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Fremde Töpfe

Heute ist es uns selbstverständlich, beim "Italiener", beim "Griechen" oder auch beim "Vietnamesen" essen zu gehen. Aber seit wann hat sich die ausländische Gastronomie bei uns durchgesetzt, warum sind manche ethnische Küchen erfolgreich und andere nicht?

Von Ingeborg Breuer | 12.08.2010
    Die Historikerin Maren Möhring hat gerade Ihre Habilitation zum Thema "ausländische Küchen und ihre Auswirkung aufs deutsche Essverhalten" abgeschlossen.

    "Es gibt eine sehr große Konsumentengruppe, die sich eher in der linken Subkultur, Studentenbewegung '68 verorten lässt, die ganz dezidiert italienische oder auch griechische Restaurants aufgesucht hat. Gerade die Griechen, die emigriert waren nach dem Militärputsch in Griechenland, haben sich häufig in der Gastronomie selbstständig gemacht und auch Tavernen geschaffen, in denen politische Diskussionen stattgefunden haben", sagt Historikerin Maren Möhring.

    Manch einer mag sich noch daran erinnern: als er als Student beim Griechen oder Italiener Pizza, Souvlaki oder Tzatziki entdeckte und dabei sein linkes Lebensgefühl kultivierte. Denn auch das Kulinarische war politisch. Mit dem Restaurantbesuch grenzte man sich ab: vom Sonntagsbraten mit Erbsen und Möhrchen, vom Elternhaus: vom spießigen Deutschen.

    "Auch das ist eine spezifische Phase gewesen, in der diese Orte wichtig waren für subkulturelle Anliegen."

    Die Historikerin Dr. Maren Möhring hat gerade ihre Habilitation an der Universität Köln abgeschlossen. Sie erforschte darin die Entwicklung ausländischer Spezialitätenrestaurants und ihre Auswirkungen aufs deutsche Essverhalten. Seit Mitte der 50er-Jahre entstand eine solche Gastronomie in Deutschland. Sie erfüllte zunächst die Funktion, die vorwiegend italienischen Gastarbeiter mit den ihnen vertrauten Nahrungsmitteln und Speisen zu versorgen. Ein wahrer Gründungsboom solcher Restaurants setzte aber ein, als in den 70er-Jahren ausländische Arbeitsmigranten überproportional von Ölkrise und einsetzender Wirtschaftsflaute betroffen wurden. Und neue Verdienstmöglichkeiten suchten, um sich den Rückführungsplänen der deutschen Politik zu widersetzen.

    "Wir haben Rezession und Anwerbestopp 1973. Und danach stellte sich für viele Arbeitsmigranten, die im Land waren, die Frage, wie sollen wir unseren Lebensunterhalt hier erarbeiten, wenn wir in Deutschland bleiben wollen? Und dass viele, die als Gastarbeiter angeworben worden waren, zunächst selbst vorhatten, nur ein paar Jahre in Deutschland zu bleiben. Dann haben viele schnell überlegt, ich investiere mein Geld besser in Deutschland. Und da stellte die Gaststätte eine Möglichkeit dar, mit relativ wenig Geld und ohne Meistertitel mit relativ niedrigschwelligem Engagement ein Unternehmen gründen zu können."

    Seit den 60er-Jahren zogen vermehrt Deutsche über die Alpen nach Bella Italia. Verknüpften Dolce Vita fest mit Ravioli und Chianti-Korbflasche und wollten zunehmend auch unter dem bleigrauen Himmel Deutschlands das mediterrane Lebensgefühl genießen.

    "Es gab aber auch, gerade für die italienische Gastronomie, ausgebildete professionelle Gastronomen, die dann im Zuge des italienischen Reisebooms – Italien das beliebteste Reiseland in den 60er-Jahren – die gründen dann auch italienische Restaurants, weil sie einfach 'ne Marktlücke entdecken. Das kann man auch ganz gut sehen, wenn man die Einrichtung in diesen Gaststätten vergleicht. Gerade wenn man sich das so klassisch vorstellt mit besonders vielen Fischernetzen oder Bildern der Rialtobrücke. Da wurde ganz deutlich mit touristischen Bildern gearbeitet, und das war dann auch schon eine deutsche Kundschaft adressiert."

