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Freihandelsabkommen TTIP
"Großkonzerne nicht verteufeln"

"Phasenweise" könne man die Debatte um den Investorenschutz im Zusammenhang mit CETA und TTIP "schon als hysterisch" bezeichnen, sagte Gabriel Felbermayr, Leiter des Zentrums für Außenwirtschaft beim ifo-Institut München, im DLF. Schließlich seien die USA ebenso wie Kanada Rechtsstaaten.

Gabriel Felbermayr im Gespräch mit Peter Kapern | 01.12.2014
    Containerschiffe kurz nach Sonnenuntergang im Hamburger Hafen am Terminal Burchardkai
    Die Bundesregierung forciert den Abschluss von Freihandelsabkommen - damit Deutschland Exportweltmeisternation bleibt. (dpa / Daniel Reinhardt)
    Bei den Kritikern des Investorenschutzes schwinge schon sehr grundsätzliche Kritik an der Bedeutung von "Multis" für die Weltwirtschaft mit. Zwar brauche es Regeln, wie Marktmissbrauch zu beenden sei. Man dürfe Großkonzerne aber nicht per se verteufeln, betont Felbermayr.
    Im Bereich des Investorenschutzes sei ein echter internationaler Gerichtshof, ein "internationaler Staatsgerichtshof", wünschenswert. Jetzt noch einmal das CETA-Abkommen zu korrigieren, berge die Gefahr, dass es ganz auseinanderfalle. Tendenziell lege die Globalisierung nahe, überbordende Regulierungen zurückzufahren, führte der Wirtschaftsexperte aus.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Zoff bei der SPD. Parteichef Sigmar Gabriel hat vergangene Woche im Bundestag gesagt, das Freihandelsabkommen mit Kanada sei unter Dach und Fach und der darin enthaltene umstrittene Investorenschutz sei nicht mehr zu kippen. Jetzt geht die Parteilinke auf die Barrikaden, zum Beispiel der stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner am vergangenen Freitag hier im Deutschlandfunk.
    Ralf Stegner: "Investorenschutz ist ja in Ordnung, aber es darf am Ende nicht so sein, dass Konzerne sich gegen Parlamente durchsetzen können. Politik muss den Primat behalten. Es darf nicht ein großer Tabak-Konzern oder ein Atom-Konzern am Ende eine Parlamentsentscheidung übertrumpfen."
    Kapern: Mittlerweile hat Sigmar Gabriel eingelenkt. Die Partei soll über das Handelsabkommen beraten und entscheiden. - CETA - die Abkürzung steht für Comprehensive Economic and Trade Agreement, also für umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen. Abschließen wollen es die Europäische Union und Kanada.
    Fünf Jahre lang haben beide Seiten verhandelt, 500 Seiten stark ist der Vertrag, der dabei herausgekommen ist, und er könnte nun unterzeichnet werden, wenn, ja wenn Teile der SPD Teile dieses Vertrages nicht für reines Teufelszeug halten würden.
    Insbesondere das Kapitel, das sich mit dem Investorenschutz befasst, bringt die Kritiker auf die Palme. Worum geht es? - Investoren, die der Meinung sind, von Regierungen willkürlich und rechtswidrig behandelt zu werden, bekommen damit das Recht, Schiedsgerichte anzurufen, um sich zur Wehr zu setzen. Ist das tatsächlich eine Gefahr für die Demokratie? - Bei uns am Telefon ist Gabriel Felbermayr, der Außenwirtschaftsexperte des ifo-Instituts an der Universität in München. Guten Morgen!
    Gabriel Felbermayr: Guten Morgen.
    "Es werden grundsätzliche Überlegungen ausgeblendet"
    Kapern: Herr Felbermayr, die Debatten, die da derzeit um das Freihandelsabkommen mit Kanada, aber auch um das TTIP-Abkommen mit den USA geführt werden, wie erscheinen die einem Wirtschaftswissenschaftler: Als engagiert, oder phasenweise gar als hysterisch?
