Zur Fotografin wurde sie als Gefährtin, später Ehefrau Philippe Soupaults, den sie bei seinen Reportage-Reisen durch Europa begleitete. Weil beide mit den routinierten Aufnahmen der Presse-Fotografen unzufrieden waren, kaufte sie sich eine Kamera und illustrierte seine Artikel selbst. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den sie teils in Tunesien und Algerien, teils in den Vereinigten Staaten hinter sich brachte, arbeitete Re Soupault als Übersetzerin für deutsche Verlage. Für ihre bedeutendste Leistung hielt sie die 1954 erschienene Übertragung Gesänge des Maldoror von Lautreamont, die Heinrich Maria Hedig-Rowohlt "kongenial" nannte. Noch später produzierte sie Radio-Features für den Hessischen Rundfunk. Für all diese Berufe brachte Re Talent mit, aber es machte ihr nichts aus, nach ein paar Jahren einen Schlussstrich zu ziehen.
Mittlerweile ist Ré Soupault seit fünf Jahren tot, Zu ihrem hundertsten Geburtstag, den sie am 9. Oktober dieses Jahres hätte begehen können, ist im Wunderhorn Verlag eine Neuauflage jenes Fotobandes erschienen, mit dem 1988 ihr später Ruhm begann. Es sind Aufnahmen aus dem "Verbotenen Viertel" von Tunis; Verbannungsort der verstoßenen, verwitweten, verwaisten Frauen der islamischen Gesellschaft, die von ihren Familien nicht wieder aufgenommen wurden, in diesem Ghetto eingeschlossen, existierten sie als rechtlose Wesen und verdienten ihren Lebensunterhalt durch Bettelei und Prostitution. Nur dank einer Sondergenehmigung, die Philippe Soupault dem Scheik der Medina abgerungen hatte, durfte Re das tabuisierte " Quartier reserve " besuchen und fotografieren.
Obwohl auf fast allen Bildern die Frauen im Mittelpunkt stehen und nicht etwa Interieurs, Gegenstande oder das äußere Erscheinungsbild des Viertels, legt die Fotografin großen Wert darauf, den umgebenden Raum für ihre Kornpositionen zu nutzen. Aus schattigen Durchgängen, halb geöffneten Türen heraus richtet sie die Kamera auf die meist in sich gekehrten Frauen, Oft sind sie an der Schwelle des Hauses zu sehen, in schmalen Lichthöfen oder auf hölzernen Pritschen kauernd, aus vergitterten Fenstern spähend. Manche haben Schmuck angelegt, andere zeigen sich im ärmlichen Hauskleid. Spuren verwüsteter Schönheit sind in den Gesichtern zu lesen. Und immer scheinen sie zu warten; die einzige erkennbare Tätigkeit findet sich auf einem Foto, das eine Frau beim Schminken zeigt.
Die erste Auflage trug den Titel Eine Frau allein gehört allen. Der veränderte Titel der Neuausgabe: Frauenportraits aus dem " Quartier réservé" in Tunis,weist auf die Erweiterung des Bandes durch Fotomaterial aus dem Nachlass hin.
Schon einmal schien das fotografische Werk Re Soupaults verloren. 19?8 war sie nach Tunis gegangen, weil Philippe dort einen antifaschistischen Sender aufbauen sollte. Als sie am 13. November 1942 mit ihrem kurz zuvor aus der Haft entlassenen Mann vor der deutschen Nordafrika-Annee flüchtete, ließ sie ihre gesamte fotografische Ausrüstung einschließlich des Archivs zurück. Bei ihrer Rückkehr fanden die Soupaults das Haus verwüstet und geplündert vor. Erst 1947 entdeckte eine Freundin in einem Souk von Tunis eine mit Bauernmalerei bemalte Kiste, die ihr bekannt vorkam. Sie enthielt das Material, das dann noch einmal vierzig Jahre in dem besagten Schuhkarton bei Re Soupault seiner Wiederentdeckung harren sollte. Vielleicht hätte sie sich als Fotografin schon viel früher einen Namen gemacht, wenn sie bei dem Metier geblieben wäre. Stattdessen ließ sie es nach dem Verlust ihrer Ausrüstung dabei bewenden und fing lieber etwas Neues an.
Diese und andere biographische Informationen lassen sieh dem ebenfalls im Wunderhorn Verlag erschienenen Essay "Du lebst wie im Hotel" entnehmen. Ursula März stützt sich in ihrem Buch offenkundig vor allem auf Gespräche mit Re Soupault und ist so redlich, einige Unklarheiten, die auf Verdrängung und Erinnerungslücken zurückgehen, einfach stehen zu lassen. Indem sie solche Eigenwilligkeiten der Gesprächspartnerin nur respektvoll zur Kenntnis nimmt, schafft sie es ganz nebenbei, dem Leser einen sehr unmittelbaren Eindruck ihrer Persönlichkeit zu vermitteln. Künstler wie Kurt Schwitters, Man Ray, Fernand Leger, Gisèle Freund, Kurt Weill oder Lotte Lenya gehörten zum Bekannten- oder Freundeskreis von Re. Die flüssige und kompetente Darstellung und nicht zuletzt das an sich schon aufregende Leben Re Soupaults lassen auch den einzigen Schönheitsfehler der Biographie vergessen, nämlich die teilweise abenteuerliche Kommasetzung.