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Freihandelsabkommen TTIP
"Scheitern der Verhandlungen wäre kein Weltuntergang"

"Wir wollen versuchen, das Beste rauszuholen, und wenn die Amerikaner sich nicht bewegen, dann geht es halt nicht", sagte der SPD-Europapolitiker Bernd Lange im DLF über die TTIP-Verhandlungen. Solange die USA auf Schiedsgerichten und sinkenden Lebensmittelstandards beharrten, werde er dagegen stimmen.

Bernd Lange im Gespräch mit Martin Zagatta | 18.04.2015
    Der SPD-Europapolitiker Bernd Lange.
    Der SPD-Europapolitiker Bernd Lange. (Imago / IPON)
    Martin Zagatta: Ein Bericht von Anke Petermann, und mitgehört hat der SPD-Politiker Bernd Lange, Europaabgeordneter, TTIP-Berichterstatter im Europaparlament, Vorsitzender des Handelsausschusses dort im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Lange!
    Bernd Lange: Guten Morgen!
    Zagatta: Herr Lange, gehen Sie heute auch auf die Straße?
    Lange: Nein, ich gehe nicht auf die Straße, aber ich diskutiere heute viel.
    Zagatta: Ja, ich frage deshalb, weil Ihre Partei ja da sehr gespalten scheint. Also die Hälfte in der SPD, die scheint für TTIP, bei den Protesten heute, denke ich, werden auch viele von der SPD wahrscheinlich mit dabei sein.
    Lange: Es ist ja richtig, dass man sehr kritisch Handelsabkommen diskutiert, weil sie unser gesellschaftliches Leben beeinflussen. Bei TTIP muss man natürlich sagen: Es gibt ja noch keinen ausgehandelten Text, und insofern kann ich auch noch nicht sagen, ob ich dafür oder dagegen bin. Ich versuche, vernünftige Regelungen in das Abkommen hineinzubekommen, und die Punkte, die eben genannt sind, die gehen natürlich in gar keiner Weise: außergerichtliche Schiedsstellen oder Absenkung von Standards in der Lebensmittelsicherheit. Also insofern nutze ich diese Diskussion, um den Prozess nach wie vor zu beeinflussen – und darum geht es ja. Und dann wird am Ende des Tages abgestimmt, ob das ein gutes Abkommen ist, dann können wir zustimmen, wenn es ein schlechtes ist, werden wir es ablehnen.
    Zagatta: Da soll Ihr Parteivorsitzender, der Sigmar Gabriel, unlängst aber gesagt haben, der Wirtschaftsminister, zumindest so wird er zitiert, man werde sich ja nicht mit jedem Einwand durchsetzen können. Bedeutet das, die SPD-Führung beziehungsweise auch die Bundesregierung will dieses Abkommen?
    Lange: Na, zumindest lohnt es sich, zu verhandeln, weil es viele unnötige Doppelarbeit gibt. Es gibt Behinderungen von Exporten aus Deutschland, es gibt Einschränkungen der Möglichkeiten für Architekten, für Ingenieure, es gibt zum Teil auch Zölle, zum Beispiel der VW-Bus ist als landwirtschaftliches Fahrzeug eingestuft mit 25 Prozent Zoll – also da lohnt es sich, zu verhandeln, um wirtschaftliche Entwicklung zu stabilisieren, aber auch globale Standards zu setzen, also wenn es um Arbeitnehmerrechte und Umweltstandards geht. Und da müssen wir gucken, ob wir das durchsetzen können. Im Moment sehe ich eine sehr geschlossene Haltung in der Europäischen Union, ich sehe im Moment aber wenig Bewegung aufseiten der Vereinigten Staaten, und das ist im Moment das zentrale Problem. Sicherlich gibt es da unterschiedliche Haltungen, aber da muss man eben mit Macht versuchen, die eigenen Interessen durchzusetzen.
    Zagatta: Die privaten Schiedsgerichte, die Sie anfangs angesprochen haben, also diese Schiedsgerichte, auf die die Amerikaner ja offenbar bestehen wollen, sind die der größte Knackpunkt?
