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Frau Richterin in der Mehrzahl

In Tschechiens Gerichten sitzen auf 62 Prozent aller Richterstühle Frauen. Finanziell stehen sie damit zwar möglicherweise schlechter da als zum Beispiel Rechtsanwälte und Notare. Die geregelten Arbeitszeiten und die Garantie, nach einem Mutterschaftsurlaub die bisherige Stelle wieder antreten zu können, sind aber wichtige Vorteile.

Von Thorsten Herdickerhoff | 13.07.2005
    Gewöhnlich werden zwei Gründe angeführt, wenn nach Erklärungen gefragt wird, warum in Tschechien über 62 Prozent der Richter Frauen sind:

    "Ich vermute, die Hauptgründe dafür, dass Gericht und Staatsanwaltschaft in einem Feminisierungsprozess sind, liegen zum Teil in ihrem Prestige und der finanziellen Wertschätzung, die niedriger sind als bei zum Beispiel Rechtsanwälten und Notaren,"

    sagt Petra Rakusanova vom Soziologischen Institut der Akademie der Wissenschaften, und fügt als weiteren Grund hinzu:

    " Aber es liegt auch daran, dass Frauen, die etwa 50 Prozent der Juraabsolventen stellen, das Richteramt wählen, weil sie mit ihm besser Berufs- und Familienleben verbinden können."


    Als Staatsdiener haben sie geregelte Arbeitszeiten und die Garantie, nach dem Mutterschaftsurlaub wieder auf ihren Platz zurückkehren zu können. Ein enormer Vorteil gegenüber Stellen in der freien Wirtschaft.

    Der Psychologe Jiri Dan hat eine andere Erklärung für das ungleiche Geschlechterverhältnis bei Gericht. Er arbeitet am Zentrum für Psychodiagnostik der Universität Brünn und prüft seit 14 Jahren die Eignung von Juristinnen und Juristen, die sich auf das Richteramt bewerben. Ihm zufolge schneiden männliche Bewerber in den psychologischen Untersuchungen schlechter ab:

    " In Sachen Intelligenz sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern unerheblich. Allerdings ließe sich sagen, dass ein Teil der Männer emotional, persönlich und sozial unreif ist."

    Dadurch verfehlt dieser Teil der Bewerber das Hauptkriterium für den Richterberuf, das 1991 mit Einführung der Eignungsprüfung formuliert wurde:

    " Bei einem Richter gibt die Entscheidungskompetenz den Ausschlag. Er muss imstande sein, langfristig sachbezogene Entscheidungen richtig zu treffen."

    Das scheinen Frauen besser zu können. Zumindest bilden sie den größeren Anteil von den erfolgreich geprüften Bewerbern - aktuell 62 Prozent. Ob sich auch mehr Frauen als Männer zu den Tests anmelden, ist nicht herauszufinden, da das Justizministerium die Daten erfolgloser Bewerber nicht aufbewahrt.

    Vielleicht zieht es männliche Juristen von vornherein in die Kanzlei statt zur Richterprüfung, weil sie als Rechtsanwälte und Notare mehr Geld verdienen. Doch der Psychologe Dan hält das für ein Vorurteil:

    " Das ist ein Lieblingsthema am Juristenstammtisch. Die Dienstbezüge eines Richters sind leicht zu ermitteln, wohingegen die Honorare der Rechtsvertreter nicht preisgegeben werden. Von richterlicher Seite ist die Rede von Honoraren einiger Spitzenrechtsanwälte, in Wirklichkeit scheint aber das Einkommen der meisten Anwälte das Niveau der richterlichen Besoldung nicht zu erreichen."

    Auch die Behauptung, das Prestige des Richterberufs sei niedriger als bei Rechtsanwälten, kann Dan nicht bestätigen:

    " Seit Jahren verfolge ich, dass das Interesse für den Beruf des Richters bei juristischen Jungakademikern größer wird. Erhebungen das Prestige betreffend sind mir nicht bekannt, diese Frage wüsste ein Richter besser zu beantworten."

    Die Richterin Jaroslava Vitova ist zufrieden mit dem Pestige ihrer Profession. Sie arbeitet am Bezirksgericht in Prag und blickt auf 27 Jahre Berufserfahrung zurück. Nach der demokratischen Revolution 1989 hat sich auch bei Gericht vieles verbessert, sagt sie, und die heutige Unabhängigkeit der Justiz kommt dem Ansehen des Berufs zugute:

    " Für die Mehrheit von uns Richtern ist es heute die Prestigefrage, warum wir Richter sind."