    Felbermayr: Eher phasenweise schon als hysterisch. Es werden grundsätzliche Überlegungen ausgeblendet, wie zum Beispiel die einfache Tatsache, dass Deutschland Weltmeister ist beim Kapitalexport. Kein Land der Welt bringt so viel Ersparnisse ins Ausland und ist deswegen auch in diesem Ausmaß abhängig davon, dass wir gerecht und fair behandelt werden. Und wenn wir die Rahmenbedingungen für solche Investitionen verbessern können, dann ist das für Deutschland ein wichtiges und grundlegendes Anliegen.
    Kapern: Also der Investitionsschutz ist im Interesse deutscher Unternehmen, die in Kanada - bleiben wir beim Beispiel CETA - investieren wollen?
    Felbermayr: Ja, und nicht nur der Unternehmen selber, sondern vor allem natürlich der Eigentümer dieser Unternehmen, und damit sind sehr viele Deutsche betroffen: Die Kleinaktionäre, die Pensionsfonds, die Arbeitnehmer, die in diesen Unternehmen in Deutschland beschäftigt sind, und so weiter.
    Felbermayr: Spezielle Systeme für Investoren sind nicht notwendig
    Kapern: Aber nun muss man doch einfach mal konstatieren, würde ich sagen, dass Kanada ein funktionierender Rechtsstaat ist, ebenso wie die EU-Staaten oder die USA. Warum muss es dann für Investoren so was wie ein Biotop einer Paralleljustiz geben? Warum braucht es außerstaatliche Schiedsgerichte?
    Felbermayr: Ja, das ist eine gute Frage, und hier sind wir an einem zentralen Punkt, denn einerseits ist es wohl gut, wenn diese Abkommen Investitionsschutz beinhalten. Ich denke, da gibt es auch keinen großen Streit darüber, sondern die Frage ist, wie werden die Rechte der Investoren durchgesetzt. Und hier gibt es durchaus Alternativen.
    Es muss nicht Investor Staat sein; es könnte auch Staat-Staat-Verfahren geben. In den anderen Bereichen von CETA, also in denen, die nichts mit Investitionsschutz zu tun haben, ist ja ohnehin Staat-Staat-Schiedsgerichte vorgesehen.
    Auch die WTO geht so vor. Aus unserer Sicht gibt es keine Notwendigkeit, hier für Investoren spezielle Systeme zu schaffen. Es ist natürlich auch so, dass das Abkommen mit Kanada nicht im luftleeren Raum steht. Die EU verhandelt gleichzeitig mit China. Da ist Investitionsschutz ein sehr viel wichtiges Thema. Und die große Frage steht im Raum, wie man das Verhältnis des Staates mit Investoren prinzipiell regeln will.
    "Es gäbe andere Wege, um die Rechte der Investoren durchzusetzen"
    Kapern: Nur damit ich sicherstelle, dass ich das jetzt richtig verstanden habe: Investitionsschutz, sagen Sie, ist notwendig, aber diese umstrittenen Schiedsgerichte, die außerstaatlich funktionieren, die braucht es eigentlich gar nicht?
    Felbermayr: Es gäbe andere Wege, um die Rechte der Investoren durchzusetzen. Ja! Das kann über die nationalen Gerichte gehen selbstverständlich, das kann über Verfahren gehen, die zwischen den Staaten laufen, und es kann eben auch spezielle Klagerechte für Investoren geben, die dann Investor-Staatsschiedsgerichtsbarkeiten begründen, aber das sind nur Möglichkeiten aus einem größeren Set von Optionen.
    Kapern: Das heißt, dieses CETA-Abkommen, das da nun eigentlich unterschriftsreif vorliegt, könnte in diesem Punkt, so wie es ja die Kritiker in der SPD fordern, noch korrigiert werden?
    Felbermayr: Na ja, in der Sache würde ich es mir wünschen, auch weil wir hier einen Goldstandard setzen wollen mit CETA. Dieses Abkommen soll ja auch für zukünftige Abkommen ein Beispiel setzen. Deswegen sollten wir es hier wirklich richtig machen.
    Das Problem ist natürlich: Wenn man beginnt, hier ein Paket aufzuschnüren, das man fünf Jahre lang verhandelt hat, das 500 Seiten hat, 800 Seiten Appendix, wenn man da beginnt zu ändern, dann kann es sein, dass das Ganze Vertragswerk auseinanderfällt.