    Lange: Das ist ein großer Streitpunkt. Ich finde, die sind völlig überflüssig. Das Prinzip, Investitionen zu sichern, ist, glaube ich, richtig, dass es keine Besser- oder Schlechterstellung von ausländischen Investoren gibt, also eine Gleichbehandlung inländisch und ausländisch, und das kann sichergestellt werden durch nationale Gerichtsbarkeit, da brauchen wir keine alten Instrumente, die ganz viele Schwachstellen und Gefährdungen haben. Nebenbei: Die Vereinigten Staaten haben jüngst ein Abkommen mit Australien abgeschlossen ohne diese außergerichtlichen Schiedsstellen. Also da sollten wir konsequent bleiben und sagen: So was wollen wir nicht.
    Zagatta: Wenn es um TTIP geht, dann hören wir ja immer: Wir wollen das auch nicht, also wir wollen kein Chlorhühnchen, heißt es immer, oder auch keinen Schwarzwälder Schinken aus den USA. Sind diese ...
    Lange: Ja, der kommt auch nicht. Es geht mir beim Schwarzwälder Schinken darum, dass der Schwarzwälder Schinken, der in den USA verkauft wird, auch aus dem Schwarzwald kommt, und nicht der Black Ham aus Ohio. Also es geht mehr um unsere Exportinteressen und den Schutz von regionalen Strukturen hier bei uns.
    Zagatta: Und das Chlorhühnchen?
    Lange: Das kommt nicht, weil wir ganz klare Lebensmittelsicherheitsstandards haben. Es kommt auch kein Hormonfleisch, kein Klonfleisch und kein gentechnisch verändertes Fleisch – 100-prozentig.
    Zagatta: Herr Gabriel, Ihr Parteivorsitzender, der soll jetzt gerade auch wieder gesagt haben, er glaube gar nicht an ein wundersames oder großes Wachstum durch TTIP. Was wären denn dann die Vorteile überhaupt, wenn nicht Wachstum?
    Lange: Ja, mit dem Wachstum, das kann man ja in ... Ein Handelsabkommen, wissen Sie, das wirkt langfristig, das muss umgesetzt werden, die Produktion und so weiter, und so weiter. Das kann man überhaupt nicht prognostizieren auf 15 Jahre. Da sind so viele andere makroökonomische Einflüsse. Also man muss sehen: Zum einen setzt man Standards, und das ist in einer, sagen wir mal, falsch gemanagten Globalisierung notwendig. Wir müssen klare Verpflichtungen über Mindeststandards bei Arbeitnehmerrechten, bei Umweltstandards setzen. Und wenn zwei Blöcke, die etwa 50 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts und fast die Hälfte des globalen Handels umfassen, dann ist das standardsetzend. Und zum Zweiten haben wir globale Wertschöpfungsketten. Es ist ja nicht mehr so, dass das eine Land Schuhe produziert und das andere Mäntel und es wird getauscht, wie der Ricardo das vor 200 Jahren sich mal vorgestellt hat. Ich glaube sowieso nicht, dass das gestimmt hat. Aber heutzutage haben wir globale Wertschöpfungsketten. Bei dem deutschen Export ist etwa 40 Prozent Importanteil, und da müssen wir sehen, dass wir hohe Standards und sichere Lieferketten haben.
    Zagatta: Herr Lange, wie schlimm wäre das, wenn die Verhandlungen scheitern?
    Lange: Das wäre kein Weltuntergang. Wir wollen versuchen, das Beste rauszuholen, und wenn die Amerikaner sich nicht bewegen, dann geht es halt nicht.
    Zagatta: Auf europäischer Seite – wer entscheidet da letztendlich eigentlich? Sind es dann die Regierungen, also der Rat, oder hat das Parlament ...
    Lange: Das Europäische Parlament.
    Zagatta: Sagen Sie.
    Lange: Na klar, weil in der letzten Legislatur haben wir 61 Handelsabkommen beschlossen, kleine, große, ein paar wichtige, ein paar unwichtige – aber wir haben auch zwei abgelehnt, einmal eins mit Marokko, weil die Interessen der westsaharischen Bevölkerung da nicht berücksichtigt worden sind, und zum Zweiten das ACTA-Abkommen, wo es um den Schutz geistigen Eigentums im Internet gehen sollte, aber mit vielen Einschränkungen und eben Fehlern. Sie sehen: Das Europäische Parlament ist ein waches demokratisches Gewissen.
