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Frau mit zwei Gesichtern

Monika Ertl war die Tochter von Hans Ertl, einem in Nazi-Deutschland berühmten Bergfilmer, der als Abenteurer nach Bolivien ging. Dort nahm er Tochter Monika stets auf seine Expeditionen mit. Aus Monika wurde Imilla, als sie sich der bolivianischen Guerillaorganisation Nationale Befreiungsarmee ELN anschloss. Da war Che Guevara bereits tot.

Von Claudia Heissenberg | 22.06.2009
    Am Anfang steht die Tat. Am Morgen des 1. Aprils 1971 wird in der Heilwigstraße 125 in Hamburg-Harvestehude der bolivianische Generalkonsul Roberto Quintanilla Pereira in seinem Büro erschossen. Als ehemaliger Geheimdienstchef war er 1967 maßgeblich an der Exekution Che Guevaras beteiligt. Sein Befehl, dem Revolutionär die Hände abzuschneiden, macht ihn zur Hassfigur der Linken auf der ganzen Welt. Jetzt treffen drei Schüsse aus einem Colt seine Brust. Abgefeuert von einer unbekannten Frau.

    Am Tatort bleiben eine Perücke, eine Handtasche, eine Pistole und eine Brille zurück. Die daktyloskopische Untersuchung bringt keine verwertbaren Spuren, keine Fingerabdrücke, nicht einmal flüchtige. Bis heute ist weder geklärt auf welchem Weg die Schützin zum Tatort kam, noch wie sie aus der Heilwigstraße spurlos verschwinden konnte.

    Mitreißend wie ein Krimi beginnt Jürgen Schreibers Buch "Sie starb wie Che Guevara - die Geschichte der Monika Ertl." Auf 285 Seiten rekonstruiert der preisgekrönte 62-jährige Journalist minutiös das Attentat auf den bolivianischen Generalkonsul. 15 Monate hat Schreiber recherchiert, eine Menge bislang unbekannter Fakten und Zeitzeugen zutage gefördert. Wie den geheimnisvollen Hamburger Alt-Linken, der die Zusammenhänge und Hintergründe der Tat zu kennen scheint.

    Mein neuer Freund ist ein Liebhaber des Halbschattens. Er hat viel erlebt, will die Fäden in der Hand halten, genießt es, immer einen Schritt voraus zu sein. Er macht Andeutungen, rückt nur nach und nach mit den Fakten heraus. Ich suchte die Geschichte hinter der Geschichte von Quintanillas Ermordung, wollte den nie verstummenden Gerüchten auf den Grund gehen, Hamburgs linke Szene habe bei dem Coup mitgemischt.

    Schreibers Geschichte der Monika Ertl gleicht einer Schnitzeljagd, einem Mosaik, dessen Bruchstücke er nach und nach zusammenfügt. Seine Spurensuche ist eine Mischung aus investigativer Polit-Reportage und dem psychologischen Porträt einer Frau mit zwei Gesichtern. Monika Ertl, die tragische Heldin der Geschichte, kommt 1937 in Bayern zur Welt. Sie ist die älteste von vier Töchtern des berühmten Bergsteigers Hans Ertl, der in der Nazi-Zeit als Kameramann und Dokumentarfilmer eine glänzende Karriere machte.

    "Ich nannte sie Mockl, nannte sie Mockl, weil sie sollte eigentlich ein Sohn werden und den hätte ich gerne Jockl getauft und dann hab ich die Monika Mockl getauft."

    90 Jahre alt ist Hans Ertl zum Zeitpunkt dieses Interviews im Jahr 1998. Ein starrköpfiger Grantler, der sich mit allen zerstritten hat und wie ein Eremit im Urwald haust. 1953 war der Bayer mit Frau und Kindern nach Bolivien ausgewandert, verbittert darüber, dass seine Karriere in Deutschland ins Stocken geraten war. Tochter Monika ist damals noch keine 16 Jahre alt. Ein hübsches Mädchen mit verträumten Rehaugen, wippendem Pferdeschwanz und weichen Gesichtszügen.

    "Sie hat die Expeditionen mitgemacht mit mir, war fabelhaft auf den Expeditionen und dann sie hat fantastisch geschossen, sie hat hier, ich hab sie hier ausgebildet wie einen Jungen, und hab leere Bierbüchsen in die Luft geschmissen, sie hat sich umgedreht, hat aus der Hüfte heraus mit dem zweiten Schuss, hat sie die Büchse runtergeholt."

