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Fremd in Deutschland

Sarah Khan ist keine Frau, die zu Sentimentalitäten neigte. Aber Eine romantische Maßnahme heißt nicht nur ihr neuer Roman, sondern, sagt sie, mit diesen Worten könne man auch ihre Schreibhaltung umreißen. Eine Maßnahme, die zwei Jahre dauerte, auf der Suche nach dem Urgrund der deutschen Seele, und zwar in Heidelberg. Einer tausend Jahre alten Stadt am Neckar, deren mittelalterliche Gemäuer Geschichte förmlich ausdünsten. Sarah Khan, Halb-Pakistani, guckt von draußen auf das was heute noch von deutscher Identität übrig geblieben ist.

Von Brigitte Neumann | 11.05.2004
    Und schlüpft dafür in die Figur ihres amerikanischen Helden William Moore. Der wird von Burschenschaftlern verprügelt, beobachtet, wie die sich ins Koma saufen und rituelle Demütigungsaktionen im nahen Wald zelebrieren. Wird Zeuge der politischen Spielchen Autonomer an der ältesten Universität Deutschlands, geht nebenher und eher lustlos seinem Geschichtsstudium nach. Und sinniert über Heidelberg:

    Die Stadt sah aus, als hätte sie ein alter Architekt für seinen lang ersehnten ersten Sohn gebaut. Man könnte ewig drin spielen: Ritter und Raubritter, Burgfräulein und Drachentöter.

    Aber in Williams Leben spielt sich etwas ganz anderes ab: Er verliebt sich in ein berechnendes deutsches Bürschlein, wird von der notgeilen Schauspielerin Maxine als Mann für gewisse Stunden benutzt und von einer "Gruft-Queen aus dem Reich der verwesten Super-Nazis" zum Assistenten für ihre letzte Auktion mit Nazi-Devotionalien ernannt.
    Sarah Khan, Tochter eines pakistanischen Teppichhändlers in Hamburg, hat unerschrocken alles zusammengemischt, was für sie Deutschland heute bedeutet. Mit dem Augenmerk auf das Unheimliche, das den Ablagerungen der deutschen Geschichte entsteigt:
    Als ich eingeschult wurde, da gab es vielleicht 5 oder 6 ausländische Kinder. Das waren Jugoslawen, Türken und ich - Halb-Pakistani. Und wir wurden alle an einen Tisch gesetzt. Dann heiße ich noch Sarah. Ich wurde dauernd gefragt, ob ich eine kleine Jüdin wäre von allen Leuten. Ich hatte schon manchmal das Gefühl, dass es da etwas sehr Spezielles gibt. dass die deutsche Geschichte dieser Zeit schon noch starke Nachwirkungen hat auf mich und alles, was um mich herum ist.
    Sarah Khan fühlt sich nicht als Pakistani und ihren mütterlicherseits eher nur genetisch eingebrachten deutschen Teil hat sie mit einem Studium der Volkskunde veredelt. "Bräuche, Traditionen, Würste: Ich weiß alles.", sagt die 32-jährige, die ein bisschen wirkt wie der Kesse Jesse von James Krüss, mutig, keck und stets leicht derangiert. Sie wollte zuerst Opernsängerin, Ponypflegerin und Filmemacherin werden, hat dies auch alles versucht, aber ohne Erfolg. Mit 24 beschloss sie dann: Ich werde Schriftstellerin. ein paar Jahre später lag ihr erster Roman "Gogo-Girl" vor, wieder ein paar Jahre später dann der nächste "Dein Film".
    Das Schreiben ist natürlich eine Sache, die nur dann entsteht, wenn nichts anderes mehr geht. Diese ganze Überwindung von Schwierigkeiten, die man erst mal zurücklegen muss, bis man erträgt, was man schreibt. Weil ja auch erst mal sehr viel Hässliches aus einem herauskommt. Ganz furchtbare Sätze, Ideen, schlimmste Phantasien. Also man muss durch die sieben Gebirge erst mal mit seinen Texten, bis da was entsteht. Das ist eine extreme Arbeit, die nimmt man nur dann auf sich, wenn man nichts mehr anderes weiß; wenn einem nichts mehr anderes einfällt. Und wenn man nicht mehr eine andere Phantasie von sich selbst hat.
    Sarah Khan, die heute mit Mann und Baby in Berlin lebt, hat ihren Stil geändert. Kamen die früheren Geschichten wie Gag-gespikte Indi-Film-Drehbücher daher, die auch mal schwer verdauliche filmtheorethische Exkurse oder ähnliches enthielten, so gibt sich Eine romantische Maßnahme als eher herkömmlich-lineare Erzählung. Mit einem Mann ohne Eigenschaften als Helden. Einem Amerikaner, der nach Deutschland kommt, naja, weil Elvis auch mal hier war. Dann ändert sich der Grund seines Bleibens, heißt Ruben. "Aber auch", sinniert der Held, "und das war das Überraschende, Adolf Hitler." "Das mit den Nazis": für ihn ein "unerschöpfliches Gesprächsthema".

    Aber da ist man auf deutscher Seite sehr zugeknöpft. Keiner mag, zu Williams Enttäuschung, Hitlerwitze erzählen. Auf solche typisch deutschen Beklemmungen angesprochen, analysiert Sarah Khan die als gesunde psychische Reaktion auf die selbstgewählte Katastrophe. Und sagt ...
    Ich hab keine Angst vor den Deutschen, keine mehr. Ich habe Angst vor Islamisierung, klar. Ich finde, man sollte Demokratie und Freiheit auch autoritär verteidigen. Also: In der Türkei gibt es ein Kopftuchverbot.
    Interessantes Thema. Wenn nur Eine romantische Maßnahme auch so eins oder überhaupt irgendein erkennbares durchhalten würde. Die Neu-Berlinerin stochert in zu vielen Themen nur probeweise herum: Nazikult, Krise des deutschen Selbst-Bewußtsein, die Lebenslügen der linksradikalen Intelligentsia.

    Und es gibt viele Stellen, an denen der Leser einbricht. Zum Beispiel die Sache mit den Klischees: Sarah Khans Deutsche sind tumb, berechnend, impotent und haben Manuskript dicke Ärsche. Die Ausländer hingegen sind lustig, meist schwul und sympathisch. Falls das Ironie sein soll: Sie kommt nicht an.
    Mit ihrem weiterhin aktiven Gespür für Witz kriegt Sarah Khan manchmal recht lustige Momente hin, zum Beispiel wenn eine der Figuren ausruft: "Ändere Deinen Namen! It's faster than therapy and cheaper than drugs." Aber die kleinen genialen Miniaturen können die Geschichte nicht retten. So ängstlich richtungslos die deutsche Nation heute dahintreibt, so ist auch dieser Roman geworden.
    Und als hätte sie's gespürt, lässt Sarah Khan ihren Helden mitten im Buch bilanzieren: "Die besten Geschichten spielen sich hier ständig vor der eigenen Nase ab, aber man darf sie nicht verstehen."
    Sarah Khan
    Eine romantische Maßnahme
    Eichborn Berlin, 220 S., EUR 18,90