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Freihandelsabkommen
Kann Europa von den US-Standards profitieren?

Auch amerikanische Verbraucherschützer haben Bedenken wegen des geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA. Denn in manchen Bereichen sind die Standards dort höher als auf der anderen Seite des Atlantiks - das TTIP könnte das ändern.

Von Marcus Pindur | 17.05.2014
    Demonstration gegen das Freihandelsabkommen TTIP in München im Mai 2014
    Demonstration gegen das Freihandelsabkommen TTIP in München im Mai 2014 (dpa / picture alliance / Rene Ruprecht)
    Consumer Reports ist die größte amerikanische Verbraucherorganisation - das Äquivalent zur deutschen Stiftung Warentest. Acht Millionen Menschen nutzen im Schnitt monatlich die Tests und Verbraucherinformationen. Auch hier werden die Verhandlungen über das transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen kritisch verfolgt. Jean Halloran ist Beraterin für Consumer Reports und unter anderem für internationale Fragen zuständig. Die amerikanischen Verbraucherorganisationen hätten ähnliche Fragen an das TTIP-Abkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership) wie die europäischen, sagt Jean Halloran.
    "Das Problem ist, dass die Verhandlungsparteien sich über unterschiedliche Regulierungen auf beiden Seiten des Atlantiks verständigen wollen. Aber sie haben nicht gesagt, dass sie auf die Aufwertung beider Standards abzielen. Deshalb sind wir besorgt, dass es eine Abwärtsspirale gibt, dass man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt."
    Der Agrarsektor macht beiderseits des Atlantiks nur circa ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus, und noch sehr viel weniger im transatlantischen Handel. Doch im Bereich der Lebensmittelsicherheit sind auch in den USA die größten Sorgen in Bezug auf TTIP anzutreffen. Wo sind nun die Standards höher? Das könne man pauschal nicht beantworten, so Jean Halloran.
    "Die USA haben schärfere Vorschriften gegen Listerien-Bakterien im Käse und anderen verarbeiteten Lebensmitteln. In Europa gibt es dagegen schärfere Regelungen zur Kennzeichnung genetisch veränderter Lebensmittel und zu deren Test, bevor sie auf den Markt dürfen."
    Der Teufel liegt wie so oft im Detail, und nicht nur die Verbraucherlobby macht ihren Einfluss geltend, auch die Agrarlobby. In Deutschland ist die Abneigung gegen Wachstumshormone bei der Rindfleischproduktion groß. Auch Consumer Reports sieht diese Praxis bei der Rindermast kritisch. Gleichzeitig sagt Jean Halloran, die Europäische Union sei beim Vorgehen gegen BSE, den Rinderwahnsinn, alles andere als vorbildlich gewesen. Das habe viel zu lange gedauert.
    "Europa hat sehr lange gebraucht, um stringent gegen BSE vorzugehen. Die USA, die viel eigenes Rindfleisch produzieren, haben sich sehr schnell gegen das Problem gewandt und sind damit höchsten Lebensmittelsicherheitsstandards gerecht geworden."
    Den Großteil des atlantischen Handels machen jedoch Industrieprodukte aus. Deutschland ist in den USA besonders erfolgreich in der Automobilindustrie. Viele Vorschriften und Standards seien jedoch willkürlich, so Wade Newton, der Sprecher des Branchenverbandes "Alliance of Automobil Manufacturers", dem auch deutsche Autokonzerne angehören.
    "Zum Beispiel ist der Bereich, den die Scheibenwischer auf der Frontscheibe abdecken müssen, in den USA und einigen europäischen Ländern unterschiedlich groß. Es gibt Probleme mit den Seitenspiegeln, die unterschiedliche Winkel abbilden müssen. Es gibt ein Problem mit den Blinkern. In Europa müssen sie orange sein. In den USA können sie rot oder orange sein."
    Unterschiedliche Sicherheitsniveaus
    Auch die Crashtests sind unterschiedlich. Während in Europa die Dummies angeschnallt sind, müssen sie in den USA auch mit nicht angeschnallten Testpuppen durchgeführt werden. Das Sicherheitsniveau ist nach Ansicht der weitaus meisten Experten bei amerikanischen Autos genauso hoch wie bei deutschen. Doch die Methoden und Prozesse, dies zu messen, unterscheiden sich. Das erhöht die Kosten und bedeute für den Konsumenten weniger Auswahl und höhere Preise, so Wade Newton.
    Die TTIP-Verhandlungen stünden vor der Aufgabe, gleich hohe Sicherheitsziele zu definieren und sich dann auf zumindest ähnliche Testmethoden und sonstige Regulierungen zu einigen. Das bringe deutliche Vorteile für den Verbraucher.
    "Unsere Studie hat ergeben, dass die sogenannten nicht-tariffären Handelshemmnisse, also unterschiedliche Vorschriften und Regulierungen beiderseits des Atlantiks den Preis eines Fahrzeuges um 26 Prozent erhöhen. Da sind also noch viele Vorteile für den Verbraucher drin."
    Auch, wenn die Kostenersparnisse nicht so optimistisch angesetzt werden, wie die Automobilbranche dies tut, würden gemeinsame Standards den transatlantischen Handel deutlich vereinfachen und verbilligen. Zu diesem Schluss kommt auch eine Bertelsmann-Studie zu diesem Thema.
    Doch dies ist abstrakt und liegt in der Zukunft. Viele amerikanische Verbraucher und Arbeitnehmer sind skeptisch, und diese Skepsis hat unter anderem etwas mit mangelnder politischer Transparenz zu tun, so Jean Halloran.
    "Eine unserer größten Kritikpunkte ist, dass es nicht öffentlich ist. Besonders hier in den USA hören wir nichts über die Verhandlungen. Wir wissen kaum, welche Themen verhandelt werden. Die amerikanische Regierung lässt nicht heraus. Die Europäische Union hat dagegen wenigstens ihre Ausgangspositionen veröffentlicht."
    Wenn die Öffentlichkeit nicht überzeugt ist, dann könnte es bei der Verabschiedung des Vertragswerkes durch den Kongress eine böse politische Überraschung geben. Überzeugungsarbeit und ein Mindestmaß an Transparenz sind bei einem so weitreichenden Vertrag wie TTIP unerlässlich - auf beiden Seiten des Atlantiks.