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Französischer Politikwissenschaftler
"Für Le Pen ist die Rolle in der Opposition angenehmer"

Im Frühjahr sind Präsidentschaftswahlen in Frankreich - und ein Erfolg der Kandidatin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, sei nicht auszuschließen, sagte der Politikwissenschaftler Henri Menudier im DLF. Allerdings gebe es im Moment "keine demokratische Partei in Frankreich, die bereit ist, Frau Le Pen zu unterstützen".

Henri Menudier im Gespräch mit Christoph Heinemann | 30.12.2016
    Marine Le Pen, Kandidatin des Front National für die Präsidentschaftswahlen in Frankreich 2017, spricht zur Presse.
    "Wir hoffen nicht, dass sie an die Macht kommen wird": Mit Marine Le Pen, Kandidatin des Front National für die Präsidentschaftswahl in Frankreich 2017, würde viel Unsicherheit in die Politik kommen, befürchtet der Politologe Henri Menudier. (AFP/Alain Jocard)
    Ende April 2017 findet in Frankreich der erste, Anfang Mai der zweite Wahlgang der Präsidentenwahl statt. Ein Erfolg Le Pens sei "nicht ganz auszuschließen", so Menudier. Letzte Umfragen sähen den Kandidaten der Republikaner, Francois Fillon, zwischen 27 und 29 Prozent, Le Pen bei 24 oder 25. Allerdings werde es im zweiten Wahlgang schwieriger für Le Pen, da sie ohne Unterstützung anderer Parteien nicht gewählt werden könne - und es gebe keine demokratische Partei, die das tun würde.
    Le Pen gebe zwar an, dass sie regieren wolle. Aber sie wisse, dass es sehr schwierig wäre. Die Rolle in der Opposition sei für sie "angenehmer als an der Spitze des Staates".
    Le Pen will radikale Veränderungen, könnte aber direkt daran scheitern
    Marine Le Pen habe angekündigt, dass sie, wenn sie gewählt würde, eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft und den Euro durchführen lassen würde. Das könnte eine starke Veränderung der französischen politischen Grundlagen bedeuten, so Menudier. Sollte Le Pen allerdings in dieser grundsätzlichen Frage scheitern, müsste sie direkt zurücktreten.
    Zum Programm des Konservativen Fillon sagte Menudier, dass er das Land verändern wolle. In Frankreich gebe es zwar eine Mehrheit für Reformen, aber: "Wenn Menschen den Eindruck haben, dass sie Opfer bringen müssen, dann sind sie dagegen." Es könnte nach Einschätzungen des Experten zu langen Streiks in Frankreich kommen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: 2017 werden in der Europäischen Union wichtige politische Weichen gestellt, möglicher Beginn der Brexit-Verhandlungen, in Deutschland mit der Bundestagswahl, der Wahl des Bundespräsidenten, drei Landtagswahlen, darunter auch Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsreichste Bundesland, in Europa richten sich die Blicke unter anderem auf die Niederlande, wahrscheinlich auf Italien und vor allem Anfang Mai auf Frankreich.
    Das wichtigste Partnerland bestimmt das künftige Staatsoberhaupt und es wird ein neues Gesicht sein, denn Amtsinhaber Francois Hollande will und wird nicht mehr kandidieren. Drei Namen stehen in der engeren Auswahl: Francois Fillon, ehemaliger Premierminister, Kandidat der konservativen Republikaner, Marine Le Pen, Parteivorsitzende des rechtsradikalen Front National, Manuel Valls, ehemaliger Premierminister und möglicher Spitzenkandidat der zuletzt Mitte-links anzusiedelnden Sozialisten. Am Telefon ist Professor Henri Ménudier, Politikwissenschaftler, er hat an der Pariser Sorbonne gelehrt – guten Morgen!
    Henri Ménudier: Guten Morgen!
    "Keine demokratische Partei ist im Moment bereit, Frau Le Pen zu unterstützen"
    Heinemann: Professor Ménudier, wie wahrscheinlich ist es, dass Marine Le Pen die erste Präsidentin der französischen Republik wird?
