Donnerstag, 25. April 2024

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Freihandelsabkommen TTIP
"Es muss eine Schutzklausel für Kultur geben"

Bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP stünden sich mit Deutschland und den USA zwei verschiedene Gesellschaftsmodelle gegenüber, sagte die Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) im DLF. Ziel sei bei Verhandlungen die Aufnahme einer Generalklausel, womit generell Kulturgüter unter Schutz gestellt seien.

Monika Grütters im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 20.05.2014
    Monika Grütters
    In Deutschland spiele die Freiheit von Kultur und Wissenschaft eine große Rolle, so die Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) (dpa / picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Grütters forderte im DLF, dass jemand für die Verhandlungsdelegation auf der EU-Ebene benannt werde, der in den Verhandlungen für die Einhaltung der Interessen der Kultur zuständig sei.

    Das Interview in voller Länge:
    Stefan Koldehoff: "Verteidigt die Kultur" lautet der Titel einer Veranstaltung, die heute Abend in der Akademie der Künste in Berlin stattfindet, und dieser kategorische Imperativ ist sicher auch an die Dame gerichtet, die in knapp einer halben Stunde das Grußwort sprechen wird, an Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Es geht um das Freihandelsabkommen, das die EU-Kommission in Brüssel zurzeit mit den USA verhandelt, und um die Rolle der Kultur dabei. Zahlreiche kulturelle Spitzenverbände fürchten, dass Kultur künftig als Handelsware verstanden wird und dass nicht transparent darüber gesprochen wird. Alexander Skipis zum Beispiel, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, sagte gestern in diesem Programm:
    O-Ton Alexander Skipis: "Das ist auf der einen Seite diese unglaubliche Intransparenz der Verhandlungen und auf der anderen Seite aber auch das vorhandene hohe Interesse amerikanischer großer Internet-Unternehmen, allen voran Amazon und Google, das hohe Interesse daran, die Preisbindung in Deutschland und in Europa zu Fall zu bringen, weil das für sie das größte Hemmnis auf dem Weg zum richtigen Monopolisten ist. Sie sind ja schon fast Monopolisten, aber das wäre dann sozusagen die Vollendung des Werkes, und zwar des zerstörerischen Werkes für die Kultur. Das bedeutete nämlich, dass durch solche Unternehmen kulturelle Vielfalt und Qualität gnadenlos vernichtet werden würde, und das ist eben unsere Sorge, dass dieses hohe Interesse auf amerikanischer Seite besteht."
    Koldehoff: Und diese Sorge besteht nicht allein im Hinblick auf die Buchpreisbindung; auch Theatersubventionen oder das Urheberrecht könnten wirtschaftlichen Begehrlichkeiten zum Opfer fallen. Guten Abend, Frau Grütters!
    Monika Grütters: Guten Abend, Herr Koldehoff.
    Koldehoff: Was antworten Sie diesen Kolleginnen und Kollegen denn gleich, die da Bedenken haben?
    Grütters: Na, zunächst einmal, dass es schon richtig ist, dass sich hier zwei vollkommen verschiedene Gesellschaftsmodelle einander gegenüberstehen. Wir in Deutschland haben aus den Diktaturen des letzten Jahrhunderts gelernt, deshalb spielt Erinnerungskultur bei uns eine große Rolle und vor allem die Freiheit von Kultur und Wissenschaft, die wir durch staatliche Finanzierung sicherstellen wollen, um sie unabhängig zu machen vom Zeitgeist, vom Geschmack. Kultur muss kritisch, sperrig, heterogen sein, das kann sie nur, wenn der Staat sie dazu ermutigt, und das geht nur durch Finanzierung.
    In Amerika dagegen werden hauptsächlich Privatleute zur Finanzierung der Kultur durch gute Steuerregelungen ermutigt, weshalb wir es mit einer ganz anderen Ästhetik und auch mit einem anderen Kulturbegriff zu tun haben. Es heißt, es geht hier nicht um fiskalpolitische Kleinigkeiten, sondern ums große Ganze, das es zu verteidigen gilt und was sehr konkrete Ausformungen hat.
    "Ich bin sehr für ein Freihandelsabkommen"
    Koldehoff: Das klingt sehr kämpferisch. Das heißt, Sie stehen auf der Seite der Verteidiger?