    Zagatta: Und wenn da die Regierungschefs sagen würden, das ist unsere Sache? Parlament, gut wir hören euch an, aber wir entscheiden?
    Lange: Nein.
    Zagatta: Das wäre nicht möglich?
    Lange: Nein, nein. Die endgültige Entscheidung hat das Europäische Parlament, und das ist, glaube ich, ... Seit 2009 ist das so, und das ist ganz, ganz wichtig.
    Zagatta: Das heißt, das Parlament hat so viel jetzt mitzureden. Wie sehen Sie da heute die Proteste überhaupt? Sie sagen ja, man ist in so vielen Punkten noch am Verhandeln, Sie selbst wissen noch gar nicht, ob Sie dem Abkommen dann zustimmen werden, ob sie es empfehlen werden oder nicht – bringen da die Proteste jetzt überhaupt schon was oder ist das völlig verfrüht?
    Lange: Nein, ich finde das richtig. Man muss natürlich immer die Interessen formulieren, und das finde ich bei der ganzen Diskussion superklasse, dass endlich Handelsverträge, Verhandlungen so aus dem Geheimzimmer und aus dem Kaminzimmer rauskommen und breit in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Das ist klasse. Und das muss die Verhandlungen auch so begleiten. Natürlich, diese Verhandlerinnen und Verhandler, wenn die merken, da kommt Druck von außen, dann ist natürlich eine Beeinflussung ihrer Handlungsstrategie da und das merken wir sehr deutlich: Wir haben im Parlament ordentlich Druck gemacht, die Diskussion von außen ist gekommen – und das hat Auswirkungen auf die Positionierung der europäischen Verhandlerinnen und Verhandler.
    Zagatta: Sieht man dann überhaupt da von den Leuten, die jetzt da auf die Straße gehen, ... gibt es da überhaupt Transparenz? Also es ist doch gar nicht klar, was da alles veröffentlicht wird, was nicht veröffentlicht wird.
    Lange: Wir haben durchgesetzt, dass seit 1. Januar die Verhandlungsdokumente der EU veröffentlicht werden, und zwar auch nach jeder Verhandlungsrunde. Also in der übernächsten Woche werden die Verhandlungsdokumente, die jetzt auf den Tisch gelegt werden, auch veröffentlicht. Also da ist ein großes, großes Maß an Transparenz inzwischen erreicht worden. Das war ja so ein Kommunikations-Super-GAU, dass das nicht gleich von Anfang an so gemacht worden ist. Und dann kann man in der Tat in den Texten gucken: Ist eigentlich unsere europäische Position ordentlich vertreten worden oder gibt es da Schwachstellen? Muss nachgebessert werden? Und das finde ich genau richtig. Insofern muss man, glaube ich, so als kritischer Geist eben auch mal feststellen, dass manche Dinge, um die gestritten wird, vielleicht gar nicht Gegenstand der Verhandlung sind. Also die ganze Frage der Kultur, die wird ja auch sehr stark diskutiert, Buchpreisbindung: Das ist eindeutig nicht in der Verhandlungen und Gegenstand. Diese Dinge sind eindeutig ausgeschlossen. Aber was Lebensmittelstandards anbetrifft, Verbraucherstandards, was diese Schiedsstellen anbetrifft, da muss man wachsam sein und die kritische Stimme erheben.
    Zagatta: Und noch ganz kurz, Herr Lange: Eigentlich sollte das Abkommen ja noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Das ist ja wahrscheinlich jetzt nicht mehr realistisch. Wann, ganz grob, rechnen Sie mit einem Abschluss?
    Lange: Das hängt sehr stark von dem Verhalten der Amerikaner ab. Im Moment sind die sich ja total uneins, was sie wollen. Und dann kommt der Präsidentschaftswahlkampf. Also wenn es nicht gelingt, bis Frühjahr nächsten Jahres was auf die Beine zu stellen, dann kommen erst die Präsidentschaftswahlen und dann wird es, was weiß ich, 2017, 2018.
    Zagatta: Meint der SPD-Europapolitiker Bernd Lange. Herr Lange, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
    Lange: Ja, gerne! Alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.