    So wie die Gastarbeiter die von Deutschen nicht gewollten, schlecht bezahlten Arbeitsplätze eingenommen hatten, so ließen sich die ausländischen Gastronomen oft in Stadtvierteln nieder, die für deutsche Restaurants damals wenig attraktiv erschienen: in sanierungsbedürftigen Innenstadtquartieren, Rotlichtbezirken – und zogen junge, oft studentische Gäste an. Italiener aber auch Balkanrestaurants gehörten - neben Chinesen - zu den ersten "Exoten" in der deutschen Esskultur. Doch während die Italiener auf Dauer erfolgreich blieben, verloren die "Jugoslawen" schnell wieder an kulinarischer Bedeutung:

    "Ich würde sagen, dass die Balkangastronomie in der frühen BRD erfolgreich war, weil sie relativ ähnlich war. Weil sie einen Bestandteil der Wiener Küche darstellt, wir finden ja auch in der Wiener Küche einige Gerichte aus Kroatien, Serbien oder Ungarn, diese Gerichte waren in Deutschland schon bekannt und gerade in der frühen BRD war das ein Vorteil für die Balkangastronomie. Es war irgendwie exotisch, aber man kannte die Gerichte. Spätestens in den 80er-Jahren hat sich das zum Nachteil entwickelt. Weil die Leute viel mehr Küchen kannten und jetzt Japanisch essen wollten, thailändisch und die Balkanküche nicht mehr als spezielle Küche wahrgenommen wurde."

    Die Deutschen wurden kulinarisch zunehmend aufgeschlossener. Titelten Kochrubriken in Illustrierten anfangs noch "Ali will es wie zu Hause", hieß es später dann "Zu Gast bei unseren Gästen" oder "Fremde Töpfe". Und zunehmend verlor die gutbürgerliche, die deutsche Küche dabei an Terrain:

    "Es ist so, dass die Gastronomieverbände in den 70er-Jahren gewarnt haben vor der ausländischen Gastronomie in der BRD und versucht haben, strengere Gesetze durchzusetzen. Zum Beispiel gesagt haben, dass die ausländischen Gastronomen die Sprache nicht genug beherrschen, um die Lebensmittelregelungen einzuhalten. Ich glaube, das Bild, was von den Gastronomieverbänden gezeichnet wurde, ist ein zu extremes. Es gab keinen kompletten Verdrängungsprozess. Aber es ist schon festzustellen, dass die ausländische Gastronomie ganz große Marktanteile erobert hat."

    Auf Italiener und Balkanrestaurants folgten Griechen, Spanier. Und dann - kamen auch die Thailänder, Japaner, Vietnamesen. Fast Food wurde übrigens nie geografisch definiert, obwohl es eindeutig amerikanisch ist. Allerdings, meint Maren Möhring, der Erfolg der ethnischen Küchen sei eng gekoppelt an die Touristenströme. Nicht jede kann sich dauerhaft etablieren:

    "Also, was haben die Bürger kennengelernt im Urlaub, das wollen sie auch zu Hause wieder essen. Insofern haben es schon mal die afrikanischen Küchen schwerer. Aber ich denke auch, es hängt damit zusammen, dass es bestimmte kulturelle Bilder gibt, die mit den Ländern und auch den Küchen zusammenhängen. Italienische Küche hat schon eine lange Tradition, galt schon vor der Nachkriegszeit als gute Küche mit langer historischer Tradition. Dies gilt für afrikanische Küchen nicht in dem Maße. Und ich denke, es kommt dann auch dazu, dass mit Afrika eher Bilder von Hunger und Elend verbunden sind und nicht mit kulinarischer Raffinesse."

    Bis heute wird der Konsum von "ethnic food" - von mehr oder weniger exotischen Nahrungsmitteln also - mit Weltläufigkeit, Aufgeschlossenheit und Trendbewusstsein assoziiert. Natürlich nur, wenn man auch korrekt bestellen kann. Also: bitte nicht "zwei Expressos bitte", sondern "due caffé per favore". Dennoch: Dass die "Multi-Kulti-Küche", wie gern behauptet, schon ein Zeichen für die Akzeptanz, für ein gelungenes Miteinander der Kulturen ist, hält Maren Möhring für zu optimistisch.

    "Mir ist schon wichtig, herauszustellen, dass die Ausländer in Deutschland geblieben sind, sich hier auch ihre Räume geschaffen haben. Sowohl für die eigene Community, aber auch als Begegnungsorte für alle möglichen Menschen wie auch eben als Lebensunterhalt. Und ich denke, das ist ein wichtiger Faktor, und der hat die Städte deutlich verändert. Inwiefern man jetzt wirklich sagen kann, dass ein Verständigungsprozess stattgefunden hat oder die Deutschen offener geworden sind, das muss man sich im Einzelfall anschauen. Aber ich glaube, es ist sehr wichtig, dass mit den ausländischen Gaststätten Orte gab, an denen man in der Freizeit mit nicht Deutschen zusammenkommen konnte und Dinge erfahren konnte über deren Leben. Das hat es vorher nicht gegeben."

    Weitere Informationen:
    Dr. Maren Möhring - Mittlere und Neuere Geschichte