    Monika wuchs mit der Bürde auf, ein Junge werden zu sollen, der in die ziemlich großen Fußstapfen des Vaters tritt. Sein Wunsch färbte auf ihre Rolle ab. Im Herrensitz ritt sie sicher auf dem Rassepferd, mimte im Benehmen unbewusst einen Sohn, diente als Spiegel seiner Wünsche. Monika sollte nicht sie selber sein. Der Vater wollte, dass sie ist wie er, eine jüngere Ausgabe von sich.

    Der dominante Vater ist für Jürgen Schreiber die Schlüsselfigur für Monikas Wandel von der braven Tochter zur Guerillera. Von ihm will sie sich befreien. Zunächst durch eine überstürzte Hochzeit in die High Society der deutschen Kolonie von La Paz.

    "Der Mann, der war ein stinkreicher Mann, der war Chefingenieur der Brendon Copper, dieser großen Kupfergesellschaft und hat also, konnte sich alles erlauben, hat ihr also ein Reitpferd gekauft, hat ihr, sie konnte Golf spielen, nicht wahr, aber was ihr fehlte, war die körperliche Liebe."

    Als die Ehe in die Brüche geht, ändert die junge Frau ihr Leben radikal. Schon lange ist ihr die Kluft zwischen Arm und Reich in Bolivien ein Dorn im Auge. Sie will den Armen helfen, Gerechtigkeit für die unterdrückten Indianer.

    In dieser Zeit lernt Monika Ertl den Guerillero Inti Peredo kennen, Kampfgefährte und Nachfolger Che Guevaras in der Nationalen Befreiungsarmee ELN. Laut Vater Ertl ist der Revolutionär ihre erste und einzige große Liebe. Bis er im September 1969 erschossen wird - auf Befehl von Oberst Roberto Quintanilla, der triumphierend mit dem Toten für ein Foto posiert.

    Die Szene mit dem toten Inti ist die Einladung zur Erschießung an einem fernen Donnerstag in Hamburg-Harvestehude. Damit fängt es an. Gespeist von Demütigung und Angst wächst der Hass auf Quintanilla. Geräuschlos und unerbittlich entwickelt sich das Komplott.

    Monika Ertl, die sich nun Imilla nennt, ist die ausführende Kraft. Was bleibt, ist die Frage, wie die Attentäterin entkommen kann. Bereits fünf Minuten nach den Schüssen ist die Polizei vor Ort. Jürgen Schreiber vermutet, dass sie in einer WG direkt über dem bolivianischen Konsulat Unterschlupf findet.

    Kommunen waren Taubenschläge. Die übliche Unübersichtlichkeit hätte für die Aktion Quintanilla zusätzliche Deckung geboten. Imillas Flucht zu decken, wäre eine Zitterpartie, aber technisch zu arrangieren gewesen, verklickert mir der Veteran. Seine Idee ist faszinierend, der Wahrheitsgehalt aber schwer auszuloten.

    Trotz akribischer Recherchen und zahlloser Fakten ist Schreibers Buch kein Tatsachenbericht. Vieles bleibt im Reich der Spekulation. Wortgewaltig, manchmal ein wenig zu pathetisch, begibt sich der Journalist auf eine fesselnde Reise in die Vergangenheit. Monika Ertl wird nach dem Attentat zur meistgesuchten Person in Südamerika. Auf ihre Ergreifung ist ein Kopfgeld von 20.000 Dollar ausgesetzt. Trotz der Gefahr kehrt sie 1973 nach Bolivien zurück. Sie stirbt am 12. Mai im Kugelhagel der Polizei. Wo ihre Leiche verscharrt wurde, ist bis heute nicht bekannt. Auf dem deutschen Friedhof in La Paz steht nur ihr Name auf dem Grabstein ihrer Mutter.

    "Vorbei, vorbei in der Ewigkeit treffen wir uns ja. Ja machen wir Schluss jetzt, ja?"

    Claudia Heissenberg war das über Jürgen Schreiber: "Sie starb wie Che Guevara. Die Geschichte der Monika Ertl. Erschienen im Verlag Artemis & Winkler, 287 Seiten zum Preis von 19.90 Euro.