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Freilassung Peter Steudtner
Freude und viele Fragezeichen

Erleichterung und Freude, aber auch Dankbarkeit gegenüber Alt-Kanzler Gerhard Schröder, der bei der Freilassung eine entscheidende Rolle gespielt haben soll: Welche Auswirkungen die Freilassung von Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner aber für das deutsch-türkische Verhältnis haben könnte, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Von Paul Vorreiter | 26.10.2017
    Peter Steudtner verlässt das Gefängnis in Silivri. Im Hintergrund sind Sperranlagen und die Haftanstalt zu sehen.
    Peter Steudtner verlässt das Gefängnis in Silivri. (YASIN AKGUL / AFP)
    Der Albtraum hat ein Ende, sagte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller. Der SPD-Politiker freue sich, dass Peter Steudtner schon heute wieder in Berlin sein werde.
    Müllers Parteifreund, Alt-Kanzler Gerhard Schröder, hat bei der Freilassung des 45-Jährigen eine zentrale Rolle gespielt. Außenminister Sigmar Gabriel bedankte sich in einem Gespräch mit dem Magazin "Spiegel" bei Schröder für die Vermittlung in dem Fall. Der Altkanzler soll den türkischen Staatspräsidenten Erdogan auf Steudtner angesprochen und erreicht haben, dass der Menschenrechtler aus der Haft entlassen wird, berichtet das "Redaktionsnetzwerk Deutschland". Bundesaußenminister Gabriel habe Schröder als Vermittler eingeschaltet und dieses Vorgehen vorab mit Kanzlerin Angela Merkel besprochen, heißt es in dem Bericht weiter.
    Reaktionen aus der Jamaika-Sondierung
    Die Nachricht von der Freilassung des 45-Jährigen und sieben weiterer Menschenrechtsaktivisten platzt mitten in die Sondierungsgespräche von CDU/CSU, Grünen und FDP. Grünen-Parteichef Cem Özdemir, heute vor Beginn der Verhandlungen:
    "Wir haben uns sehr gefreut, als gestern Nacht die Nachrichten kamen, dass Peter Steudtner endlich frei kommt. Er saß zu Unrecht in einem türkischen Gefängnis - um die drei Monate herum. Es ist jetzt aber auch Zeit, dass man daran erinnert, dass es nach wie vor widerrechtlich in der Türkei inhaftierte deutsche Staatsbürger gibt. Auch die müssen freigelassen werden."
    FDP-Generalsekretärin Nicola Beer sieht mit der Freilassung Steudtners keine Kehrtwende bei Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei. Für einen EU-Beitritt müsse das Land alle Kriterien erfüllen, was aber auf absehbare Zeit nicht gegeben sei, sagte die FDP-Politikerin. Beer verdeutlicht die Position ihrer Partei: Keine weiteren EU-Beitrittskapitel sollten geöffnet oder geschlossen werden.
    Bei dem vergangenen Treffen der Sondierer vor zwei Tagen hatten sich Union, FDP und Grüne auf keine gemeinsame Europapolitik einigen können. Den Ausschlag dafür gab die Frage, wie mit der Türkei umzugehen ist. Die CSU drängt auf ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen. Die Grünen dagegen wollen es bei den auf Eis gelegten Verhandlungen belassen. Heute diskutieren die vier Parteien noch einmal darüber.
    AI: Augenmerk nicht allein auf deutsche Inhaftierte lenken
    Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International fordert die jetzige und auch die künftige Bundesregierung dazu auf, sich für die Wahrung der Menschenrechte in der Türkei einzusetzen und dabei nicht nur deutsche Inhaftierte zu berücksichtigen. Mit Blick auf die Sondierungen sagte Amke Dietert, Türkei-Expertin bei der deutschen Sektion von Amnesty:
    "Wir sagen nicht, welches Land Mitglied in welchem Bündnis sein soll. Natürlich in den Diskussionen wird es unweigerlich eine Rolle spielen und es gibt natürlich auch die Menschenrechtskriterien für einen EU-Beitritt und da wünschen wir uns natürlich auch, dass diese Kriterien eingehalten werden."
    Ein Gericht in Istanbul hatte am späten Abend angeordnet, Steudtner aus der Untersuchungshaft freizulassen. Auch sieben weitere Menschenrechtsaktivisten sind vorläufig auf freien Fuß gesetzt worden. Unter ihnen die Direktorin von Amnesty International in der Türkei, Idil Eser.
    Prozess geht am 22. November weiter
    Der Prozess gegen Steudtner und andere Menschenrechtler geht am 22. November weiter. Den Angeklagten wird die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation beziehungsweise die Unterstützung einer solchen Organisation zur Last gelegt, was mit zu 15 Jahren Haft bestraft werden könnte. Zurück in Deutschland wird das für Steudtner voraussichtlich keine Auswirkungen haben.