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Frauenhandel in Litauen

Der Europarat befürchtet, dass zur Fussball-WM in Deutschland bis zu 60.000 Frauen und Mädchen aus Osteuropa illegal ins Land geschleust und zur Prostitution gezwungen werden könnten. Rund eine halbe Million Frauen sind von diesem Schicksal in der EU betroffen. Die Frauen sind ihren Zuhältern hilflos ausgeliefert und zum Schweigen verdammt. Man müsse sie aus der Illegalität herausholen und ihnen ermöglichen, gegen ihre Peiniger auszusagen, fordert eine Organisation von mutigen Frauen in Litauen. Alexander Budde berichtet aus Vilnius.

11.05.2006
    Ein grauer Plattenbau am Stadtrand von Vilnius. Im Treppenhaus riecht es muffig, von den feuchten Wänden blättert die Tapete. Lärmend setzt sich der stählerne Aufzug in Bewegung. Oben, im sechsten Stock, öffnet eine klein gewachsene ältere Dame die Tür.

    Ona Gustiené ist an diesem Morgen in graues Wollkleid gehüllt, ihr Blick wirkt müde doch ihr Händedruck ist kräftig. Vor zehn Jahren hat die Litauerin eine ehrenamtliche Organisation gegründet, die den Opfern des Frauenhandels Zuflucht und eine kostenlose juristische und psychologische Beratung anbietet. Ona und ihre vier Mitarbeiterinnen haben schon hunderte Opfer ausfindig gemacht. Doch kein Türschild weist zu ihrem "Zentrum für vermisste Menschen".

    " Vor zehn Jahren gab es die ersten Berichte über junge Frauen, die aus Litauen ins Ausland verschleppt und dort zur Prostitution gezwungen werden. Oft sind es Freunde und Angehörige, die nach ihnen suchen. Unsere Behörden haben immer geleugnet, dass es so etwas wie Frauenhandel gibt. "

    Die Masche der Zuhälter sei immer dieselbe, sagt Ona Gustiené: Ein netter Kerl, der viel vom Ausland redet, von einer anderen Welt mit teuren Kleidern, Discos, Autos.

    Für sie spielt alles zusammen: Da ist der korrupte Staat, der die Leute unwissend hält, dem die Menschenwürde nichts bedeutet. Und da ist der Westen, das vermeintliche Paradies.

    " Viele Frauen sind gutgläubig und unsicher. Die lassen sich mit dem Versprechen auf eine gut bezahlte Arbeit locken. Andere glauben zu wissen, worauf sie sich einlassen. Mit 18 bist du stark und mutig. Du glaubst, es wird nichts Schlimmes passieren. Aber die Frauen werden verkauft, geschlagen, vergewaltigt. Wer einmal in die Schlinge gerät, der kommt da nicht mehr heraus. "

    Der schwedische Filmemacher Lukas Moodysson hat in Estland einen herben Film über die Opfer des Frauenhandels gedreht. "Lilja 4-ever" erzählt die Geschichte der 16-jährigen Lilja, die Zuhältern in die Hände fällt, nach Schweden geschleust und in Stockholm zur Prostitution gezwungen wird.

    Für die Bewohner der öden Provinzstädte gibt es keine Hoffnung, keine Zukunft, keine Hilfe. Kinder, die Leim schnüffeln und später auf harte Drogen umsteigen. Die Nadeln teilen sich die größtenteils jugendlichen Abhängigen, Kondome beim Sex sind die Ausnahme.

    Julia Satalova ist drogensüchtig und HIV-positiv. Das Geld für das Heroin verdient sich die 25-Jährige auf dem Straßenstrich.

    " Ich habe mich angesteckt, weil ich die Kanülen mit anderen geteilt habe. Wir haben die nicht richtig sauber gemacht und es gab auch kein Wasser. Wenn mich die Behörden fragen, ob ich meinen Kunden erzähle, dass ich infiziert bin, dann sage ich: Nein. Denn ich kenne die nicht und ich brauche ihr Geld. "

    Die meisten Freier in Deutschland scheint das Elend der Zwangsprostituierten kalt zu lassen, wundert sich Ona Gustiené. Doch einige Frauen erzählen ihr auch von Männern, die sich ein Herz fassten und ihren Opfern zur Flucht verhalfen.

    " Wir versuchen jetzt, am Vorabend der Fußball-Weltmeisterschaft eine Kampagne zu starten, damit die Freier verstehen, dass die Frauen nicht alle freiwillig dabei sind. Schauen Sie mal hier! Dies ist unsere Broschüre, die wollen wir bei den Spielen unter die Leute bringen. Wir sehen das Gesicht einer jungen Frau und da steht: "Würdest Du mich kaufen?" Damit wollen wir an das Bewusstsein der Männer appellieren. Ein echter Mann wird nie eine Frau kaufen. Wenn er das tut, dann ist er kein vollwertiger Kerl, er erniedrigt sich selbst. "