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Freihandelsabkommen
"Es geht um ethisch-moralische Standards" - "Das ist absurd"

Durch die Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada könne Deutschland künftig nicht mehr selbst über Fragen von Umwelt- und Gesundheitsschutz entscheiden, sagte Bärbel Höhn (Grüne), Vorsitzende des Umweltausschusses, im DLF. Das sei Alarmismus und stimme so nicht, erwiderte Joachim Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion.

Bärbel Höhn und Joachim Pfeiffer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 26.09.2014
    Menschen demonstrieren in Berlin gegen die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP.
    Menschen demonstrieren in Berlin gegen die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP. (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    "Wir haben nichts gegen Standards, wenn es um technische Dinge geht", sagte Höhn. Etwa wenn es um Normen für Außenspiegel für Autos gehe. Anders sei dies bei ethisch-moralischen Standards, etwa Gentechnik. Darüber müsse Deutschland auch künftig selbst entscheiden dürfen. "In Kanada und den USA empfindet man ein Verbot als Handelshemmnis", sagte Höhn - dies könne künftig zu Klagen nordamerikanischer Unternehmen führen.
    Das stimme so nicht, entgegnete Pfeiffer. Der einzelne Staat könne auch weiterhin über Umwelt- und Gesundheitsstandards entscheiden. "Das ist bei uns im Grundgesetz und in den Vertragsklauseln verankert." Den Gegnern der Freihandelsabkommen warf der CDU-Politiker Alarmismus vor. Erst habe man Angst vor Chlorhähnchen aus den USA geschürt, dann Geheimverhandlungen angeprangert und nun führe man die Angst um ethisch-moralische Standards an - dies sei absurd. Es gehe darum, Zölle abzubauen, den Zugang zu Märkten zu erleichtern und weltweit Standards und Normen zu setzen - "und zwar unsere aus Deutschland und Europa".

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Wenn die einen CETA lesen, hören die anderen Mordio. Auch deshalb, weil das Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA, Modell steht für TTIP. Und an dem geplanten Abkommen mit den USA scheiden sich in der Europäischen Union die Geister endgültig. Dass bei CETA und beim TTIP-Menü es um anderes als um Huhn an Chlor geht, das hat sich inzwischen herumgesprochen.
    Am Telefon ist Bärbel Höhn, die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen!
    Bärbel Höhn: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Und auf der anderen Leitung Joachim Pfeiffer (CDU), wirtschaftspolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Pfeiffer.
    Joachim Pfeiffer: Guten Morgen.
    "Wir haben etwas gegen ethisch-moralische Standards"
    Heinemann: Frau Höhn, was haben Sie gegen Freihandel?
    Höhn: Wir haben da vom Grundsatz her nichts gegen Freihandel, wenn es wirklich nur um technische Standards ginge: Wie ist denn nun der Spiegel am Auto und wie kann das auch für Unternehmen einfacher sein, hin und her ihre Waren zu transportieren.
    Wir haben etwas gegen ethisch-moralische Standards. Wenn wir in Europa zum Beispiel sagen, wir wollen keine Gentechnik auf dem Tisch haben, weil wir ein Vorsorgeprinzip haben, und deshalb machen wir da einen Stopp, dann ist das etwas, was die nordamerikanische Seite, Kanada sowohl wie die USA, nicht anerkennen, und das empfinden die als ein Handelshemmnis.
    Deshalb geht es gar nicht um technische Standards, sondern es geht um ethisch-moralische, auch zum Beispiel, wie wir gemacht haben, den Atomausstieg. Das ist das eigentliche Problem.
    Pfeiffer: Letztmalige Chance, deutsche und europäische Standards weltweit zu verhandeln
    Heinemann: Herr Pfeiffer, muss Ethik und Moral herausverhandelt werden?
    Pfeiffer: Das stimmt natürlich so nicht, was da Frau Höhn sagt. Wenn ein Staat entscheidet über Umweltstandards, über Gesundheitsstandards, dann kann er dies natürlich weiterhin tun. Bei uns ist das im Grundgesetz verankert und auch in allen Klauseln der Verträge ist das selbstverständlich möglich.
    Es wird hier leider immer versucht, mit Alarmismus oder Ängsten zu arbeiten: Erst mit dem Chlorhuhn, das ist jetzt verpufft, weil man gesehen hat, dass das alles nicht stimmt. Dann wurde gesagt, es wird alles geheim verhandelt; auch dieser Vorwurf ist ad absurdum geführt. Und jetzt wird auf einmal versucht, dass man sagt, es geht hier um ethisch-moralische Standards, was nach wie vor natürlich die EU und auch die Bundesrepublik selber setzen kann. Das ist absurd!