    Hier sind also Risiken da. Die Frage ist, ob der Schaden aus den Bestimmungen, so wie sie heute hingeschrieben sind, so groß wäre, dass man riskieren möchte, dass das Ganze Abkommen auseinanderfällt.
    Kapern: Ob man nun den Investorenschutz so oder so regelt, sei nun mal für einen Moment dahingestellt. Fest steht ja: Die Kritiker eines solchen Investorenschutzes sagen, die Androhung von gigantischen Entschädigungen, die man dann einklagen könnte als Investor, würden dafür sorgen, dass Regierungen notwendige Gesetze etwa im Umwelt- oder im Verbraucherschutz gar nicht mehr umsetzen können, wenn sie die Gefahr vermeiden wollen, zur Kasse gebeten zu werden.
    Anders ausgedrückt: Der Investorenschutz beendet das Primat der Politik. Teilen Sie die Befürchtung?
    Felbermayr: Nein. Beenden tut er das Primat der Politik sicherlich nicht. Das halte ich für eine große Übertreibung.
    Natürlich haben alle internationalen Abkommen eines gemeinsam: Sie beschränken den Handlungsfreiraum der Politik. Das ist zweifellos so. Die Frage ist, ob das immer schlecht ist. Wenn sich eine Regierung etwas genauer Gedanken machen muss, wie man zum Beispiel den Energieausstieg organisiert, dann ist das nicht notwendigerweise schlecht für die Gesellschaft selber.
    Kapern: Aber könnte es nicht dazu führen, dass etwas, was gesellschaftlich als sinnvoll erachtet wird, nämlich die Energiewende, dann unmöglich gemacht wird?
    Felbermayr: Unmöglich ist es ja nicht. Was diese Investitionsschutz-Abkommen verlangen ist, dass ausländische Konzerne gleich behandelt werden wie inländische, dass sie nicht diskriminiert werden, und dass bei Enteignungen kompensiert wird.
    Dieses Kompensationsrecht hätten die Investoren sowieso, nämlich auch über die normalen Durchsetzungswege in unseren Gesellschaften. Der Fall Vattenfall, der in aller Munde ist: Da wird geklagt über ein Investor-Staat-Schiedsgericht. Aber E'ON und RWE klagen über die normalen deutschen Gerichte. Wenn es Dinge gibt, die geändert werden in der Regulierung, die Konzerne benachteiligen, dann werden sich die auf jeden Fall wehren können über den einen oder den anderen Weg.
    Kapern: Schauen wir noch mal auf die, sagen wir mal, Motivlage der Kritiker am Investorenschutz. Steckt hinter deren Kritik möglicherweise so etwas wie die Auffassung, dass Großkonzerne ganz von den Segnungen des Rechtsstaats ausgeschlossen sein sollen und sich eigentlich jeder politischen Entscheidung beugen müssen?
    Felbermayr: Ja, den Eindruck habe ich. Es ist eine sehr grundsätzliche Kritik, die hier mitschwingt, am marktwirtschaftlichen System und an der Bedeutung von Multis in der Weltwirtschaft, und man kann da durchaus auch manche Bedenken teilen.
    Was wir uns hier wünschen würden am ifo-Institut ist, dass diese Abkommen, die geschrieben werden, die modernen, CETA, TTIP, das Abkommen mit Japan vielleicht auch, dass die schärfere Bestimmungen enthalten im Bereich Wettbewerbsrecht, dass man mehr in die Hand bekommt, um zu verhindern, dass Großkonzerne ihre Marktpositionen ausnutzen. Das wäre wichtiger, als sich hier jetzt beim Thema Investor-Staatsschiedsgerichtsbarkeit zu verkämpfen.
    "Wir brauchen in diesen Abkommen Regeln, wie man den Marktmissbrauch beenden kann"
    Kapern: Ist es nicht, Herr Felbermayr, verständlich, wenn die Menschen die Macht der Multis kritisieren, weil sie die Lektionen der Vergangenheit, der letzten Jahre so drastisch lernen mussten?
