieser Zeichenhandlung nicht nur um eine deutliche Absage an die Kreuzzüge, sondern auch noch um einen anderen Aspekt. Mit der Teilnahme von lebenden Tieren an einer Messe, was nicht erlaubt war, unterstrich er auch, dass es bei der Inkarnation Christi auch um das Heil und die Erlösung der nicht-menschlichen Kreaturen ging. Eine Vorstellung von der Erlösung der Welt, die den Kerngedanken seiner Religiosität ausdrückte.
    Die Vision auf dem Berg La Verna
    Im Herbst 1226 hatte sich dann der allgemeine körperliche Zustand des Franziskus so sehr verschlechtert, dass man ihn eilig nach Assisi zurückgebracht hatte. Er war fast blind geworden und mehrere seiner Organe waren zunehmend funktionsunfähig. In dieser Situation verfasste er sein Testament, in dem er seinen Brüdern noch mal seine wichtigsten Ideale zusammenfasste. Dieses Testament sollte die gleiche Verbindlichkeit für die Brüder haben wie die Ordensregel. Deshalb vermerkte er im Testament ausdrücklich:
    "Der Generalminister und alle anderen Minister und Custoden sollen unter der Gehorsampflicht gehalten sein, zu diesen Worten nichts hinzuzufügen, oder etwas wegzulassen."
    Als Franziskus dann spürte, dass sich das baldige Ende ankündigte, ließ er sich zur kleinen Portiuncula-Kirche bringen. An diesem von ihm besonders geschätzten Ort wollte er sterben und dort neben der kleinen Kirche wollte er auch begraben werden.
    Er ließ sich völlig nackt auf den Boden der Kirche legen, um so auf Bruder Tod, wie er den Tod nannte, zu warten. Am Abend des 3. Oktober 1226 ist Franziskus dann im Alter von 44 oder 45 Jahren gestorben.
    Generalminister Elias von Cortona verfasste kurz darauf einen Rundbrief, um den Angehörigen des Ordens den Tod des Stifters mitzuteilen und auf eine Besonderheit hinzuweisen. Ulrich Köpf:
    "Nach seinem Tod zeigte sich offen, was Franziskus zuvor sorgfältig verborgen hatte und was nur wenigen Vertrauten durch Zufall bekannt geworden war: Er trug an Händen und Füssen und an der rechten Seite die Wundmale Jesu."
    Diese Stigmata wurden mit einer Vision auf dem Berg La Verna in Verbindung gebracht. Man hat seit Jahrhunderten immer wieder nach Erklärungen gesucht, wie diese Wundmale entstanden sein könnten. Manche Franziskus-Forscher meinen zum Beispiel, dass Franziskus sich diese Wundmale während einer intensiven Meditation selbst beigebracht habe, andere vermuten, dass sie durch Autosuggestion oder als Narben einer Krankheit entstanden sein könnten. Sicher ist aber, dass Franziskus der Erste in der Geschichte des Christentums ist, der solche Wundmale hatte. Ulrich Köpf:
    "Wie immer man dieses Phänomen erklären mag, auf keinen Fall steht dahinter eine unlautere Absicht, sondern das innigste Einleben in die Nachfolge Jesu bis hin zum Versuch einer Identifikation mit dem leidenden und gekreuzigten Heiland."
    Entgegen seinem Wunsch wurde Franziskus dann nicht bei der Portiuncula beigesetzt, sondern in der Kirche San Giorgio in Assisi. Schon 1228, zwei Jahre nach seinem Tod, wurde er dann von Papst Gregor IX., dem früheren Kardinal Ugolino, heiliggesprochen. Klaus Reblin:
    "Gregor IX. tat es wohl weniger aus Sympathie für den Lebensinhalt seines Schützlings. Minorität, Rechtlosigkeit und Verzicht auf individuelles wie kollektives Eigentum waren nicht die Ideale des Kirchenfürsten. Er sprach Franziskus heilig, weil dieser sich gut als Aushängeschild für die von der europaweiten Armutsbewegung bedrohten römischen Kirche verwenden ließ."
    Am 15. Mai 1230 wurden dann die sterblichen Überreste des Heiligen - in die inzwischen eigens zu seinem Andenken errichtete - prunkvolle Doppelkirche San Francesco überführt. Diese prachtvoll ausgestattete Basilika wurde von vielen der alten Gefährten des Franziskus als Bruch mit den Idealen des Stifters empfunden.
    Es kam deshalb innerhalb des Ordens zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Hautrichtungen, den gemäßigten Konventualen und dem radikaleren Flügel, die später Spirituale genannt wurden. Bei diesem Streit ging es vor allem um die richtige Auslegung der Ordensregel und um die Einhaltung dessen, was Franziskus in seinem als verbindlich erklärten Testament gefordert hatte.
    Um diesen Auseinandersetzungen ein Ende zu bereiten, erklärte Papst Gregor IX. kurzerhand das Testament des Franziskus für nicht verbindlich.
    Nicht wenige Spirituale haben wegen ihres Widerstandes gegen diese Anordnung und mit ihrem Festhalten an einer radikalen Armut in den folgenden Jahrzehnten lebenslange Kerkerstrafen oder den Feuertod erlitten.
    Außerdem wurde Franziskus vor allem in den Kreisen der Spiritualen eine fast christusähnliche Rolle in der Heilsgeschichte zugewiesen. Helmut Feld:
    "Durch die Stigmatisation war er in der Vorstellung seiner Anhänger nicht nur ein "zweiter", sondern ein "anderer Christus". Wenn es bei Ubertino von Casale heißt, Franziskus sei "in die Welt gesandt worden", so wird damit eine vorzeitliche Existenz des Heiligen, ähnlich derjenigen des Gottessohnes Christus, angedeutet. Auch diese Vorstellung ist nicht erst, wie oft behauptet wird, in Kreisen der Spiritualen um die Wende des 13. Jahrhunderts erfunden worden, sondern sie war bereits bei den Zeitgenossen des Heiligen verbreitet."
    Für die Kirchenleitung waren solche Vorstellungen natürlich häretisches Gedankengut, das mit allen Mitteln bekämpft werden musste. Immer wieder verschwanden kleine rebellische Gruppen der Franziskaner, stets von der Inquisition bedroht, in den Untergrund.
    Besonders in Italien wirken diese gegen den klerikalen Machtanspruch kämpfenden Gruppen unter dem Namen "Fraticelli", also kleine Brüder, bis ins 15. Jahrhundert.
    Ein Stachel im Fleisch der Kirche
    Auch, wenn die Entwicklung des Franziskanerordens in einiger Abweichung von den Intentionen des Gründers verlief, blieb der Orden immer wieder in Stachel im Fleische der Kirche.
    Und wenn Franziskus in einer Zeit, in der der Adel das Kirchenleben bestimmte, zur Förderung der Nichtadeligen in der Kirche und zur Prägung der Laienfrömmigkeit beigetragen hatte, konnte er die mittelalterliche Kirche dennoch nicht in seinem Sinne verändern. Helmut Feld:
    "Die Vorstellungen, die Franziskus von der Erneuerung der Kirche hatte und von denen er überzeugt war, dass Gott selbst sie ihm geoffenbart hatte, hätten eine vollständige Umgestaltung der mittelalterlichen Kirche, eine neue Religion, zur Folge gehabt, wenn sie, seinen Träumen und Visionen entsprechend, verwirklicht worden wären. Aber die visionären Gedanken des Heiligen von Assisi über Gott, Natur, Seele, Tod und Welterlösung erweisen auch im Kontext des modernen, naturwissenschaftlichen und ethischen Denkens ihre Tiefe und Aktualität."