    Ménudier: Das ist nicht ganz auszuschließen. Wenn ich mich jetzt auf die letzten Meinungsumfragen beziehe, die vor einer Woche herausgekommen sind, dann bekommt Francois Fillon im ersten Wahlkampf zwischen 27 und 29 Prozent der Wahlabsichten und Marine Le Pen zwischen 24 und 25 Prozent. Also, man sieht, dass der Unterschied nicht sehr groß ist, das ist für den ersten Wahlgang.
    Im zweiten Wahlgang bleiben die zwei Kandidaten, die die besten Ergebnisse bekommen haben. Dann wird es natürlich schon viel schwieriger sein für Frau Le Pen, weil, sie kann ohne Unterstützung anderer Parteien kaum gewählt werden. Und im Moment gibt es keine demokratische Partei in Frankreich, die bereit ist, Frau Le Pen zu unterstützen.
    Heinemann: Will Marine Le Pen überhaupt in den Élysée, möchte sie regieren, strebt sie die Macht an?
    Ménudier: Sie gibt es so an, aber sie weiß, dass es sehr, sehr schwierig sein würde. Und wahrscheinlich ist ihre Rolle in der Opposition angenehmer als an der Spitze des Staates. Ja, das ist klar.
    "Mir Frau Le Pen käme sehr viel Unstabilität in die französische Politik"
    Heinemann: Bleiben wir bei dem Szenario: Würde Frankreich unter einer Präsidentin Le Pen die Europäische Union verlassen? Würde also Frexit nach Brexit kommen?
    Ménudier: Ja, sie hat sehr deutlich angemeldet, angekündigt, dass, wenn sie gewählt wird, dann wird sie in den nächsten Monaten nachher eine Volksabstimmung in Frankreich durchführen über die Frage, ob Frankreich in der EU bleiben soll oder nicht und ob der Euro aufgegeben werden soll. Das ist eine so starke Veränderung der französischen politischen Grundlagen, dass man also wirklich nur erschrecken kann vor einer solchen Entscheidung.
    Also, ich glaube es nicht, dass sie sich da durchsetzen würde. Und dann wäre sie in eine Art Falle gekommen, denn wenn sie eine solche Volksabstimmung organisiert und das Ergebnis ist negativ, dann müsste sie bei einer so grundsätzlichen Frage eigentlich gleich zurücktreten. Also, Sie sehen, mit Frau Le Pen käme sehr viel Unstabilität in die französischen Politik.
    "Die wirtschaftlichen Verbesserungen sind zu spät eingetreten"
    Heinemann: Welche Themen, Herr Ménudier, werden den Präsidentschaftswahlkampf beherrschen?
    Ménudier: Auf jeden Fall die Wirtschafts- und sozialen Fragen. Weil, es geht wirtschaftlich zwar ein bisschen besser, aber nicht viel. Es ist also keine wesentliche Verbesserung und diese Verbesserungen sind zu spät eingetreten. Und es ist klar, dass die wirtschaftliche Lage und auch natürlich sozialen Probleme eine sehr wichtige Rolle spielen werden, das wird wohl die Priorität sein im Wahlkampf.
    Heinemann: Das heißt, auch Manuel Valls, der bis vor Kurzem Premierminister war, wenn er Spitzenkandidat der Sozialisten würde, kann von der gegenwärtig sinkenden Arbeitslosigkeit nicht profitieren?
    Ménudier: Nein, weil, Valls war ja zwei Jahre lang Regierungschef und er muss sich natürlich mit der Bilanz von Francois Hollande auseinandersetzen. Außerdem, er vertritt ja eigentlich den liberalen, sozialdemokratischen Flügel der Sozialisten und deswegen wird er sehr stark angegriffen.
