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Freihandelsabkommen TTIP
Das Vorsorge-Prinzip darf nicht zur Disposition gestellt werden

Das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU - TTIP genannt - sollte in diesem Herbst unter Dach und Fach sein. Doch die Proteste gegen das Abkommen reißen nicht ab. Heute hat der Verbraucherzentrale Bundesverband seine Sicht auf das Abkommen vorgestellt - und warnt vor einer falschen Debatte.

Von Dieter Nürnberger | 19.06.2014
    Ein Zuhörer einer Europawahlkampfveranstaltung der SPD protestiert in Nürnberg (Bayern) mit einem Plakat mit der Aufschrift "Stoppen Sie TTIP" gegen das geplante EU-US-Freihandelsabkommen TTIP.
    Der Widerstand gegen TTIP, das geplante Freihandelsabkommen zwischen EU und USA, wächst. (Picture Alliance / dpa / Daniel Karmann)
    Es ist nicht so, dass der vzbv, der Verbraucherzentrale Bundesverband, das geplante Freihandelsabkommen generell ablehnt. Ganz im Gegenteil - das heutige Motto der Pressekonferenz lautete: "Freihandel, aber nicht auf Kosten der Verbraucher und der Umwelt“. Grundsätzlich also steht man dem Freihandelsabkommen positiv gegenüber. Es geht auf wirtschaftlicher Seite um den Abbau von Zöllen und Einfuhrquoten beispielsweise, also um den Abbau von Handelshemmnissen. Und das kommt ja hoffentlich irgendwann auch dem Verbraucher zugute, beispiels- oder idealerweise über vielleicht sinkende Preise für Lebensmittel oder auch Dienstleistungen.
    Allerdings betrachtet man schon mit Sorge, dass da derzeit eher im Geheimen verhandelt wird, oder auch nur unter Wirtschafts- oder Handelsexperten. Und aus Verbrauchersicht geht es um unterschiedliche Voraussetzungen, also Standards - beispielsweise auf dem Markt für Lebensmittel. In Europa gilt beispielsweise das Vorsorgeprinzip, in den USA eher das Nachsorgeprinzip. Klaus Müller, vom Vorstand des vzbv:
    "Wenn Sie in den USA ein Produkt oder eine Dienstleistung anbieten wollen, dann haben Sie erstmal große Freiheiten. Im Hintergrund steht aber ein Klagesystem, das wiederum den Anbietern Grenzen setzt. Europa hingegen funktioniert anders: In Europa brauchen Sie Genehmigungen, Sie müssen sich im Vorfeld - im Vorsorge-Prinzip - viele Gedanken machen. Wenn jetzt diese beiden Welten miteinander vermischt werden, dann ist unsere Sorge, dass das Schlechte beider Welten übrig bleibt. Dass letztendlich Verbraucherstandards geschliffen werden. Deshalb sagen wir: Dieses Vorsorge-Prinzip in Europa darf nicht zur Disposition gestellt werden."
    Derzeit arbeiten die Gegner des Freihandelsabkommens ja mit dem so oft zitierten Schlagwort des Chlorhühnchens, welches man sozusagen nicht auf dem Essenstisch haben möchte. Diese Debatte ist für Klaus Müller viel zu verkürzt - ein ganz schlechtes Beispiel, sagt er, welches den Kern der Debatte sogar verschleiern würde.
    Es geht um die Frage, wie wir mit unserer Demokratie umgehen
    "Jetzt hat mir auch der EU-Handelskommissar de Gucht vergewissert, dass das Chlorhähnchen nicht kommen wird. Und darum ist dieses Beispiel so gefährlich, weil es ja von den tiefer gehenden Problemen des Freihandelsabkommens eigentlich ablenkt. Man kann über das Chlorhähnchen sicherlich lange streiten - die Gesundheitsgefährdung würde ich zu bezweifeln wagen, aus ethischen Gründen kann man das sicherlich ablehnen. Es ist aber nicht das Problem, was wir haben. Das Problem sind Handelsprinzipien, auch die Frage, wie mir mit unserer Demokratie umgehen. Und, ob es eben Sondergerichtsbarkeiten für ausländische Unternehmen gibt."
    Oberstes Leitmotiv für den Verbraucherzentrale Bundesverband ist vor allem die Einhaltung der Kriterien Nachhaltigkeit sowie Verbraucher- und Gesundheitsschutz. Und hier sieht man doch erheblichen Verhandlungsbedarf - so könnte es beispielsweise bei einer nicht ausreichenden Deklarationspflicht auch die grüne Gentechnik, also gentechnisch veränderte Lebensmittel, welche von einem Großteil der Bevölkerung vehement ablehnt werden, etwa durch die Hintertür eingeführt werden. Noch einmal vzbv-Vorstand Klaus Müller.
    "In den USA wird nur das gekennzeichnet, wo es einen wissenschaftlich belegbaren Nachteil für Verbraucher gibt. Das ist bei der Gentechnik somit nicht oder noch nicht der Fall. Das heißt: Wenn sich die gegenseitige Anerkennungskultur durchsetzt - alles, was in den USA legal ist, wäre auch in der EU erlaubt - dann könnte es darauf hinauslaufen, dass eben auch ungekennzeichnete Produkte Einzug halten. Das wäre nicht im Sinne eines selbstbewussten und starken Verbrauchers."
    Eines noch: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat nun einen Beirat von 18 Experten einberufen, der die Verhandlungen kritisch begleiten soll. Ein Gremium, welchem auch Klaus Müller angehören wird. Ein Gremium ohne Entscheidungsbefugnis, aber vielleicht kann so etwas mehr Transparenz hergestellt werden.