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Freiheit auf kubanisch

Die neue Reisefreiheit in Kuba hat ein paar Fußangeln. Nicht jeder kann problemlos ins Ausland fliegen. Freiheiten gewährt die Revolutionen nur denen, die ihr bedingungslos folgen.

Von Peter B. Schumann | 17.10.2012
    Kuba ist ein freies Land. Das hat die Regierung immer wieder betont und sich von Anfang an die Freiheit genommen, dies klarzustellen. Kurz nach der Revolution hat sie die Grenzen weit geöffnet, damit jeder, der nicht mit dem Projekt einverstanden war, die Insel verlassen konnte. Mehr als eine halbe Million Kubaner emigrierten damals. Wenig später - 1961 - hat Fidel Castro mit seinen berühmten "Worten an die Intellektuellen" auch die ideologischen Schranken abgesteckt: "Für die Revolution alles, gegen die Revolution nichts."

    Die liberalen Freigeister, darunter einige der bedeutendsten Schriftsteller, verließen die Insel. Als die intellektuelle Unruhe Ende der 60er Jahre wieder zunahm, mussten ein paar kritische Gedichte von Heberto Padilla herhalten, um an diesem großen Poeten ein Exempel zu statuieren. Der Fall war der Auftakt zu einer noch gründlicheren Säuberung der Revolution im sog. Quinqueño Gris‘, dem Grauen Jahrfünft, wie die grauenhafte, die stalinistische Phase des Regimes offiziell bemäntelt wurde.

    Doch nicht nur für die Meinungsfreiheit hat die Regierung entsprechend der politischen Konjunktur immer wieder neue Definitionen finden müssen. Auch die Bewegungsfreiheit hat sie oft vor besondere Herausforderungen gestellt. Die Ausreise, die jeder unbescholtene Bürger in einem demokratischen Land nach Gutdünken antreten kann, bedurfte in den staatssozialistischen Systemen jeglicher Couleur stets eines Visums. Wer sie ohne Genehmigung, also unter Verletzung der Staatsgrenzen durchführen wollte und sich dabei erwischen ließ, wurde weggesperrt.

    Das war 1980 in Kuba etwas schwierig. Denn damals versuchten Zehntausende der dramatischen Wirtschaftskrise und den Massenentlassungen und natürlich auch der Diktatur zu entfliehen. Fidel Castro sah sich gezwungen, den kleinen Hafen Mariel für die Flottille der aus Miami ankommenden Boote zu öffnen, und 125.000 Kubaner nutzten die einmalige Gelegenheit. Ausgeschifft wurden aber auch hunderte Krimineller, die der Máximo Líder auf diese Weise loswerden wollte.

    Als die nächste Krise Anfang der 90er Jahre die Existenz des Regimes und die Versorgung der Bevölkerung bedrohte, versuchten Tausende unter Lebensgefahr auf selbstgebauten Flößen einer Revolution zu entfliehen, die es in Jahrzehnten noch nicht einmal geschafft hatte, die Menschen ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versehen. Viele dieser sog. Balseros starben auf dem Exodus.

    Und nun hat Bruder Raúl endlich in seinem steten Reformeifer die rechtliche Grundlage geschaffen, um das Ausreise-Visum zu beseitigen. Die Verordnung hat nur - wie die meisten seiner Reformen - ein paar Fußangeln. Der Normalbürger braucht zwar jetzt nur noch einen Pass, doch der wird nur jenen zugeteilt, die sich als ordentliche Angehörige des Gemeinwesens erwiesen haben, also beispielsweise nicht als Dissidenten aktenkundig wurden. Doch selbst Sportler, Mediziner, Wissenschaftler oder Fachkräfte benötigen nach wie vor eine Sondergenehmigung. So will das Regime "das von ihm geschaffene Humankapital schützen" - wie das Parteiorgan Granma formuliert. Und natürlich kann das Dokument "aus öffentlichem Interesse" auch abgelehnt werden.

    Die kubanische Verfassung garantiert eigentlich alle Freiheiten. Doch die Revolution gewährt sie nur jenen, die ihr bedingungslos folgen.