Dienstag, 19. März 2024

Archiv

"Fremde Welten" Teil 4
Ägypten im Schatten der Pharaonen

Nach dem Sturz von Ägyptens Staatspräsident Mubarak schlingert das Land politisch hin und her. Der Kampf zwischen Muslimbrüdern und ägyptischer Armee kommt nicht zur Ruhe. Für die Menschen im Land wirkt das bedrückend.

Von Cornelia Wegerhoff | 17.08.2014
    Eine Frau unterhält sich mit einem Gemüsehändler an dessen fahrbaren Stand auf einer Straße in der Innenstadt von Kairo.
    Gemüsehändler in der Innenstadt von Kairo. (dpa / picture-alliance / Matthias Tödt)
    Heute soll es endlich an die Wand kommen: das Poster, um das sie extra einen silbernen Rahmen haben machen lassen. Im Januar 2011, nur ein Stück Karton, heute ein Stück kostbarer Erinnerung:
    "Das sind die Unterschriften, von all denen, die damals auf dem Tahrir-Platz dabei waren und jeden Tag hierher gekommen sind."
    Mohamed Hashem ist unabhängiger Verleger und Autor. Das Büro seines Verlagshauses "Dar Merritt" liegt nur drei Gebäude vom Tahrir-Platz entfernt, auf dem damals Hunderttausende gegen Mubarak protestierten. Auch Taimur, einer der jungen Mitarbeiter, die gerade das Bild aufhängen, war dabei:
    "Hier war während der Revolution unser Zuhause. Hier konnte man mal ausruhen, essen, schlafen. Und Mohamed war wie ein Vater für alle und hat die Leute nachts zugedeckt."
    Literarisch bot Mohamed Hashem dem politischen Widerstand schon viele Jahre vor der Revolution eine Heimat. Das PEN-Zentrum Deutschland, das den Ägypter im November 2011 mit seinem Menschenrechtspreis auszeichnete, erklärte damals: Als Verleger habe Hashem "eine geistige Welt geschaffen, in der die arabische Erneuerungsbewegung ihren intellektuellen Nährboden gefunden" habe.
    Inzwischen wirkt der 57-Jährige jedoch manchmal so, als habe man ihm selbst den Boden unter den Füßen weggezogen. Zu Beginn dieses Jahres war er kurz davor, Ägypten zu verlassen. Nach der Euphorie über den Sturz Mubaraks kam für den liberalen Aktivisten wie für viele andere die große Depression, kamen die Muslimbrüder und Mursi, dann das Militär und Sisi. Inzwischen tröstet sich Mohamed Hashem mit historischen Vergleichen:
    "Nun, wie viele Jahre hat die französische Revolution gedauert, bis sie wirksam wurde? Die ägyptische Revolution kann man nach diesen wenigen Jahren nur mit Ebbe und Flut vergleichen. Es schwappt hin und her zwischen religiösem Faschischmus und Militärstaat. Die dritte Wahl hat bisher leider nicht genug Anhänger in der Bevölkerung, die für ihr Ziel kämpfen würden."
    "Nicht militärisch, nicht religiös, sondern einen zivilen Staat wollen wir"
    Die "dritte Wahl", von der der ägyptische Verleger spricht, steht als Motto ganz oben auf dem Plakat, das jetzt im silbernen Rahmen zwischen den vollgestapelten Bücherregalen hängt:
    "Nicht militärisch, nicht religiös, sondern einen zivilen Staat wollen wir."
    Liest Mohamed Hashem vor und Taimur erklärt, dass die meisten Ägypter diesen Slogan damals abgelehnt hätten.
    "Die Leute sind ja fromm hier. Da gehört es sich nicht, zur Religion 'Nein' zu sagen. Aber nach dem ganzen Dreck, den die Muslimbrüder den Leuten angetan haben, wissen sie jetzt, was wir meinen."
    Draußen auf der Straße heulen Sirenen auf. In schweren Geländewagen fährt ein Polizei-Sonderkommando Richtung Tahrir-Platz. Auf den Ladeflächen stehen schwarz maskierte Männer in schusssicheren Westen und mit Maschinengewehren im Anschlag. Ägypten im Anti-Terror-Kampf. Und die Terroristen, das sind die Muslimbrüder, so die neue Staatsmacht unter Präsident Sisi. Die radikalen Anhänger Mursis haben Anschläge verübt.
    Im Café Riche, zwei Straßen weiter, scheint unbeeindruckt davon der Alltag zurückgekehrt zu sein: Wie einst Ägyptens Literaturnobelpreisträger Nagib Mahfus sitzen hier Kairos Intellektuelle bei schwarzem Tee und starkem Mokka und debattieren. Einer von ihnen ist Dr. Nabil Abdelfattah, lange Jahre Leiter des Ahram-Centers für soziologische und historische Studien.
    "Es ist die pharaonische Politik, die in der ägyptischen Gesellschaft starke Spuren hinterlassen hat. Sie hat uns gelehrt, dass man gehorsam sein muss. Dass der Staat wie ein Vater ist, der sich um alles kümmert und der auch für das Volk entscheidet." Die Mauer aus Angst vor diesem Übervater haben die Ägypter erst bei der Revolution durchbrochen.
    "Aber ich glaube, wir kehren gerade genau dahin zurück, dass die Leute wieder an den Staat als Übermacht glauben wollen, weil sie nach Sicherheit suchen."
    Ägyptens Problem war immer seine geografische Lage"
    Auch Ägyptens renommiertester Schriftsteller Alaa Al Aswani sieht in der Historie des Landes Ursachen für dessen spezielle politische Mentalität.
    "Ägyptens Problem war immer seine geografische Lage. Das Land war strategisch zu wichtig, um sich selbst überlassen zu werden. Deshalb wurden wir von allem möglichen Besatzern okkupiert. Wir wurden also von Diktatoren unterdrückt oder von Besatzern. Deshalb haben die Ägypter das Talent entwickelt, Kompromisse mit den Autoritäten zu finden, um trotz allem ihre Kinder groß zu ziehen, ihr kleines Leben zu leben, sicher zu sein. Und alle Diktatoren haben das ausgenutzt, dass die Leute Kompromisse machen, dass sie Angst haben."
    Mursi und Muslimbrüder hätten diese Angst noch mithilfe des Islams schüren wollen, so Alaa Al Aswani.
    "Da wird der Respekt gegenüber dem Scheich mit dem Respekt vor dem Staatschef gemischt. Und das sollte aufhören. Ich denke, die Ägypter haben diese Lektion verstanden."
    Dass Alaa al Aswani die Präsidentschaft Mohamed Mursis zunächst öffentlich billigte, hätten viele seiner Landsleute damals nicht verstanden, erklärt der Schriftsteller. Auch ein Zeichen für mangelnde Demokratie-Erfahrung:
    "Ich habe die Muslimbrüder nicht verteidigt, aber ich habe die Demokratie verteidigt. Ich habe gesagt: Die sind gewählt worden, wir müssen ihnen eine Chance geben. Und ich sage genau das gleiche zu Sissi, obwohl ich gegen Gewalt und die Missachtung von Menschenrechten bin, obwohl ich den nicht gewählt habe, muss ich ihm eine Chance geben. Wir sollten über eine Revolution nicht weiter nachdenken, wie über ein Fußballspiel. Nur da kann man nach 80 von 90 Minuten sagen: Ok, wir verlieren wohl. Eine Revolution ist eine Entwicklung, eine Epoche. Das braucht Zeit. Aber die Revolution hat die Menschen schon verändert und sie wird weitergehen. Deshalb bin ich optimistisch."