    Felbermayr: Ja, natürlich ist es verständlich. Darum sagen wir auch, wir brauchen in diesen Abkommen Regeln, wie man den Marktmissbrauch beenden kann, wenn es solchen gibt. Wenn ein Monsanto oder Pioneer Monopolmacht missbraucht, dann muss es da, wie auch im deutschen Recht und im europäischen Recht, Regeln geben, diesen Missbrauch zu beenden und zu sanktionieren. Das heißt, man sollte solche Klauseln in CETA haben, auch in TTIP haben.
    Das heißt aber nicht, dass man prinzipiell Großkonzerne verteufelt.
    Kapern: Sigmar Gabriel, der SPD-Chef, hat ja noch ein anderes vollmundiges Versprechen abgegeben in einem "Spiegel"-Interview. Ich zitiere mal: "Kein Freihandelsabkommen der Welt kann deutsche oder europäische Gesetze aushebeln." Das ist seine Antwort auf die Sorgen vieler Bürger, dass etwa Verbraucher- oder Arbeitnehmerrechte ausgehöhlt werden können durch diese Handelsabkommen. Glauben Sie, Gabriel liegt damit richtig?
    Felbermayr: In dem CETA-Abkommen gibt es einen Paragrafen 1036. Der sagt, dass das, was immer in Schiedsgerichten entschieden wird, nicht dazu führen darf, dass Maßnahmen, die in Parlamenten beschlossen wurden, aufgehoben werden müssen. Wenn man sich den Text ansieht, dann hat er wahrscheinlich schon Recht.
    Die Frage ist nicht, ob tendenziell durch die Globalisierung man nicht in bestimmten Bereichen überbordende Regulierung zurückfahren muss, oder sich auch in bestimmten Bereichen überlegen muss, ob Schutzrechte, sage ich mal, für Arbeitnehmer, für die Umwelt, für die Gesundheit im Einklang stehen mit anderen Interessen Deutschlands, mit der Wettbewerbsfähigkeit und solchen Dingen, und wie man diese beiden Ziele, zum einen den Schutz, die berechtigten Schutzanliegen, und zum anderen die Verteidigung unserer Rolle in der Weltwirtschaft vereinbaren kann. Das ist die große Frage hier.
    Internationaler Staatsgerichtshof muss das Ziel sein
    Kapern: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann gibt es da ja doch durchaus einiges, was Sie an diesem CETA-Abkommen noch für verbesserungswürdig halten?
    Felbermayr: Ja, das kann man sagen. Was wir uns wünschen würden im Bereich Investorenschutz ist, dass man weg kommt von diesen Tausenden bilateralen Verträgen - CETA ist jetzt wiederum nur der nächste - und man hinkommt zu einer echten Schiedsgerichtsbarkeit, ein echter Gerichtshof, ein internationaler, mit vollzeitlichen Richtern, die auch eine gewisse Legitimität haben, also eine Art internationaler Staatsgerichtshof. Das wäre das Ziel.
    CETA geht auf diesen Weg nicht, sondern hier wird versucht zu verbessern. Ja, das muss man zugestehen. Aber es bleibt dabei, einen bilateralen Vertrag zu machen, und die Legitimationsprobleme dieser Schiedsgerichte bleiben auch in CETA mit all den Anstrengungen, die die Kommission gemacht hat - das muss man zugestehen -, bestehen.
    Kapern: Dann sollte man es besser nicht unterschreiben, oder?
    Felbermayr: Na ja, wie gesagt: Ich habe Ihnen schon vorher gesagt, wenn man jetzt versucht, CETA auseinanderzudividieren und hier noch Last-Minute-Veränderungen einzubauen, dann läuft man Gefahr, dass das Ganze Vertragswerk zusammenfällt. Und man muss sich genau überlegen, ob der Schaden aus dem nicht Abschließen eines CETA verhältnismäßig ist im Vergleich zu dem Nutzen, den man erhält, wenn man hier wegen des Investoren-Schiedsgerichts Stopp schreit.
    Kapern: Gabriel Felbermayr war das, der Außenwirtschaftsexperte des ifo-Instituts an der Universität in München. Herr Felbermayr, danke, dass Sie heute Früh Zeit für uns hatten. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen.
    Felbermayr: Sehr gerne. Auf Wiederhören!
    Kapern: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.