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Frauenförderung in DAX-Unternehmen nur im Schneckentempo

Immer noch viel zu wenig Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten - seit zehn Jahren habe sich trotz Selbstverpflichtung kaum etwas verändert, beklagt Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen. Man dürfe in diesem Tempo nicht weitermachen, sonst verliere man die talentierten Frauen im Land.

Ursula von der Leyen im Gespräch mit Silvia Engels | 18.10.2011
    Silvia Engels: Die Personalvorstände führender DAX-Unternehmen trafen sich gestern mit den Bundesministerinnen von der Leyen, Schröder und Leutheusser-Schnarrenberger. Es ging um die Förderung von Frauen auf der Vorstandsetage. Bislang liegt deren Anteil bei den DAX-Konzernen nicht mal bei vier Prozent. Am Ende bekräftigten die Konzernführer einmal mehr, den Anteil von Frauen ausbauen zu wollen, aber ohne staatlich festgelegte Quote. Familienministerin Schröder begrüßt das, ihrer Kabinettskollegin Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, ebenfalls CDU, reicht das nicht, sie will eine verpflichtende Frauenquote und traf damit gestern auf Widerstand, auch von E.ON-Personalvorstand Regine Stachelhaus, die die Quote ablehnt.

    O-Ton Regine Stachelhaus: Ich halte sie einfach deshalb für entbehrlich, weil ich es nicht für ausreichend halte, wenn man an den Spitzengremien bestimmte Erfolge verbucht, die sich dann möglicherweise nicht widerspiegeln in der Gesamtheit der Führungskräfte.

    Engels: Regine Stachelhaus von E.ON. – Die Arbeitsministerin selbst ist nun am Telefon. Guten Morgen, Frau von der Leyen.

    Ursula von der Leyen: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Ist das nun fehlende Frauensolidarität von der E.ON-Personalchefin Stachelhaus?

    von der Leyen: Nein, im Gegenteil: Es ist das gemeinsame Ringen um den besten Weg. Und ich glaube, wichtig ist, am Anfang noch mal zu betonen, dass wir alle, mich eingeschlossen, dass wir die Leistung der Personalvorstände gestern, diese Liste vorzulegen, welche Ziele sie sich geben für die Frauenförderung innerhalb ihrer eigenen Konzerne, hoch anerkennen, die haben da wirklich Kernarbeit geleistet. Man muss nur sozusagen der Information halber da hinzufügen, das ist alles für die Ebenen unterhalb von Vorstand und Aufsichtsrat gewesen.

    Also die Gretchenfrage schlechthin, nämlich wie sieht es aus mit dem Vorstand und dem Aufsichtsrat – Sie haben eben zurecht gesagt, im Vorstand sind 96 Prozent aller Positionen von Männern besetzt, und seit über zehn Jahren hat sich da fast nichts verändert, da ist gerade mal ein Prozent Zuwachs bei den Frauen gewesen -, diese Gretchenfrage ist gestern gar nicht thematisiert worden und deshalb natürlich auch nicht beantwortet worden. Wie wollen wir dort schneller den Erfolg haben, dass Frauen auch tatsächlich oben in der Führung mitarbeiten?

    Engels: Sie loben also die Arbeit, die geleistet wurde. Aber letztlich glauben Sie dieser Ankündigung der DAX-Unternehmen nicht?

    von der Leyen: Ich finde wirklich, das ist herausragend, dass die Personalvorstände jetzt auch eine Arbeit vorgelegt haben, die im Prinzip vor zehn Jahren ihre Kollegen hätten machen müssen, als zum ersten Mal die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft da war. Die haben sie unterschrieben und dann ist nichts passiert zehn Jahre lang. Und deshalb bin ich skeptisch, ob eine jetzt neue Selbstverpflichtung wieder nur für die unteren Führungsebenen, also nicht Vorstand und Aufsichtsrat, wirklich etwas verändert in den entscheidenden Gremien, nämlich dort, wo die Entscheidungen fallen, wo tatsächlich auch in den Großkonzernen dann Macht und Geld zusammenkommen, und dort ist ganz klar eine gläserne Decke, da sieht man fast keine Frauen in diesen Gremien. Wissen Sie, in einem Land, das auf einen dramatischen Fachkräftemangel auch zugeht, müssen wir ganz klar Signale auch aussenden, dass selbstverständlich für Männer wie für Frauen Karriere in Deutschland, und zwar bis an die Spitze möglich ist und dass sie Perspektiven haben. Wir brauchen hier die Talente, und deshalb ist das Ringen darum, oben aufzumachen.

    Engels: Sie sind also skeptisch. Ihre Nachfolgerin im Familienministerium, Frau Kristina Schröder, glaubt dagegen an die freiwillige Selbstverpflichtung. Ist sie zu naiv?

    von der Leyen: Nein, ich kann sie gut verstehen. Denn vor zehn Jahren, als die Wirtschaft zum ersten Mal mit ihrer Selbstverpflichtung kam – damals hatten wir 2,5 Prozent Frauen in den Vorständen -, da habe ich auch fest daran geglaubt, dass sich jetzt wirklich was verändert. Heute, zehn Jahre später, sehe ich, in zehn Jahren einen Zuwachs von mageren 1,2 Prozent. In diesem Tempo können wir einfach nicht weitermachen, denn wir verlieren schlicht und einfach dann auch die talentierten Frauen in unserem Land. Die orientieren sich woanders hin. Ich möchte gerne, dass hier in einem Land, das dringend die besten Köpfe auch braucht, wirklich die Möglichkeiten breit offen sind, oben an der Spitze in den Großkonzernen mitzuentscheiden. Und den Beweis, dass es geht, hat still und leise in den letzten zehn Jahren der Mittelstand angetreten. Das ist ja das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Im Mittelstand sind gewissermaßen die Töchter in die Unternehmensleitungen einfach nachgewachsen und heute sehen wir, dort sind in 30 Prozent der Führungspositionen Frauen. Es geht also, die Frauen sind da, und ich glaube, das sollte einfach ein Vorbild jetzt auch für die Großkonzerne sein.

