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"Freelens"
Fotoprojekt über Geflüchtete

Das Fotonetzwerk "Freelens" ist es eine der größten Vereinigungen von Fotografen in Europa. Nun will ein Gemeinschaftsprojekt von 75 Fotojournalisten über die Willkommenskultur gegenüber Geflüchteten informieren, sensibilisieren und den Unterschied zwischen Amateurfotos und professionellen Fotos zeigen.

Von Peter Backof | 17.02.2017
    In diesen Tagen zeigt sich die ganz besondere Ausstellungssituation des Wissenschaftsparks Gelsenkirchen: Eine Arbeits- und Weiterbildungsmesse bringt bis zu 5000 Menschen täglich ins Haus. Und die bekommen – wenn sie wollen und als Mitnahmeeffekt – die Fotoschau "Bitte warten" geboten. 75 deutsche Fotografinnen und Fotografen des Netzwerks "Freelens" arbeiten an dem Gemeinschaftsprojekt zum Thema Flucht seit Sommer 2015.
    Entlang der 300 Meter langen Balustrade durch das Kongressgebäude ist eine Auswahl der Fotos gehängt. Das Thema ist so heterogen wie die Schicksale der Menschen auf der Flucht. Man sieht – auch, aber bei weitem nicht nur – diese "archetypischen" Gummiboote im Mittelmeer oder die klagend gestikulierenden Frauen hinter Stacheldrähten. Ein emotionaler Kern ist die Situation vor eineinhalb Jahren, als der Begriff von einer Willkommenskultur in Deutschland aufkam und es auch den Fotografen Roland Geisheimer aus Witten auf die Balkanroute zog, buchstäblich von den Nachrichten im heimischen Wohnzimmer weg.
    "Das ist ein historischer Moment, da müssen wir hin! Schlafsack gepackt, ins Auto gestiegen, Richtung Österreich, Slowenien gefahren."
    "Es geht einem nahe"
    Los, in Richtung "Weltgeschichte", im eigenen Auftrag. Berufsethos eines Fotojournalisten auf der einen Seite, dann aber auch: die menschliche, ja übermenschliche Dimension, so groß wie etwa der Mauerfall.
    "Natürlich geht einem das nahe, wenn man Menschen sieht, die mit Kriegsverletzungen über die Grenze getragen werden. Solange ich fotografiere, ist es gut, weil dann kann ich mich auf die Bilder konzentrieren. Aber wenn ich die Kamera beiseite lege und mal durchatme, wird es schon wieder anders im Kopf."
    Seit 1993 fotografiert Roland Geisheimer immer mal wieder zum Thema Flucht, die besonders intensiven Phasen seiner Karriere: Da sei man fast schon froh, ergänzt er, im Alltag und als Brotjob des existenzbedrohten Berufs "Fotojournalist" die Unternehmenskommunikation irgendwelcher DAX-Unternehmen und NGO 's mit den verantwortlichen CEO 's zu konzipieren. Dennoch. Bei Freelens – eine Art Gewerkschaft der Fotojournalisten – engagieren sich Menschen, die sagen: Es gibt Fotos, die müssen gemacht werden. Der fotografische Marktwert des Themas Menschen auf der Flucht sei jedoch inzwischen kollabiert, die Archive voll mit aussagekräftigen Fotos, sagt Iris Wolf aus Dortmund. Jedes beliebige Foto über Trumps USA sei gerade mehr wert. Iris Wolf wollte eigentlich zuerst auch Geflüchtete fotografieren. Doch dann entschloss sie sich - in ihrer Serie "Zuhause"- für eine gespiegelte Perspektive. Und schlug, anstatt der Balkanroute eine Deutschlandroute ein.
    "Ich habe in Dortmund angefangen, Berlin, Neustrelitz, Bautzen, so ein Dorf bei Bautzen."
    Warnruf der Fotojournalisten-Szene
    Über Dresden und Bayreuth bis nach Rosenheim.
    "Ich habe angerufen: Hallo, ich bin eine Fotografin aus Dortmund und möchte mit Ihnen sprechen. Sie helfen ja Geflüchteten."
    Ehrenamtliche und berufsmäßige Helfer, wie Pfarrer, hat Iris Wolf porträtiert, immer in ihren Wohnzimmern. Weil dort auch der Impuls kam: Es reicht nicht, Nachrichtenbilder schockierend zu finden, man muss mehr tun. Etwas tun. Iris Wolf hat ausführliche Interviews geführt und fügt den Fotos Zitate daraus hinzu.
    Und nicht zuletzt ist das Projekt "Bitte warten" auch als Warnruf der Fotojournalisten-Szene zu verstehen. Da begebe man sich in gefährliche Situationen, werde vor Ort von der Polizei wie ein Feind behandelt und der Medien-Markt erwarte fast schon, dass man gratis liefere.