Freitag, 19. April 2024

Archiv


Freie Fahrt für Gülle aus den Niederlanden

Die Niederlande sind für ihre großen Viehbestände bekannt. Dabei wird viel Gülle produziert, die das Land in seine Nachbarstaaten exportiert - zum Ärger von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, die sich um die Nitratbelastung des Grundwassers sorgen.

Von Annette Eversberg | 08.06.2011
    Gülle aus den Niederlanden ist bei nordrhein-westfälischen Ackerbauern im Grenzgebiet durchaus willkommen, betont Dr. Jochen Thiering vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband in Münster:

    "Die Gülle ist erst einmal ein Nährstofflieferant für die Böden, und der Ackerbau benötigt Düngemittel und Nährstoffe, damit Pflanzen darauf gut wachsen können und Erträge bringen. Und es gibt hier Betriebe, die zu wenig Nährstoffe haben. Und in Holland gibt es Betriebe, die zu viel Wirtschaftsdünger haben, und die sind dann gewillt Gülle abzugeben."

    Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Gülle ist preiswerter als Mineraldünger. Der ist inzwischen doppelt so teuer, weil der Bedarf weltweit wächst. Jochen Thiering.

    "Das ist ein Markt, der entsteht für diese Gülle. Wenn das nicht attraktiv wäre, würde das gar nicht laufen."

    2010 wurden immerhin 750.000 Tonnen Gülle aus den Niederlanden nach Nordrhein-Westfalen transportiert. Die Dunkelziffer ist weit höher, weil Gülle auch illegal exportiert wurde. Die neue Regierung aus SPD und Grünen sorgt sich vor allem um die Nitratbelastung des Grundwassers im Grenzgebiet, betont Peter Knitsch vom Düsseldorfer Landwirtschaftsministerium:

    "Die Grundwassersituation ist zumindest in Teilen dieser Kreise heute schon problematisch. Und wenn dann zusätzlich zu der Gülle, die in Nordrhein- Westfalen selbst produziert wird, dann auch noch Gülle aus den Niederlanden zu uns kommt, dann verschärft das natürlich die Situation."

    Niederländische Betriebe liefern nicht nur Gülle. Sie pachten auch Flächen im Grenzraum. Aus der Sicht des Umweltministeriums geht es nicht mehr nur um Nährstoffe für die Pflanzen, sondern um Entsorgung:

    "Die Tierhaltung sowohl in Teilen Nordrhein-Westfalens wie auch insbesondere in den Niederlanden ist inzwischen so dicht, dass Gülle in einem Umfang anfällt, dass es schwierig ist, die Gülle tatsächlich zu beseitigen. Und da hilft es, wenn wir den Eintrag von Gülle auf landwirtschaftliche Flächen weiter begrenzen."

    Dafür hatte man bereits früher eine Güllebörse eingerichtet, weiß Jochen Thiering.

    "Damit sich abgebende Betriebe und aufnehmende Betriebe besser finden. Und damit das auch einer gewissen Dokumentation unterliegt. Sie dient halt dazu, dass eine überbetriebliche pflanzenbaulich und umweltgerechte Nährstoff- und Gülleverwertung erfolgt."

    Das Landwirtschaftsministerium hatte außerdem einen Weg gefunden, 2011 die Gülleexporte zu begrenzen. Damit ist Nordrhein-Westfalen - so Peter Knitsch - dem Beispiel von Niedersachsen gefolgt.

    "Minister Remmel hat im November angeordnet, dass Gülle, bevor sie aus den Niederlanden nach Nordrhein-Westfalen exportiert werden darf, einer sogenannten Drucksterilisation unterzogen werden muss. Dieses Verfahren dient der Abtötung von Tierseuchenerregern. In den Niederlanden sind solche Kapazitäten für diese Drucksterilisation nur begrenzt vorhanden, außerdem ist es ein relativ teures Verfahren. So dass in diesem Jahr nur Genehmigungen für 70.000 Tonnen, also ein Zehntel der Menge, ausgesprochen werden mussten."

    Gegen diese Marktregulierung haben die Niederlande bei der EU-Kommission protestiert. Mit Erfolg. Auch die illegalen Gülleexporte werden auf diese Weise legalisiert. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner zeigte soeben Verständnis für die Position der EU-Kommission, erwartet aber, dass es bei den Gülleexporten eine Tierseuchenkontrolle gibt.

    Dagegen verlangt Nordrhein-Westfalen, an der Drucksterilisation festzuhalten, und will sich im Bundesrat für schärfere Standards im deutschen Düngemittelrecht einsetzen. Für den Verbraucher mag das wie einen Streit um des Kaisers Bart klingen. Doch der nordrhein-westfälische Grundwasserbericht macht deutlich, dass europäisches Düngemittelrecht und Düngeverordnung nicht den Umweltschutz bieten, den man erwartet hat.

    Die Berechnungen am grünen Tisch, wie viel man düngen darf und wie viel die Pflanzen aufnehmen können, klappen - so Jochen Thiering vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband - in der Praxis nicht eins zu eins. Deshalb verwundert es nicht, dass Stickstoff im Übermaß vorhanden ist, der Flächen und Gewässer immer mehr belastet und die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung gefährdet. Nicht nur in Deutschland, sondern in vielen europäischen Regionen mit einer intensiven Landwirtschaft.

    Mehr zum Thema Düngen:

    "Unsere Zivilisation ist auf Mist gebaut" - Interview mit Agrarhistoriker in DRadio Wissen