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Freie Fahrt am Bosporus

Schiffsunfälle auf dem Bosporus bedrohen ständig die Metropole Istanbul. Dennoch darf die Türkei das Nadelöhr nicht sperren: Die freie Schiffspassage durch die Meerenge wird durch den Vertrag von Montreux gewährleistet, der am 20. Juli 1936 geschlossen wurde.

Von Tobias Mayer | 20.07.2011
    "In Friedenszeiten genießen Handelsschiffe in den Meerengen die vollständige Freiheit der Durchfahrt, bei Tag und bei Nacht, unter jeder Flagge und mit jeder Art von Ladung, ohne Formalitäten."

    So regelt es Artikel 2 des Abkommens über die türkischen Meerengen von 1936. Nur Gesundheits- und Sicherheitskontrollen durch die Behörden sind erlaubt. Solange dieser Vertrag gilt, muss der Bosporus für die zivile Schifffahrt offenbleiben. Auch schwere Havarien wie das Tankerunglück im Jahr 1994, als ein brennender Ölteppich Istanbul bedrohte, geben der Türkei nicht einmal das Recht, eine Lotsenpflicht auf ausländischen Handelsschiffen durchzusetzen. Das ist ein Grund, warum seit einigen Monaten in der Türkei offen über einen Kanalbau, eine Art zweiten, künstlichen Bosporus diskutiert wird, der dann unter die volle Souveränität der Türkei fiele und wo man auch entsprechend hohe Gebühren für Schiffe verlangen könnte.

    "Es gibt Kommentare, die sagen, dass das ganze Kanalprojekt zum Scheitern verurteilt sei, weil der Bosporus ja nun offenbleiben muss. Ich halte diese Argumentation für ein bisschen einseitig, weil: Wenn sie nach Istanbul fahren, dann sehen sie, wie viele Schiffe wirklich vor Anker liegen. Und das sind natürlich sehr große Kosten."

    Günter Seufert, Türkei-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

    "Und selbst wenn die Durchfahrt durch den Bosporus nach wie vor ohne Gebühren erfolgt, selbst dann ist allein die große Liegezeit vor dem Bosporus mit erheblichen Kosten verbunden und würde von daher den Kanal auch wirtschaftlich sinnvoll machen."

    Die türkischen Meerengen waren schon in der Antike Schauplatz politischer Machtdemonstrationen. Wissenschaftler vermuten, dass die Kontrolle über die Dardanellen ein Auslöser für den Trojanischen Krieg gewesen sei. In byzantinischer Zeit war der Bosporus von einer gewaltigen Eisenkette versperrt. Die Osmanen schließlich kontrollierten die Passage mit mächtigen Festungen. Über Jahrhunderte konnte kein fremdes Schiff zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer Waren transportieren.

    Mit dem Untergang des Osmanischen Reiches kamen nach dem Ersten Weltkrieg Bosporus und Dardanellen unter internationale Kontrolle. Doch schon bald nach der Unabhängigkeit der Türkei 1923 pochte Atatürk darauf, die Souveränität über die Meerengen wiederzuerlangen. Man war als begehrter Bündnispartner in einer komfortablen Position. So schloss man am 20. Juli 1936 im schweizerischen Montreux ein Abkommen, welches die noch junge Türkei strategisch stärkte. Günter Seufert:

    "Die wichtigsten Punkte sind, dass die Türkei die Zahl der Kriegsschiffe nach Zahl und Tonnage begrenzen kann und dass sie das Recht hat, im Kriegs- oder im Spannungsfall die Durchfahrt Kriegsschiffen zu versagen."

    Das Meerengenabkommen von Montreux ist ein robustes Vertragswerk, welches viel zur Stabilität in der Region beigetragen hat. Vor drei Jahren war der Vertrag wieder Thema der Weltpresse, als ein bewaffneter Konflikt zwischen Georgien und Russland um die Regionen Südossetien und Abchasien ausgebrochen war.

    "Weil die Türkei sich sehr restriktiv verhalten hat, den Wünschen der Amerikaner gegenüber, nach dem Krieg in Georgien, direkt vor der russischen Küste eigentlich stärkere Präsenz zu zeigen. Die Türkei hat damals, soviel ich weiß, nur drei amerikanischen Kriegsschiffen die Durchfahrt erlaubt", "

    meint Günter Seufert. Immer wieder wird in der Türkei gewarnt, dass das nächste Schiffsunglück im Bosporus das Schlimmste sein könnte. Besonders fürchtet man das von allen Experten prognostizierte Riesenbeben vor der Küste Istanbuls. In dessen Folge könnte ein Tsunami Schiffe mit heikler Fracht wie Öl oder abgebrannten Uran-Brennstäben ans Ufer drücken - mit katastrophalen Folgen. Doch mehr Kontrollrechte in der zivilen Schifffahrt im Bosporus einzufordern, scheut die Türkei.

    " "Die Türkei war schon sehr beunruhigt dadurch, dass nach dem Kalten Krieg Rumänien und Bulgarien, zwei andere Anrainerstaaten des Schwarzen Meers, in die NATO aufgenommen worden sind, sehr gute und enge Beziehungen zu den USA haben."

    Bei einer Revision des Vertrags von Montreux würden die Vereinigten Staaten sicher fordern, dass Kriegsschiffe in größerer Zahl und zu jeder Zeit die Meerengen passieren dürfen, doch das wäre nicht im Interesse der Türkei. Denn dann gäbe sie militärpolitisch ein wichtiges Machtinstrument aus der Hand. So bleibt der Vertrag von Montreux aus dem Jahr 1936 wohl auch die nächsten Jahrzehnte unangetastet und der Bosporus für Handelsschiffe ohne Einschränkungen geöffnet.