Donnerstag, 28. März 2024

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Neues Album der Editors
Brutale Gitarren für Liebe und Freundschaft

Bevor sie im April auf ausverkaufte Deutschlandtour gehen, wandeln die Editors auf ihrem Album "Violence" gewohnt düster auf den Spuren von Joy Division. Sie seien auf der Suche nach Wärme und Freundschaft, sagt Sänger Tom Smith. "Es ist ein Rückzug aus der Zeit, in der wir leben."

Von Marcel Anders | 10.03.2018
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    Die britische Band Editors (Rahi Rezvani)
    Tom Smith: "Um ehrlich zu sein: In Großbritannien kamen unsere letzten Alben nicht wirklich gut an. Wir sind hier zwar einigermaßen erfolgreich und es gibt nach wie vor Leute, die uns live sehen wollen. Aber es sind definitiv unsere ersten beiden Platten, die am meisten Eindruck hinterlassen haben. Keine Ahnung, ob sich das je ändern wird. Aber auf dem europäischen Festland ist es komischer Weise ganz anders."
    Tom Smith, ein langer Schlacks mit tiefer Bariton-Stimme, fühlt sich missverstanden. Vor allem von der britischen Fachpresse, die kein gutes Haar am jüngsten Werk der Editors lässt - während es auf dem europäischen Festland, vor allem in Benelux und Deutschland, regelrecht gefeiert wird. Der Sound, der so polarisiert: ein Hybrid aus traditionellem Gitarren-Rock, Industrial und Elektro-Pop – aus 80er Jahre Helden wie Joy Division, Chameleons oder Echo & The Bunnymen und Computer-Tüftlern wie Nine Inch Nails, Depeche Mode oder Hans Zimmer.
    "Wir lieben mitreißende Melodien"
    Tom Smith: "Auf diesem Album versuchen wir beide Elemente auf eine mehr konfrontative Weise zusammenzuführen, als wir es bisher getan haben. Also so, dass es mitunter ziemlich brutal klingt. Im Sinne von: Wenn es elektronisch ist, dann richtig elektronisch. Und wenn Gitarre und Schlagzeug auftauchen, wird es rockig. Insofern ist es teilweise ziemlich heftig. Auch, wenn wir uns gleichzeitig nicht von unseren melodischen Ansprüchen verabschieden. Denn wir lieben mitreißende Melodien. Aber die Idee, das alles miteinander zu verbinden, ist ebenfalls interessant."
    "Violence" ist düster, bedrohlich, intensiv, aber auch verspielt. Mit einem cineastischen Breitwandsound, der den Hörer regelrecht gefangen nimmt. Dichten Klanggemälden, die das Kopfkino zum Glühen bringen und starke Gefühle evozieren. Genau wie die Texte, die den Zeitgeist reflektieren – eine Welt voller Angst, Hass und Unsicherheit, die für Lethargie, Verdruss und die Suche nach familiärer, zwischenmenschlicher Geborgenheit sorgt. So auch bei Smith, der zwei kleine Kinder hat, den Brexit als fatalen Fehler erachtet und der britischen Regierung Handlungsunfähigkeit bescheinigt.
    Tom Smith: "Meine Texte haben etwas von einer Realitätsflucht. Sie befassen sich nicht mit dem, was auf der Straße passiert, sondern hinter dem Schutz der eigenen Haustür. Es ist ein Rückzug aus der Zeit, in der wir leben - statt ganz direkt über das zu singen, was gerade passiert."
    Wärme und große Gefühle
    Eine musikalische Hommage an die Liebe, die Freundschaft, das Füreinander-Einstehen und das gemeinsame Durch-dick-und-dünn-Gehen. Editors stellen dem Hier und Jetzt Wärme und große Gefühle entgegen. Nicht laut, nicht rebellisch, aber entschieden und deutlich. Weshalb "Violence" auch nicht einfach nur unterhalten will. Es verfolgt denselben Anspruch wie ein gutes Buch oder ein Film – es will fesseln, wachrütteln und Anstöße geben. Und es fordert ungeteilte Aufmerksamkeit.
    Tom Smith: "Die meisten Leute hören Musik heute nur noch nebenbei. Und ich fände es toll, wenn sie sich wieder ein bisschen intensiver damit auseinandersetzen könnten - und die Songs im Kontext des Albums hören. Also, wenn sie sich in unserem Fall wirklich mal Stück ein bis neun nacheinander geben und da ein bisschen Zeit investieren. Erst dann sollten sie entscheiden, wo sie es am liebsten genießen: in der Badewanne – oder im Club."