    Grütters: Ich bin sehr für ein Freihandelsabkommen. Das muss man sagen. Ich glaube auch nicht, dass die Kulturwelt generell dagegen ist, denn es schafft wahnsinnig viele Arbeitsplätze. Unser Verhältnis zu Europa und zu den Vereinigten Nationen beruht auf ähnlichen und gleichen Werten. Da gibt es kein Pardon. Aber wir müssen natürlich gucken, dass es besondere Schutzklauseln eben für diesen Sonderbereich Kultur gibt. Das ist für die Kulturnation Deutschland wichtig. Und deshalb geht es zum Beispiel darum, dass wir keine neuen Liberalisierungsverpflichtungen über das hinaus möglich machen, was wir in der UNESCO-Konvention zum Schutz kultureller Vielfalt, der Deutschland 2007 beigetreten ist, die anderen EU-Länder mittlerweile übrigens auch, Amerika aber nicht, dass also diese Schutzklausel der UNESCO-Konvention wirklich gilt, die wir ausdrücklich ins Mandat hereinverhandelt haben.
    "Buchpreisbindung ermöglicht ja die große ästhetische Vielfalt"
    Koldehoff: Amazon und Google bestimmen auch künftig nicht, was in deutschen Buchhandlungen auf die Tische kommt?
    Grütters: Zum Beispiel sollen Amazon und Google nicht bestimmen, was auf deutsche Buchhandelstische kommt. Gerade die Buchpreisbindung ermöglicht ja die große ästhetische Vielfalt. Nur weil es Bestseller gibt, können auch die anspruchsvolleren belletristischen Werke gemacht werden, die eben nicht auf einem Riesenpublikum beruhen. Aber in Deutschland kommt auf 1.000 Einwohner eine Erstveröffentlichung eines Verlages. Das wäre zu Ende, wenn es nur nach Marktprinzipien ginge.
    Wir sind zum Beispiel auch der Meinung, weil es geht auch um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beispielsweise, um Verbraucherschutz, um tatsächlich Dinge wie den Jugendschutz, um einige Wettbewerbselemente auch beim Film und anderen Gütern, es geht darum, dass wir zum Beispiel eine Generalklausel in das Mandat hereinverhandeln wollen, das generell Kulturgüter wie die eben genannten unter Schutz stellt, denn den Amerikanern ist es gelungen, das für den Bereich ihrer nationalen Sicherheit als Generalklausel ins Mandat mitzunehmen.
    "Wir beschweren uns auch über mangelnde Transparenz"
    Koldehoff: Wie groß ist denn überhaupt der Spielraum für nationale Alleingänge? Alexander Skipis, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, hat gesagt, er wisse noch nicht mal, wer da überhaupt verhandelt, geschweige denn über was.
    Grütters: Ja, da hat Herr Skipis leider Recht. Wir beschweren uns auch über mangelnde Transparenz. Tatsächlich ist es so, dass die Verhandlungspartner nur sehr schwer an die Papiere kommen, die jetzt im Vorfeld ausgetauscht werden zwischen der EU-Kommission und den amerikanischen Verhandlern. Das wüssten wir gerne und dieser Zugang ist nicht gesichert. Ich möchte auch und habe deshalb die Kommissarin Vassiliou angeschrieben, dass jemand für die Verhandlungsdelegation auf der EU-Ebene benannt wird, der tatsächlich für die Einhaltung der Interessen der Kultur dann im Verlauf der Verhandlungen zuständig ist und darauf achtet. Auch das ist noch nicht ganz geklärt worden.
    Koldehoff: Frankreich hat bereits rote Linien definiert, die es nicht überschreiten wird. Stehen wir da an der Seite unserer Nachbarn?
    Grütters: Wir stehen nicht nur an der Seite unserer Nachbarn, sondern wir haben das zum Teil gemeinsam verhandelt, dass die audiovisuellen Medien vor die Klammern gezogen wurden, war eine gemeinsame Aktion. Das ist übrigens bei allen Freihandelsabkommen weltweit bisher der Fall. Also keine Sonderregelung, aber zum Glück eben auch hier. Und ich stimme mich eng mit meiner Kollegin Aurélie Filippetti ab, die ich in Cannes am vergangenen Wochenende getroffen habe, und auf unseren Wunsch hin ist morgen beim Kulturministerrat in Brüssel tatsächlich das Thema TTIP auf die Tagesordnung zwischen den Kulturministern gekommen, damit wir da tatsächlich gemeinsame rote Linien beschreiben.
    Koldehoff: Kampf gegen ein Verständnis von Kultur als industrielle Ware - Monika Grütters war das, Kulturstaatsministerin im Bundeskanzleramt. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.