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Freizeitpark Alpen (4/5)
Wenn die Alm ins Tal kommt

Die Interessen von Tourismus und Landwirtschaft sind nicht leicht zu vereinbaren. In Mayrhofen im touristisch stark beanspruchten Zillertal haben eine Käserei und ihre Zulieferer eine spezielle Symbiose gefunden: Sie inszenieren ihre Produktion erfolgreich als Touristenattraktion.

Von Antonia Kreppel | 25.01.2018
    Kühe beim Almabtrieb in Mayrhofen im Zillertal, Österreich
    Im Zillertal für Landwirte und Touristiker gleichermaßen wichtig: Rinder. Beide Wirtschaftszweige wirken hier zusammen, wenn ländliches Leben zur Urlauber-Attraktion wird. (Imago)
    Die blau-grün-orange gescheckten Kühe schauen frech vom Dach der Erlebnis-Sennerei weit ins Zillertal hinein. Ihr Euter ist prall, mit ihren roten Zungen schlecken sie sich genießerisch das Maul. Juniorchef Christian Kröll strahlt und spielt auf seinem Handy ein Musikvideo ab. Der britische Singer-Songwriter Ed Sheeran war zu Dreharbeiten im Nachbarort.
    "Der hat a Video gedreht, einen Clip. Und dann ist er dageblieben und hat gesagt, ihm gefällt's hier so gut, das ist seine Herzensgegend und er möchte hier im Zillertal, in Hintertux, ein kleines Konzert geben für seine Freunde."
    An Prominenz mangelt es nicht im Zillertal; und nicht an erlebnishungrigen Gästen, die gerne "gecoacht" werden, so sehen das die Tourismus-Manager. Tausend Kilometer Wanderwege allein sind nicht attraktiv genug. E-Mountain-Bike-Genusstouren locken im Sommer und die "Höhenmeterfresser-Runde" der Mayrhofer Bergbahnen im Winter. Schließlich machen die Gäste kürzer Urlaub und wollen dafür mehr erleben.
    Beherzt stellt der gelernte Käser Kröll ein Glas Buttermilch auf den Tisch. Gut 60.000 Besucher zieht die Erlebnis-Sennerei jährlich an. Und seit kurzem gibt es einen Schaubauernhof, ganz in Bioqualität, damit die Besucher sehen, wo die Milch herkommt. Zur Alm muss keiner mehr mühsam hinaufsteigen. Dabei hat das Familienunternehmen 1953 ganz klein mitten in Mayrhofen angefangen, gleich neben der Kirche und dem Gasthaus.
    Der Opa hatte die Idee zur Schau-Sennerei
    "Und der Vater hat gesagt, er hat a Idee: Mir haben einen starken Tourismus, mir haben ein sauberes Produkt, ein schönes Produkt, und mir brauchen uns eigentlich nicht verstecken für des, was mer machen. Mach'mer eine Schau-Sennerei. Und dann war eigentlich die Idee von der Erlebnis-Sennerei geboren."
    Der Rundgang durch die gläserne Milchmanufaktur ist beeindruckend: In riesigen Wannen, die bis zu 60.000 Liter Milch fassen, wird beispielsweise Bergkäse hergestellt. Aber auch Opas alter Kupferkessel, der nur 1.000 Liter fasst, ist noch in Betrieb. Sein Geist schwebt über allen Graukäse-Reifekellern. Noch im Rollstuhl hatte ihn Christian Kröll durch die Baustelle geschoben, bang gefragt, ob diese Sennerei nicht zu groß angelegt ist.
    "Teifel, Opa, glaubst nit, des, was mir da machen, alles viel zu groß ist? Wir waren ja wirklich ganz ein kleiner Betrieb. Und dann hat er gesagt: Christian, wenn's ihr es richtig machts, dann wird's bald z'kloan sein."
    Er sollte recht behalten: 20 Millionen Liter Milch werden im Jahr zu Käse, Buttermilch und Joghurt verarbeitet. Die Zahlen mit den sechs Nullen fliegen einem hier im Zillertal nur so um die Ohren. Acht Millionen Nächtigungen jährlich.
    Tourismus ist "nicht nur ein Nachteil" für Bauern
    Und schon ist der Juniorchef bei seinem Lieblingsthema angelangt, der Beziehung Tourismus und Landwirtschaft. 380 Bergbauernfamilien liefern ja die Heumilch, also silagefreie Milch, die ohne vergorene Futtermittel erzeugt wird. In dem langgezogenen Galeriegang über den Arbeitsräumen hängen prächtige Almglocken und Fotografien vom jährlichen Almabtrieb.
    "Man sieht des an den aufwendigen Kopfschmücken von den Kühen, wie hoch auch der Stolz ist von unsere Leut' für des eigene Vieh."
    30.000 bis 40.000 Touristen locke der Almabtrieb ins Zillertal, schwärmt Christian Kröll. "Kommerzialisiertes Almabtrieb-Spektakel" nennen es Kritiker.
    "Aber es ist auch selten, wenn i den Tourismus jetzt als Industrie beschreiben kann, dass der Tourismus mit der Landwirtschaft, mit der Region so ineinandergreifen kann. I sag, Tourismus und Landwirtschaft sind für uns Geschwister, die unabhängig zusammengehören. Es werden Wege gebaut, wir können im Sommer die Almen besser bewirtschaften, es ist nicht nur ein Nachteil. Weil die Bewirtschaftung der Berge, wo auch die Bahnen sind, einfach leichter gemacht wird. Es ist a Geld da: Wenn man heut' zum Beispiel einen Berg raufschaut, da steht a hochmoderne Seilbahn, was alle Stücke spielt, die modernste Anlagen, was mir überhaupt haben, aber 20 Meter weiter steht a alte Almhütte, die unverändert ist. Und des ist eigentlich für mich ein Zahnrad, was ineinandergreift."
    "Man weiß auch genau, die Berge sind koa Gummibandl"
    Vorbei geht es an Kasimir, dem Schmierroboter, der den Käse alle zwei Tage mit Salzwasser bürstet, an kleinen Stationen mit Fruchtjoghurt, wo degustiert, oder in der Erlebnissprache "genusslöffelt" wird. Der Nachhaltigkeit fühlt man sich verpflichtet, von Kopf bis Fuß Zillertal; ja selbst ein Käseverpackungs-und Schneidewerk entsteht zurzeit im benachbarten Ort. "Der grüne Fußabdruck stimmt", lacht Christian Kröll zufrieden.
    Und dass auch Musik und Käse gut harmonieren, zeigen die Musikevents mit Zillertaler Volksmusik in der Sennerei. Er selbst hat in der Gruppe "Zillertaler Bergcasanovas" gespielt; das Lied "So wie damals wünsch' ich mir" hat er selbst geschrieben, eine vertonte Sehnsucht "Zurück in mei Kindheit" mit der Liedzeile "Nur nach vorn geht unser Blick". Ein wenig schwindelig wird ihm, scheint's, doch, bei dem Spiel mit den vielen Nullen:
    "Man spricht nicht umsonst von einem Bettenstopp, um zu schauen, ob das alles schon noch so weitergehen muss. Also man kann's nicht endlos dehnen. Wir haben einen Naturpark, wo mer sagen, in diesen Bergen wird nichts passieren. Also, es gibt die Seite und es gibt die Seite. Die einen sagen, Gas geben, die anderen sagen, des darf man nimmer tun, und ich glaube, des is gut so. Aber man weiß auch ganz genau, die Berge sind koa Gummibandl."