    "Francois Fillon hat sehr deutlich Reformen angekündigt"
    Heinemann: Herr Ménudier, etwas überraschend wird ja Francois Fillon für die konservativen Republikaner antreten. Der frühere Premierminister, er hat nach seiner Wahl zum Kandidaten gesagt, er – also Francois Fillon – habe die Idee des Republikgründers, des General de Gaulle, wiederbelebt, nämlich das Rendezvous eines Mannes mit dem französischen Volk. Wie würde sich seine Präsidentschaft unterscheiden von den Amtszeiten seiner Vorgänger, von Francois Hollande und von Nicolas Sarkozy?
    Ménudier: Ja, Francois Fillon hat sehr deutliche Reformen angekündigt, gerade im sozialen und wirtschaftlichen Bereich. Das wäre wohl das Wichtigste für ihn. Allerdings gibt es das Problem, ob er das wirklich so erreichen kann. Denn wenn er beispielsweise die Zahl der Beamten sehr deutlich reduzieren will oder wenn er die Finanzierung der sozialen Sicherheit etwa ändern will, dann werden sehr viele Franzosen dagegen sein.
    Es besteht die Gefahr, dass die Gewerkschaften dann eine Art … also, sich dagegen wehren werden, und dann könnten wir wieder, wie wir das schon mal erlebt haben, lange Streiks in Frankreich erleben. Also, er will das Land schon ändern und das ist ein bisschen der Widerspruch der Franzosen: Eine Mehrheit der Franzosen steht heute für Reformen, aber wenn die Menschen den Eindruck haben, dass sie Opfer bringen müssen, dann sind sie dagegen.
    Heinemann: Das heißt, eine Agenda 2010 wäre in Frankreich schwierig durchzusetzen?
    Ménudier: Es wäre schwierig, ja. Es gibt schon Ansätze einer solchen Agenda, aber ob es durchsetzbar ist bei der Stärke der Gewerkschaften, das ist sehr fraglich.
    "Immigration und Terrorismus ist ein europäisches Problem geworden"
    Heinemann: Herr Ménudier, in Frankreich wird sehr deutlich Kritik an Angela Merkels Flüchtlingspolitik geübt. Hat man bei Ihnen die Probleme früher vorausgesehen, die Deutschland jetzt lösen muss? Integration, Kriminalität, islamistischer Terror?
    Ménudier: Nein, das haben wir eigentlich nicht viel früher vorhergesehen, bloß Frau Angela Merkel hat ein bisschen schockiert, einmal indem sie die richtige Entscheidung getroffen hat, die Grenzen aufzumachen aus humanitären Gründen, aber zweitens wird ihr vorgeworfen, dass sie das gemacht habe ohne Rücksprache mit ihren Nachbarn, besonders mit Frankreich.
    Das Problem also, Immigration und Terrorismus, ist kein rein französisches oder kein rein deutsches Problem, es ist wirklich ein europäisches Problem geworden. Und ich bin der Meinung, wir werden nur vorankommen und diese Probleme lösen, wenn wir wirklich sehr eng miteinander kooperieren.
    "Die Einzige, die gegen ein enges Verhältnis mit Berlin ist, ist Frau Le Pen"
    Heinemann: Wird die nächste Präsidentin oder der nächste Präsident Deutschland gegenüber härter auftreten?
    Ménudier: Nicht härter, ich glaube nicht. Alle haben darauf hingewiesen, dass die Verbesserung des deutsch-französischen Verhältnisses, der Zusammenarbeit absolut notwendig ist, denn sonst kommen wir nicht weiter mit der Europäischen Union. Die Einzige, die gegen ein enges Verhältnis mit Berlin ist, das ist Frau Le Pen. Aber wir hoffen nicht, dass sie an die Macht kommen wird. Francois Fillon beispielsweise steht also sehr oft in Kontakt mit dem Bundeskanzleramt, mit Frau Merkel, und er will Ende Januar extra nach Berlin reisen, um sich mit Frau Merkel abzustimmen.
    Heinemann: Der Politikwissenschaftler Professor Henri Ménudier. Danke schön für das Gespräch und Ihnen alles Gute für 2017!
    Ménudier: Das gleichfalls, auf Wiederhören!
    Heinemann: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.