    Es geht in der Tat darum, ob Zölle abgebaut werden, ob ein Zugang zu öffentlichen Beschaffungsmärkten ermöglicht wird, ob im Übrigen vor allem weltweit Standards gesetzt werden und Normen, und zwar unsere Standards aus Deutschland und Europa, wo wir das letzte Mal die Chance haben, die weltweit zu verankern und Vorbild zu sein dann für andere in der Welt.
    Heinemann: Und es geht auch um die Frage, vor welchen Gerichten Streitigkeiten ausgetragen werden. Da ist ja gerade der reelle Fall von Vattenfall. Das Unternehmen hat die Bundesregierung wegen der Energiewende verklagt. Wer ist eigentlich in Zukunft für die Gesetzgebung zuständig, Herr Pfeiffer?
    Pfeiffer: Selbstverständlich ist für die Gesetzgebung der Gesetzgeber zuständig, also die Parlamente. Im Übrigen: Das Thema Vattenfall ist ja nach aktuellem Recht möglich, ...
    Pfeiffer: "Wir wollen die Normen setzen und nicht außen vor bleiben"
    Heinemann: Genau, und das würde sich da vermehren auf diese Art und Weise.
    Pfeiffer: Nein, eben nicht, weil es ja Abkommen gibt aus der Vergangenheit zwischen Deutschland und anderen Staaten. Deutschland ist im Übrigen beim Investitionsschutz der Vater sozusagen, hat das erfunden. Über 130 Abkommen wurden geschlossen. Und aus Fehlern der Vergangenheit wollen und werden wir lernen in Zukunft. Deshalb wird es Klauseln geben, die nicht diskriminierende staatliche Maßnahmen im öffentlichen Interesse wie im Umwelt- und Gesundheitsschutz dann entsprechend dann nicht mehr angreifbar machen.
    Umgekehrt wird aber ein Schuh daraus. Ich glaube, das kann man nicht schwarz-weiß betrachten. Denken Sie mal darüber nach. Es geht ja nicht nur um Deutschland, sondern um Europa. Es gibt auch Länder in Europa, wo man die Rechtsstaatlichkeit, der Rechtsschutz - nehmen wir mal nur Bulgarien oder auch Rumänien - durchaus hinterfragen kann.
    Umgekehrt, wenn es beispielsweise um die USA geht: Dort werden Richter direkt gewählt in Countys, den Landkreisen, und da geht es nicht darum, dass es bei Bundesgerichten der USA dann verhandelt wird, sondern vielleicht in den Staaten, und da ist dann mancher Mittelständler vielleicht auf hoher See. Deshalb müssen wir ganz genau überlegen, wo macht es Sinn, einen Rechtsrahmen zu setzen, und wie ist das zu organisieren.
    Vielleicht noch ein Satz: Auch werden diese Verträge natürlich weltweit Modellcharakter haben für andere, die folgen werden: China und die ASEAN-Staaten. Deshalb geht es darum: Globalisierung lebt von Normen und wer die Normen setzt, der spricht die Sprache des Welthandels. Wir wollen die Normen setzen und nicht außen vor bleiben, weil sonst setzen die Normen andere in der Welt.
    Heinemann: Das war ein Semikolon-Satz. - Frau Höhn, Sie sind dran!
    Höhn: Das ist vollkommen anders. Der erste Punkt ist: Ich will ganz kurz noch mal auf die falschen Argumente von Herrn Pfeiffer in der ersten Antwort eingehen. Der Text, der liegt ja jetzt vor, und da ist es keineswegs so, dass wir diese Standards zum Beispiel bei der Gentechnik setzen können. Denn neue Verbote, die jetzt vielleicht anstehen würden, wenn neue gentechnisch veränderte Produkte hier auf den Markt kommen sollen, die müssen demnächst - und so heißt es im Text - "Efficient Science Based", sie müssen effiziente, wissenschaftlich basierte Grundlagen haben.
    Wir wissen aber bei der Gentechnik, dass die Kanadier sagen, aus unserer Sicht, wir lassen das zu, weil die Firma selber sagt, das ist ungefährlich, und dann ist es auch wissenschaftlich basiert, was ihr da macht als Europäer, ist nur ein Handelshemmnis und das lassen wir in Zukunft nicht mehr zu.
