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Forschungsstelle "Entartete Kunst" vor dem Aus

Die Forschungsstelle "Entartete Kunst" bietet eine der international wichtigsten Datenbanken zum Schicksal moderner Kunst in Zeiten des NS-Regimes. Wegen fehlenden Finanzmitteln ist die Software aber seit Wochen nicht mehr erreichbar. Die Finanzierung der Forschungsstelle ist ungeklärt. Das Ende droht.

Von Christiane Habermalz | 30.11.2015
    Der nationalsozialistische Führer Adolf Hitler (r) und der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels (M), besuchen 1937 die Ausstellung "Entartete Kunst" im Münchner Haus der Kunst. Während des Dritten Reiches wurden auf der Grundlage der Rassentheorie unzählige moderne Kunstwerke von den Nationalsozialisten als "artfremd", bzw. "entartet" angesehen und beschlagnahmt oder zerstört. Eine Auswahl der Werke wurde 1937 in München ausgestellt.
    Der nationalsozialistische Führer Adolf Hitler (r) und der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels (M), besuchen 1937 die Ausstellung "Entartete Kunst" im Münchner Haus der Kunst. (picture-alliance / dpa / Ullstein)
    Sie wurde 2003 von der Ferdinand-Möller Stiftung aufgebaut, die Finanzierung durch die Stiftung lief jedoch, wie lange angekündigt, im Sommer 2015 aus. Die Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, hat zwar eine dreijährige Folgefinanzierung angeboten – aber unter der Bedingung, dass die Finanzierung danach dauerhaft von der FU Berlin beziehungsweise dem Land Berlin übernommen wird. Eine entsprechende Vereinbarung konnte jedoch bislang nicht erzielt werden. Damit droht der Forschungsstelle Ende des Jahres das Aus, wie der Kunsthistoriker Christoph Zuschlag von der Uni Koblenz Landau jetzt öffentlich machte:
    "In meinen Augen wäre es fatal, ohne dass ich irgendjemandem die Schuld dazu geben möchte, wenn das jetzt endete. Die Causa Gurlitt hat gezeigt, wie eng doch teilweise Raubkunst und Entartete Kunst zusammen spielen. Denn in diesem Sammlungsbestand gibt es eben beides."
    Wichtige Datenbank zur Provenienzforschung
    Die Forschungsstelle hat in den zwei Jahren ihres Bestehens eine der wichtigsten Datenbanken zur Provenienzforschung aufgebaut, die von Wissenschaftlern, Anwälten und Museumsleuten international genutzt wird. Diese Datenbank ist seit Wochen nicht mehr erreichbar, beklagte Zuschlag. Die Wartung und der technische Support könnten mangels Finanzierung nicht mehr durchgeführt werden.
    In der Datenbank finden sich vor allem Informationen über das Schicksal der Kunst der Moderne. Rund 16.000 Werke von Otto Dix bis Oskar Kokoschka, die 1937 von den Nationalsozialisten deutschen Museen zwangsentzogen wurden, zum Teil in der Ausstellung "Entartete Kunst" als abschreckende Beispiele gezeigt und danach Teil vernichtet oder Teil ins Ausland verscherbelt wurden. Auch Bilder jüdischer Privatsammlungen, die ihren Besitzern abgepresst und über den Kunsthandel an Museen gegangen waren, waren betroffen. Die Lehrveranstaltungen der Forschungsstelle drohen nun mitten im Semester abzubrechen, klagt Projektkoordinatorin Maike Hoffmann.
    Auch Lehre ist bedroht
    "Die Lehre, die ich seit dem Sommersemester 2011 mit vielen Kollegen aus dem Arbeitskreis Provenienzforschung bestreite, ehrenamtlich. Diese Lehraufträge habe ich unterschrieben, ohne Honorar dafür zu beziehen, wie meine Kollegen auch, natürlich nur vor dem Hintergrund, dass ich ein regelmäßiges Einkommen habe. Das heißt, wenn alles aufhört, kann ich auch die Lehre nicht einfach so mit leeren Taschen weiterführen."
    Die am Wochenende in Berlin tagende Konferenz "Kulturgutverluste", an der die führenden Experten zum Thema Provenienzforschung und Restitution von Raubkunst teilnahmen, richtete einen dringenden Appell an die Politik, die Forschungsstelle zu erhalten.
    Das Thema, das durch den Fall Gurlitt verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerückt war, werde in den kommenden Jahren eine Mammutaufgabe für Museen und Archive bleiben, sagte Uwe Schneede, Leiter des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste in Magdeburg. Die Forschungsstelle Entartete Kunst liefere dafür einen wichtigen Beitrag.