    Engels: Nun sagen Sie, Sie haben die Erfahrung von vor zehn Jahren. Gleichzeitig steht ja nicht nur Frau Schröder gegen die feste Quote, sondern auch die Kanzlerin, auch die Justizministerin, auch Frau Stachelhaus, wir haben es gerade gehört. Das sind dann zusammen genommen vier erfolgreiche Frauen. Warum können Sie denen das denn nicht begreifbar machen, wie Sie argumentieren?

    von der Leyen: Wir alle haben gemeinsam, dass wir sagen, in diesem Schneckentempo darf es nicht weitergehen, sondern es muss sich sehr viel schneller etwas ändern. Ich bin sicherlich mit meiner Forderung nach einer Quote die forscheste in der Forderung selber, aber ich bitte da auch zu berücksichtigen, dass alle – gerade die Frauenministerin legt ja jetzt auch ein Gesetz vor – sagen, wir müssen eine Lösung finden, dass es schneller geht mit den Chancen und Perspektiven für Frauen im Vorstand und im Aufsichtsrat. Mit anderen Worten: Da sind wir uns völlig einig. So wie bisher kann es nicht weitergehen, und jetzt müssen wir nach dem besten Weg suchen, dass tatsächlich auch sich etwas verändert und es nicht nur bei den Lippenbekenntnissen bleibt beziehungsweise hier und da mal eine Führungsposition mit einer Frau besetzt wird, das wird groß gefeiert, und dann fallen wir zurück in das Schneckentempo, das wir in den letzten zehn Jahren gehabt haben. Also wir können an diesem Punkt nicht den Druck aus dem Kessel lassen.

    Engels: Nun sagt auch Frau Schröder in der Tat, es könnte eine Quote kommen, aber die müsste dann, selbst wenn es verpflichtet wird, flexibel sein. Das heißt, es muss sich danach richten, wie hoch auch der generelle Frauenanteil im Konzern ist. In technischen Berufen ist es ja beispielsweise so, dass Frauen zu einem geringen Teil die Belegschaft stellen, da wäre es doch vergleichsweise merkwürdig, wenn Frauen dann zu 30 Prozent im Vorstand sitzen. Ist da nicht was dran?

    von der Leyen: Das war ganz interessant gestern. Wenn man sich diese Liste anschaut – und die ist ja überall verfügbar -, dann sieht man, dass das Argument, weil Frauen das Falsche studiert haben – ich sage es jetzt einfach -, also nicht in dem hohen Maße Ingenieurinnen zum Beispiel sind, ist einer der Gründe, warum sie nicht in den Führungspositionen sind - das ist gestern widerlegt worden. Denn wenn man sich die Unternehmen anschaut, dann in der Tat sieht man einige Automobilbauer, die sehr ehrgeizige Ziele haben für die unteren Positionen, also fast so viele Frauen in den unteren Führungspositionen, wie in der Belegschaft anteilig auch sind, und sie sehen andere, Banken, Versicherungen, Handel, wo man weiß Gott nicht Ingenieurin sein muss, sondern Juristin, Volkswirtin, wo sie über 50 Prozent Frauen in den Belegschaften haben, und da sind dann doch die Ziele eher anteilig mager, sie wollen vielleicht 20 oder 25 Frauen in den Führungspositionen haben. Mit anderen Worten: Diese Liste gestern ist insofern ein Schritt voran, als dass man jetzt im Detail auch diskutieren kann, warum habt ihr nicht ehrgeizigere Ziele, warum machen die Kollegen aus der anderen Branche das besser als ihr, was sind die Erfolgsrezepte, wo kann man schneller werden.

    Jetzt kommt Transparenz in die Geschichte, man kann vergleichen. Insofern: das ist ein Schritt voran. Jetzt kommt die Frage, und wie halten wir es mit Vorständen und Aufsichtsräten, und dieser Lackmustest, den müssen die Entscheider, das heißt die Aufsichtsratsvorsitzenden oder die Präsidien der Aufsichtsräte, diese Frage müssen sie beantworten.

    Engels: Die Opposition hält Ihnen vor, statt sich um ein paar Vorstandsebenen zu kümmern, solle es vielmehr um die Gleichbezahlung von Frauen gegenüber Männern gehen, denn da gäbe es ja nach wie vor die großen Defizite.

    von der Leyen: Das stimmt, dass Frauen über alles gesehen in Deutschland ein Viertel weniger verdienen als Männer für dieselbe Qualifikation und Arbeit. Aber wichtig ist da auch: Die Spreizung kommt vor allem in den sogenannten frei verhandelten Regionen. Also gerade, wenn es nach oben an die Spitzengehälter geht, da ist klar, da wird nicht viel geredet darüber, wie die einzelnen Gehälter sind, die sind nicht tariflich festgelegt, und da treten vor allem die Spreizungen auf. Mit anderen Worten: Wenn wir das Thema Frauen in Führungspositionen konsequent diskutieren und eine Veränderung verlangen, wenn wir Transparenz in die Besetzungsmechanismen, in die Auswahlmechanismen, die Qualifikation und Bezahlung bringen, dann hat das natürlich auch positive Auswirkungen darauf, dass Frauen für gleiche Arbeit selbstverständlich genauso bezahlt werden wie Männer. Das ganze Thema ist jetzt in Bewegung, und das ist gut so.

    Engels: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) rund um das Thema Frauenquote. Vielen Dank für das Gespräch.

    von der Leyen: Danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.