    Das heißt, es wird in Zukunft schwer werden, bei neuen Produkten Verbote auszusprechen was Gentechnik angeht.
    Chlorhuhn ist aus meiner Sicht weiter ein Problem. Da gehe ich aber nicht weiter drauf ein.
    Jetzt zu den Gerichten. Das sind Privatgerichte für Unternehmen. Unternehmen dürfen klagen gegen Staaten. Das ist doch nicht anders herum. Eine Umweltorganisation kann nicht gegen ein Unternehmen klagen und nur in ganz seltenen Fällen ein Staat gegen ein Unternehmen. Diese Gerichte ...
    Heinemann: Entschuldigung! Der Handelskommissar De Gucht hat gerade noch mal gesagt in einem Interview mit dem "Handelsblatt", die NGOs können sich direkt in die Verfahren einschalten, das sei ein Riesenvorteil.
    Höhn: Sie können sich da einschalten, aber sie können nicht klagen. Das heißt, die Einschaltung ist auch sehr indirekt, weil es wird zwar öffentlicher gemacht, ...
    Pfeiffer: Frau Höhn!
    Heinemann: Kleinen Augenblick! Bitte ausreden lassen!
    Höhn: Jetzt darf ich aber auch mal zu Ende reden!
    Heinemann: Bitte ausreden lassen!
    Höhn: Jetzt darf ich aber auch mal zu Ende reden.
    Höhn: "Es geht um riesige Summen"
    Heinemann: Bitte, ganz ruhig.
    Höhn: De facto geht es darum, dass an diesen Gerichten Schadensersatzklagen und damit auch hohe Summen von den Unternehmen eingeklagt werden können.
    Wir haben ja den Fall von Vattenfall, die gegen den Atomausstieg gegen Deutschland klagen, aufgrund anderer Verträge, die in der Vergangenheit gemacht worden sind, und es geht immerhin um eine Schadenssumme von bis zu 3,5 Milliarden Euro. Das heißt, es geht um riesige Summen. Der eigentliche Punkt ist: Ursprünglich war das mal ein gutes Instrument.
    Da hat Herr Pfeiffer Recht. Aber es ist verkommen dahingehend, dass jetzt mittlerweile sehr viele Anwaltsbüros gerade in den USA ein neues Geschäftsmodell darin sehen, Unternehmen jetzt schon beraten, wie sie ihre Verträge machen sollen, damit sie am Ende auch klagen können. Damit haben wir eine Privatklage-Möglichkeit, Privatgerichte, und die Richter, die da berufen werden von den Unternehmen, sind da auch gehalten, eigentlich unternehmensfreundliche Urteile zu sprechen. Ansonsten werden sie beim nächsten Mal nicht mehr benannt. Insofern ist das eine Gerichtsbarkeit, die über den Gerichten der Staaten steht, und das darf nicht sein.
    Pfeiffer: Investionsschutz im Ausland ist ureigenes Interesse
    Heinemann: Herr Pfeiffer, sind Sie zukünftig nur noch Handelsvertreter und nicht mehr Volksvertreter?
    Pfeiffer: Ganz sicher nicht. Ich sehe die Gefahr überhaupt nicht, sondern die Dinge müssen jetzt geregelt werden. Und, Frau Höhn, es geht doch nicht darum, dass NGOs klagen dürfen. Um was geht es denn beim Investitionsschutz und um was geht es denn bei den Investorschiedsverfahren?
    Es geht darum, wenn jemand Investitionen in einem anderen Land tätigt, nach geltendem Gesetz, wenn die Gesetze so geändert werden, dass der Investor diskriminiert wird, dann muss er sich dagegen wehren können. Das war natürlich ein Thema, was vorher in Pakistan, was in Afrika und sonst wo eine Rolle gespielt hat und auch heute noch eine Rolle spielt. Deshalb haben diese Regeln vielleicht weniger Bedeutung zwischen der EU und Kanada - aber ich habe ja vorher dargelegt, dass es auch da Handlungsbedarf geht -, sondern sind eher quasi Instrument, um weltweit Normen zu setzen, und das ist in unserem ureigenen Interesse, dass Investitionen im Ausland entsprechend geschützt werden.
    Es geht hier nicht darum, dass hier Willkür eröffnet wird, und deshalb kann ich den Alarmismus und auch die Ängste, die da immer versucht werden zu schüren, überhaupt nicht nachvollziehen.
