Freitag, 29. März 2024

Archiv

Französische Sozialisten
Im freien Fall

Nach der Wahlniederlage im Juni versuchen die Sozialisten, sich neu aufzustellen. Die Bemühungen scheinen aber nicht zu fruchten, im Gegenteil: Der Mitgliederschwund hält an und wie es aussieht, hat die französische Partei so große Geldsorgen, dass sie sogar ihren alten Stammsitz verkaufen muss.

Von Jürgen König | 09.08.2017
    Der Vorsitzende der französischen Sozialisten, Jean-Christophe Cambadelis, bei einer Rede am Wahlabend
    Machte den Weg für einen Neuanfang frei: der ehemalige Vorsitzende der französischen Sozialisten, Jean-Christophe Cambadélis. (AFP / Geoffroy van der Hasselt)
    In der Nationalversammlung ist nicht einmal mehr der Name geblieben: als Fraktion "Neue Linke" treten die 31 Abgeordneten der Sozialistischen Partei an, jener Partei, die in der vergangenen Legislaturperiode 295 Sitze in der Nationalversammlung hatte, die in beiden Kammern des Parlaments die Mehrheit besaß und die den Staatspräsidenten stellte.
    Doch das Scheitern dieses Präsidenten Hollande, der zuletzt mit seiner marktliberalen Politik das Gegenteil dessen vertrat, was er im Wahlkampf 2012 versprochen hatte, führte zur Spaltung der Partei. Ihre Zustimmungswerte brachen dramatisch ein, ihr Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon kam auf gerade mal 6,36 Prozent der abgegebenen Stimmen. Der Mitgliederschwund soll erheblich sein, genaue Zahlen gibt es nicht. Und auch das frühere politische Spitzenpersonal zog sich zurück. "Ich verlasse die Sozialistische Partei und sie verlässt mich", sagte der frühere Premierminister Manuel Valls im Sender RTL.
    Ehemaliger Präsidentschaftskandidat streicht die Segel
    Manche, wie der langjährige Parteichef Jean-Christophe Cambadélis, machten uneigennützig den Weg für einen Neubeginn frei, einige gingen, um andernorts ihre Chancen zu suchen: Benoît Hamon, der in der Partei letztlich ungeliebte Kandidat. Hamon verließ sie, um sich mit seiner "Bewegung 1. Juli" politisch selbstständig - und damit den Sozialisten inhaltlich Konkurrenz zu machen.
    "Wir werden eine linke Bewegung sein, die niemanden ausschließt! Wir wollen ein gemeinsames Programm, um die soziale Lage in unserem Land zu untersuchen und gemeinsame Strategien für den gesellschaftlichen Umbau zu entwickeln, um den gesellschaftlichen, zivilen Aufstand vorzubereiten. Wir werden uns dazu Zeit nehmen, aber nicht zu viel! Dafür sind die derzeitigen sozialen und demokratischen Defizite zu groß! Wenn wir uns gut aufstellen, können wir schon bei den Kommunalwahlen 2020 weithin sichtbaren Erfolg haben! Sammeln wir unsere Energien, unsere Vorschläge, bauen wir ein neues, gemeinsames Haus, in dem nicht von oben nach unten durchregiert wird, sondern in dem zusammengearbeitet wird und das eines wirklich ist: demokratisch."
    Verlust eines politischen Schwergewichts
    Benoît Hamon stand für den linken Flügel der Sozialisten, seine Anhänger werden der alten Partei genauso fehlen wie die des eher sozialdemokratisch orientierten Manuel Valls. Mit dessen Parteiaustritt haben die Sozialisten ein politisches Schwergewicht verloren.
    So steht die Partei vor einem völligen Neuanfang - von einer "Neugründung" sprach Vorstandsmitglied Rachid Temal, als er im Juli das neue 16-köpfige Übergangsdirektorium vorstellte.
    "Wir werden eine Satzung ausarbeiten, und zwar alle im Direktorium gemeinsam, das ist wichtig, wir werden zusammenarbeiten. Unsere Aufgabe wird es sein, die sozialistische Familie neu zu gründen, um danach mit allen Kräften der Linken zusammenzuarbeiten. Und gerade weil einige ihren eigenen Weg gegangen sind und unsere Partei verlassen wollen, betone ich, dass alle Mitglieder dieses Direktoriums sich ausdrücklich gemeinsam engagieren wollen."
    Der Parteirat, der sich bisher weitgehend am Parteivorstand orientierte, soll in eine Art Parteiparlament umgewandelt werden. "Dieses 'Parlament' wird zwei neue Aufgaben haben: Es wird Arbeitsgruppen einrichten, die offen sind für alle, also auch für Nicht-Parteimitglieder. Damit wollen wir die Partei wieder enger an die Gesellschaft heranbringen. Und das 'Parlament' wird intensiv mit dem Parteivorstand diskutieren und zusammenarbeiten, einfach um zu besseren, gemeinsamen Entscheidungen zu kommen."
    Gespalten gegenüber Macron
    Finanzielle Nöte erschweren den Neuaufbau der Partei. Denn durch die schlechten Wahlergebnisse und die geringe Zahl der erreichten Abgeordnetenmandate fallen die staatlichen Zuwendungen sehr viel niedriger aus als bisher. Die Wochenzeitung "Le Canard enchaîné" will erfahren haben, dass die Partei ihren alten Stammsitz, ein Stadtpalais im vornehmen 7. Pariser Arrondissement, verkaufen muss, dieses werde in der letzten August-Woche bekannt gegeben. Nur mit einem Halbsatz dementierte ein Parteisprecher die Nachricht, das politische Paris ist von der Darstellung des "Canard enchaîné" überzeugt.
    Die Parlamentsfraktion der "Neuen Linken" wird es nicht nur wegen der Krise der Partei schwer haben, sich inhaltlich zu profilieren. Rund um die alles dominierende Regierungsmehrheit von "La République en marche" machen sich Jean-Luc Mélenchon von der Linkspartei "La France insoumise" und Marine Le Pen vom Front National gegenseitig die Oppositionsführerrolle streitig. Für die Sozialisten bleibt wenig Glanz übrig - zumal es innerhalb der Fraktion sowohl Macron-Gegner als auch Macron-Befürworter gibt. Bis hierhin reichen die Ermahnungen zur Geschlossenheit noch nicht.