    Höhn: "Da kommt der Verbraucher und der Umweltschutz absolut unter die Räder"
    Heinemann: Frau Höhn, ich möchte einen Gedanken noch mal aufnehmen, den Herr Pfeiffer eben auch angesprochen hat. Nach CETA ist ja möglicherweise auch schon vor TTIP, wobei CETA ja noch lange nicht abgeschlossen ist.
    Wenn die EU das Abkommen mit den USA verbummeln würde, dann könnten Kanada und die USA mit China handelseinig werden. Die Standards eines solchen Abkommens wären mit Sicherheit niedriger als die von CETA und TTIP.
    Höhn: Diese Verhandlungen, die ja gerade geführt werden - das ist ja nicht TTIP, sondern PPP nennen die sich -, die sind ja auch durchaus umstritten. Zum Beispiel jetzt auch die Verhandlungen, die mit Japan da geführt werden, weil auch die japanische Bevölkerung mittlerweile merkt, was das eigentlich für sie bedeutet. Und auch die amerikanischen Kongressabgeordneten sagen, wir wollen ja auch keine Macht abgeben. Insofern hat Obama da momentan noch eine große Auseinandersetzung mit den Kongressabgeordneten. Also man sieht da auch, dass die Probleme sind.
    Der eigentliche Punkt ist: Wir haben mit der WTO, mit den Weltverhandlungen enorme Probleme gehabt, bestimmte Sachen zu lösen, zum Beispiel diesen vorsorgenden Ansatz Europas und diesen nachsorgenden Haftungsansatz von Nordamerika. Jetzt versucht man, mit einem Handelsabkommen, wo wir de facto mal eben konfrontiert werden mit einem Vertrag von 500 Seiten plus 800 Seiten Anhang und uns da sozusagen durch ein Fachenglisch kämpfen müssen, versucht man, alle diese Probleme zu lösen. Und da sage ich Ihnen, da kommt der Verbraucher und der Umweltschutz absolut unter die Räder.
    Und, Herr Pfeiffer, auch Kanada ist doch wohl ein Rechtsstaat. Trotzdem gibt es diverse Verfahren gegen Kanada. Das heißt, diese Investor States, diese Schiedsgerichtsverfahren, die werden immer mehr auch gegen Industrieländer gemacht, auch gegen Deutschland. Da werden wir auch nicht sagen, dass das kein Rechtsstaat ist. Und es ist ein neues Geschäftsmodell!
    Das heißt, die Zahl dieser Verfahren ist explodiert in den letzten Jahren und das bedeutet, dass wir uns jetzt momentan auch ein bisschen schützen müssen gegen Anwälte aus den USA, die mit überzogenen Schadensforderungen jetzt versuchen, gegen die Staaten vorzugehen und ihr eigenes Geschäft zu machen.
    Pfeiffer: "Das ist das Gegenteil von Willkür"
    Heinemann: Herr Pfeiffer, ganz kurz zum Schluss: Sigmar Gabriel hat gestern noch darauf hingewiesen, dass die USA und Kanada schon Abkommen mit anderen Staaten, mit Australien, Singapur oder Israel abtgeschlossen hatten, ohne Investitionsschutzklauseln. Wieso denn mit der EU? Wir sind doch keine Bananenrepubliken.
    Pfeiffer: Ja. Ich sage ja, dass das auch in unserem ureigenen Interesse liegt. Es gibt doch kein Schwarz-Weiß, sondern wir sollten ganz genau regeln, wo und welche Regelungen wir dort aus unserem ureigenen Interesse haben wollen. Wir verhandeln mit den USA, die Europäische Union, auf Augenhöhe. Es ist hier deshalb die Frage, welche Interessen wir haben und wie wir sie umsetzen. Und ich bin durchaus der Meinung, wir haben ein originäres Interesse sowohl am Investitionsschutz als auch an diesen Schiedsverfahren für unsere Unternehmen, für unsere Investments in den anderen Ländern, und das ist das Gegenteil von Willkür. Es schafft Rechtsschutz und Rechtssicherheit.
    Heinemann: Joachim Pfeiffer war das mit dem Schlusswort (CDU), wirtschaftspolitischer Sprecher der Unions-bundestagsfraktion, und Bärbel Höhn, die Vorsitzende des Bundestags-Umweltausschusses von den Grünen. Ihnen beiden danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.